Ayla - Moderne Romeo und Julia-Geschichte von Su Turhan

05.05.2010 - 08:50 Uhr
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Zorro
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In dieser Woche kommt Ayla in die Kinos, ein Film, der nach Gegen die Wand und Die Fremde das Leben einer türkisch-stämmigen Frau in Deutschland beobachtet. Wir präsentieren ein Interview mit dem Regisseur Su Turhan.

Im Interview berichtet Regisseur Su Turhan über seine Arbeit an Ayla, einem Film über die Tochter türkischer Eltern, die in Deutschland augewachsen ist. Sie sucht den schmalen Grat zwischen Bewahrung ihrer türkischen Wurzeln und der Freiheit westlicher Werte.

Wie haben Sie den Stoff zu Ihrem Spielfilmdebüt Ayla entwickelt?
Su Turhan: Ich wollte, dass meinem ersten Film ein spannendes, menschliches Thema zu Grunde liegt, das das Publikum mitreißt und nahe geht. Ich selbst wurde in Istanbul geboren und kam mit meinen Eltern nach Deutschland, als ich zwei Jahre alt war. Daher war es naheliegend und richtig, ein Thema zu wählen, mit dem ich mich auskenne und zu dem ich einen persönlichen Bezug habe. Anfangs wusste ich nur, dass eine starke Frau im Mittelpunkt der Geschichte stehen sollte, die unserem allgegenwärtigen Alltag entspringen musste. Ich liebe starke Frauenfiguren im Kino. Darauf aufbauend wollte ich eine Liebesgeschichte erzählen.

Sie greifen in Ayla Themen wie Liebe, Heldentum und Konflikte zwischen Kulturen auf.
Su Turhan: Absolut. Ich verwende gerne den Begriff ‘archaische Geschichte’, um meinen Film zu beschreiben. Ayla ist sehr zurückhaltend inszeniert, es ist kein Sozialdrama, kein Tagesfall, der abgehandelt wird. Es geht um zwei Familien, beide mit türkischem Hintergrund, die einen etwas liberaler, die anderen erzkonservativ. Irgendwann prallen sie aufeinander.

Eine moderne „Romeo und Julia“-Geschichte?
Su Turhan: Ja, letztendlich steht Shakespeare dafür Pate. Ayla und Ayhan haben ja gemeinsame Wurzeln als Kinder türkischer Eltern. Aber es ist insofern eine ‘verbotene Liebe’, da die dahinterstehenden Traditionen und auch Ideologien, wenn man so will, sich grundlegend unterscheiden. Mir geht es als Regisseur darum, auf funktionierende Mechanismen zurück zu greifen – um sie dann zu variieren und den Zuschauer zu emotionalisieren.

Die Geschichte spielt aber in Deutschland.
Su Turhan: Ayla ist ja auch ein deutscher Film. Einige aus dem Team fanden es erstaunlich, dass die türkisch- stämmigen Darsteller untereinander deutsch gesprochen haben. Aber das ist ganz normal. Auch ich spreche mit meinen Geschwistern deutsch, mit meinen Eltern türkisch. Es würde sich sehr seltsam und unnatürlich anfühlen, mich mit meinem Bruder plötzlich auf Türkisch zu unterhalten. Das ist Teil unserer Sozialisation: Zwei Sprachen, zwei Kulturen.

Wenn zwei Kulturen aufeinander treffen, kommen zwangsläufig immer auch Vorurteile ins Spiel. Sie scheuen sich nicht davor, Klischees im Film zu beleuchten.
Su Turhan: Tatsächlich werden insbesondere mittels der Figur der deutschen Kindergärtnerin Vorurteile gegen Türken aufgezeigt und Saskia Vester präsentiert das in ihrer unverstellten Art auf ziemlich plakative und damit humorvolle Weise. Auf türkischer Seite hingegen ging es mir weniger um den spielerischen Umgang mit Klischees, als darum zu zeigen, dass viele davon tatsächlich zutreffen: Wenn eine junge Türkin zu viel Dekolleté zeigt, ist das in vielen Familien ein ernstes Problem. Wenn Sie aber in der wunderbaren Stadt Istanbul flanieren, sehen Sie Miniröcke und recht luftig gekleidete Frauen. Im Familienumfeld wird dies aber nicht akzeptiert. Jedenfalls nicht, solange die Frau unverheiratet ist und keine eigene Familie hat. Das ist leider kein Klischee. Ayla ist eine moderne Frau, die sich gegen das tradierte Rollenverständnis auflehnt. Aus diesem Grunde wendet sie sich von ihrer Familie ab, findet aber im Laufe des Films langsam zurück.

