Unbreakable Kimmy Schmidt - Der Optimismus wird euch retten

17.04.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Unbreakable Kimmy Schmidt: Ellie KemperNetflix
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Mit ihrem Enthusiasmus und unerschöpflichen Optimismus hat Unbreakable Kimmy Schmidt die Herzen der Fans im Sturm erobert. Zum Start der 2. Staffel blicken wir auf Hauptdarstellerin Ellie Kemper.

Einen meiner absoluten Lieblingswitze in der 2. Staffel von Unbreakable Kimmy Schmidt hätte ich durch ein Blinzeln beinahe verpasst: In ihrem neuen Apartment plappert Jacqueline (Jane Krakowski), wie es reiche geschiedene Damen in Manhattan eben so tun. "Kimmy blah, Kimmy blub." Das Übliche. Bis ihr das Ausbleiben der Antwort auffällt - und Jacqueline merkt, dass sie die ganze Zeit mit einer Cartoon-Kimmy geredet hat, die ihr hyperaktiver Sohn an die Wand gekritzelt hat. Zu diesem Zeitpunkt in der Staffel wurde Kimmy Schmidt erst unterstellt, sie sei eine Figur aus Scooby-Doo, dann dass Jeff Koons sie erschaffen habe. Und seien wir ehrlich: Wenn Kimmy (Ellie Kemper) quietschfidel durch New York hüpft, liegt die Transformation zum riesigen pinken Ballon-Häschen nicht weit. Wie es sich für die Serie von Tina Fey und Robert Carlock gehört, wird der Gag durch Jacquelines Zwiegespräch mit der Wand auf seine absurde Spitze getrieben. Ein Stück Wahrheit steckt trotzdem drin. Denn in jeder Episode von Kimmy Schmidt liegt es an Fey, Carlock und vor allem Hauptdarstellerin Ellie Kemper, die Karikatur in einen Menschen aus Fleisch, Blut und Optimismus zu verwandeln.

Friends

In der 1. Staffel war Kimmy nach 15 Jahren Gefangenschaft aus dem Bunker eines wahnsinnigen Reverends (Jon Hamm) befreit worden. Als unfreiwillig "zurückgebliebenes" Landei aus dem Mittleren Westen zog sie in eine Metropole, die sich im rasenden technischen wie kulturellen Wandel befindet. Ein größerer Gegensatz lässt sich eigentlich schwer ausdenken. "New York ein zentraler Teil der Show", meint Ellie Kemper im Telefon-Interview, "in New York gibt es eine hohe Konzentration an Sonderlingen, die keine Angst davor haben, Sonderlinge zu sein. Kimmy ist auch seltsam, insofern passt sie genau da rein." Wie die Friends vor ihr findet Kimmy in der Großstadt eine kleine, aber feine Ersatzfamilie, die sich in ihrer Kauzigkeit neutralisiert. Allen voran der angehende Off-Off-Off-Broadway-Star Titus (Tituss Burgess) und Lillian (Carol Kane), eine verpeilte Vermieterin mit diversen dunklen Geheimnissen. Für Kimmy, Titus, Jacqueline und andere Zugezogene gerät New York in Unbreakable Kimmy Schmidt zur utopischen Identitätsschmiede, einem Ort, an dem jeder sein kann, wer er will, weil es sowieso niemanden schert. Ronald Wilkerson heißt fortan Titus Andromedon, Jackie Lynn White verwandelt sich in Jacqueline Vorhees. Es ist eine inhärent optimistische Perspektive auf die Anonymität des Molochs, wenn auch gerade in dieser 2. Staffel die Vergangenheit à la It Follows einem in den Häuserschluchten hinterher schleicht. Nun gut, vielleicht tut sie es nicht ganz so vehement wie in It Follows.

Im Zentrum eines Comedy-Wirbelsturms
Ellie Kemper, charakterliches Vorbild von Kimmy Schmidt, hat das schon hinter sich. In Missouri geboren, wuchs Kemper in St. Louis auf. Sie studierte in Princeton und Oxford Englisch und entschied sich trotz der ansehnlichen akademischen Einträge im Lebenslauf, Comedy zu ihrem Beruf zu machen. Da führte gerade um die Jahrtausendwende kein Weg an New York vorbei.

Ich war kein Comedy-Nerd oder sowas. ich habe mir gern Seinfeld und David Letterman angesehen, aber nicht gedacht: 'Hey, das will ich auch machen.' Erst im College, als ich angefangen habe, in einer Impro-Comedy-Truppe aufzutreten, merkte ich, dass ich gut darin bin und dass ich besser darin werden will.

Als Kemper mit 23 Jahren nach New York zog, blühte dort bereits seit einigen Jahren eine alternative Comedy-Szene, die von einem Trend dominiert wurde: Improvisation. Inspiriert von Impro-Guru Del Close aus Chicago, hatten Amy Poehler (Parks and Recreation), Matt Walsh (Veep - Die Vizepräsidentin), Matt Besser (Parks and Rec), Adam McKay (The Big Short) und andere 1990 ihre eigene Truppe gegründet, die Upright Citizens Brigade (UCB). In den Folgejahren siedelte die UCB nach New York um, stellte Impro-Shows auf die Beine, gab Kurse und gründete 1999 schließlich ein eigenes Theater. Blicken wir auf die Biografien amerikanischer Comedy-Stars zwischen 30 und 50, erscheint ein Impro-Kurs bei der UCB, Second City Chicago oder den Groundlings in Los Angeles obligatorisch. Das reicht personell von Lisa Kudrow (Friends), Zach Galifianakis (Hangover) und Melissa McCarthy (Spy - Susan Cooper Undercover) bis zu Aziz Ansari (Master of None), Aubrey Plaza (Parks and Rec) und Donald Glover (Community). Heute sprechen wir von einem 2. Comedy-Boom in den USA, der Theater, Fernsehen, Podcasts und YouTube als Kanäle nutzt und dessen Fundament findet sich in den jährlich abertausenden Absolventen von landesweiten Impro-Klassen. 2014 waren es laut Vulture  allein in den UCB-Theatern in New York und Los Angeles ganze 11.918 Kursteilnehmer.

Ellie Kemper betrat diese Szene zu einem Zeitpunkt, als Amy Poehler und Adam McKay bereits bei Saturday Night Live arbeiteten, Groundling-Absolvent Will Ferrell den Sprung ins Kino unternahm und Second City-Alumna Tina Fey dem Sender NBC eine frühe Version von 30 Rock pitchte. Impro bzw. auf Englisch Improv, war populär, aber noch keine Massenbewegung. So Kemper:

Damals konnte man in eine [Impro-]Klasse reinkommen. Heute ist es viel schwieriger, weil so viele Leute daran interessiert sind, Kurse zu besuchen. Vor 13 Jahren musste ich mich nur anmelden [...]. Im Upright Citizens Brigade Theatre und dem Peoples Improv Theatre. [...] Man musste 5 Stufen von Kursen nehmen, bevor man für ein Team vorsprechen konnte. Und das war mein Ziel: aufzutreten.

Fehler gibt es nicht, nur Möglichkeiten
In ihrem Buch Bossypants beschreibt Tina Fey die Regeln der Improvisation ganz im Stile eines freundlich lächelnden Tyler Durden der Comedy. "Stimme immer zu", lautet Regel Nummer 1 auf der Bühne und vor allem: Sag' immer "Ja, und..." Jedes Comedy-Angebot eines Impro-Partners muss angenommen und weiterentwickelt werden. Fehler gibt es nicht, nur Möglichkeiten. Wenn jemand die Ausgangssituation auf der Bühne mit "Hier sind wir also in Spanien, Dracula" definiert, dann kommt "Nein, das ist blöd" als Antwort nicht in Frage. Wen das an einen Selbsthilfe-Kult erinnert, der sollte sich nach Beendigung dieses Artikels über die Scientology-Parodie Yes And in der 2. Staffel von BoJack Horseman amüsieren. Aus den spontanen Bühnenkreationen entwickeln Impro-Truppen ganze Shows, was wohl einer der Gründe ist, warum der Impro-Boom nicht nur viele talentierte Darsteller hervorgebracht hat, sondern solche, die in Personalunion als Comedy-Autoren tätig sind.