Ayla ist auch auf der Suche nach ihrer eigenen Identität.
Su Turhan: Ayla hat eigentlich ein wunderbares, selbstbestimmtes Leben. Dennoch fehlt ihr etwas. Man merkt es an ihren Blicken, die eine gewisse Einsamkeit ausdrücken. Es brennt eine Sehnsucht in ihr. Was ihr fehlt, ist die Familie, die sie ein Stück weit verloren hat. Ich mag in dieser Hinsicht konservativ sein, aber ich finde, dass Familie etwas sehr Wichtiges ist. Ayla fehlt aber auch ein Partner. Ihre emotionale Verankerung ist instabil. Das ist ihr Schwachpunkt, ihre Achillesferse.

Wo fühlen Sie sich zu Hause, haben Sie Ihre Identität gefunden?
Su Turhan: Es gab eine Zeit, in der ich alles Türkische abgelehnt habe. Das reichte bis hin zu völlig nebensächlichen Details: Knoblauch zum Beispiel verabscheute ich. Meine arme Mutter musste dann immer kleinere Gerichte ohne Knoblauch für mich kochen. In den letzten Jahren habe ich mich aber auf meine Wurzeln zurück besonnen. Ich habe gemerkt, dass es mir Kraft und Energie raubt, wenn ich meine Herkunft leugne. Daher ist es mir relativ leicht gefallen, diese Geschichte zu schreiben und zu inszenieren. Ich wusste aus eigener Erfahrung, was Ayla durchmacht.

Wo stehen Sie heute?
Su Turhan: Ich bin nicht ganz deutsch und nicht ganz türkisch. Es ist dieses Dazwischensein, was meine Generation ausmacht, die außerhalb ihrer eigentlichen Heimat lebt und eine neue Heimat gefunden hat. Viele europäische Filmemacher leben und arbeiten nicht in ihrer ursprünglichen Kultur. Das ist ein innerer Clash, der immer wieder an die Oberfläche tritt. Wir Filmemacher, die wir nicht hier geboren sind, können mit unseren Geschichten das Ganze bunter und facettenreicher gestalten. Das finde ich spannend.

Trägt ein Film wie Ayla zur besseren Verständigung zwischen Kulturen bei?
Su Turhan: Das würde ich mir wünschen. Bei der Uraufführung in Saarbrücken, beim Max-Ophüls-Preis 2010, hat das tatsächlich funktioniert. Die Liebesgeschichte zwischen Ayla und Ayhan bewirkte, dass die Zuschauer anfingen nachzudenken. Im Publikum saßen Türkisch-stämmige wie Deutsche. Nach der Vorführung kam eine junge Frau auf mich zu, mit Tränen in den Augen, die dieselbe Erfahrung gemacht hatte wie Ayla. Allerdings konnte sie nicht zu ihrer Familie zurückkehren. Sie hat einen deutschen Mann geheiratet und versucht nun über die Zeit, den Kontakt zu ihrer Familie wieder aufzubauen. Auch hier ist das fehlende Glied die Familie, wie bei Ayla. Sie war der Meinung, dass es das Schlimmste ist, seine Familie zu verlieren. Natürlich gibt Ayla keine Anleitung, wie es im realen Leben funktioniert, aber der Film regt an, auf einer menschlichen Ebene zu diskutieren.