Ellie Kemper fand schon nach einem Jahr in New York einen Agenten und finanzierte ihre Comedy-Karriere recht schnell durch Werbespots: "Das erlaubte mir, selbst mehr zu schreiben, wofür ich nicht bezahlt wurde. Ich wollte nie Stand-up-Comedy machen, aber ich bin mit Ein-Personen-Shows aufgetreten, die charakterbasiert waren. Ausgehend davon hatte ich etwas vorzuweisen und konnte z.B. für Saturday Night Live vorsprechen. Und dann bekam ich den Job bei Das Büro, nachdem ich mein Ein-Personen-Stück nach Los Angeles gebracht habe."

Optimismus als Rettung
Als Erin Hannon in der amerikanischen Variante von The Office feierte Kemper 2009 ihren TV-Durchbruch und legte die Blaupause für ihr Image vor: Sie spielt den enthusiastischen Regenbogen im grauen Büroalltag, der dem zermürbenden Trott mit einer erfrischenden Naivität begegnet und sogar Bewunderung für die Kollegen aufbringt. Dabei wird im Verlauf der Serie eine traumatische Jugend in Pflegefamilien angedeutet. Kimmy Schmidt bildet insofern eine Weiterentwicklung und Überspitzung. "[Sie] könnte absolut ein wiederkehrender Charakter in einer der Late Night-Shows sein", meint Letterman-Fan Kemper am Telefon, "sie ist ja eine Art Clown, wie ein Cartoon". Auf den ersten Blick wirkt Kimmy Schmidt nicht von ungefähr wie die Personifizierung des Impro-Geistes. Der zeugt mit seiner Betonung von Möglichkeiten statt Fehlern, vom Ja gegenüber dem Nein, von einem außerordentlichen Optimismus. Genau dieser funktioniert für Kimmy in Gefangenschaft und später am Tageslicht wie ein natürlicher Reflex, der das Überleben sichert. Aber er gerät auch zum Problem.

Kimmy als Figur könnte ebenso gut in 5-Minuten-Sketchen andere Figuren oder Moderatoren komödiantisch durch ihre Naivität in den Wahnsinn treiben. Tina Fey und Robert Carlock sind in ihrer Serie allerdings daran interessiert, die Identität ihrer Comedy-Archetypen auf ihre Ursprünge zu durchleuchten. Welche Menschentypen werden durch die exaltierte Broadway-Szene oder die narzisstische Upper Class in Manhattan aus dem Mittleren Westen der USA nach New York gezogen? Und entwickelten sich Kimmys Verhaltensmuster nicht schon vor dem Trauma im Bunker? Entsprechend muss auch Jacqueline in der 2. Staffel lernen, Kimmy als Mensch, statt als Klischee-Strichfrauchen wahrzunehmen.

Kimmy will das Beste in den Leuten sehen und sie will, dass die Leute immer das Richtige tun. Und New York ist wichtig, um diese Einstellung neu einzuschätzen und zu verstehen, dass Menschen nicht immer das Richtige tun werden und dass man sie nicht dazu zwingen kann. Es gibt bestimmte Situationen, die man akzeptieren muss.

Problemlöserin Kimmy wendet sich in einer frühen Episode der 2. Staffel der gutgläubigen Ex-Bunkerbewohnerin Gretchen (Lauren Adams) zu. Diese ist nach der Befreiung gleich dem nächsten Kult in die Arme gelaufen. Unsere Heldin eröffnet ihrer alten Mitbewohnerin New York als Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten zur Selbstfindung. Für die notorische Jasagerin Gretchen eskaliert die Suche dann wie in einer Impro-Session auf herrlich selbstzerstörerische Art und Weise. Kimmys logischer letzter Ausweg: Gretchen muss einfach selbst einen Kult gründen.

Die 2. Staffel von Unbreakable Kimmy Schmidt ist seit Freitag bei Netflix verfügbar.

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