Hatten Sie Pegah Ferydoni für die Hauptrolle von Anfang an im Kopf?
Su Turhan: Wir haben ein bundesweites Casting gemacht. Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings bereits eine Kandidatin im Kopf, die ich zusammen mit Pegah Ferydoni und anderen jungen Frauen zu einem ersten Casting-Termin eingeladen habe. Pegah war aber so stark, dass sie das andere Mädchen, welches die Rolle so gut wie in der Tasche hatte, einfach gegen die Wand gespielt hat. Damit war das Casting schon am ersten Tag entschieden.

Was hat Sie an Pegah Ferydoni überzeugt?
Su Turhan: Bei ihr wurden die Drehbuchseiten, die ich vorgelegt hatte, auf einmal lebendig, das war Ausschlag gebend. Ich wollte mich zuerst um die weibliche Hauptrolle kümmern, bevor ich den männlichen Hauptdarsteller auswählte. Schlussendlich haben wir ein persisches Paar genommen, die Türken spielen.

Wie lange hat es gedauert, bis Ayla in Produktion ging?
Su Turhan: Wir haben vier Jahre am Buch gearbeitet, davon zwei Jahre parallel dazu finanziert. Die Redakteurinnen und Produzenten haben an mich geglaubt, obwohl ich filmischer Autodidakt bin, und kein Filmhochschüler.

Wie sind Sie zum Film gekommen?
Su Turhan: Meine ersten Regieerfahrungen machte ich beim Schultheater. Während dieser Zeit habe ich eine kleine freie Theaterproduktion gefunden, die ein Stück bei mir in Auftrag gegeben hat. Das Ensemble bestand aus ambitionierten Laien. Ich habe für sie „Leben im Sonderangebot“ geschrieben. Dabei ging es um Angestellte in einem Supermarkt. Das hat ganz wunderbar funktioniert und viel Freude gemacht. Später habe ich bei der Kirchgruppe im Bereich Drehbuch/Lektorat gearbeitet. Parallel war ich am Set als Aufnahmeleiter und Regieassistent bei HFF-Produktionen tätig.

Wodurch haben Sie das Technische, das Handwerkliche an der Filmarbeit gelernt?
Bei den Italienern existiert ein besonderer Ausdruck: „Mit den Augen stehlen“. Genau das war meine Ausbildung. Ich habe geguckt, wie andere es machen. Auch als Komparse habe ich gearbeitet, um zu sehen, wie ein Set funktioniert. So habe ich meinen Weg gefunden – und irgendwann war die Zeit reif für den ersten eigenen Kurzfilm.

Sie haben im Folgenden drei Kurzfilme gedreht, zwei davon wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und erhielten das Prädikat “Besonders Wertvoll”.
Su Turhan: Ja. Das waren wichtige Erfolge für mich, die meine Arbeit bestätigt haben. Ein tolles Gefühl. Bei den Kurzfilmen „Triell“ und „Gone Underground“ gelang es mir sogar, Kameramann Michael Ballhaus zu gewinnen.

Womit haben Sie Michael Ballhaus überzeugt?
Su Turhan: Mit einem abgefahrenen Drehbuch. (lacht) „Gone Underground“ bestand aus lediglich acht Seiten. Mein damaliger Koproduzent Gerhard Baier fragte mich eines Tages, mit wem ich am liebsten drehen würde. Ich sagte: Michael Ballhaus. Ich habe ihm das Drehbuch geschickt, auf gut Glück. Dann haben wir uns tatsächlich in Hamburg getroffen und uns eine geschlagene Stunde unterhalten, in der ich ihm meine Vision geschildert habe. Vielleicht hat es ihm imponiert, dass ich mir das Handwerk als Regisseur selbst beigebracht habe – er hat ja ebenfalls keine Hochschule absolviert. Jedenfalls zückte er plötzlich seinen Terminkalender und meinte, an diesem Wochenende treffe er Martin (Martin Scorsese), am darauffolgenden Robert (Robert de Niro). Aber dann hätte er frei. Mir wurde ganz schummrig, als ich diese Namen hörte. Das Problem war aber, dass uns mit Michael nur mehr vier Wochen Zeit blieben, das Projekt zu realisieren. Das habe ich ihm damals natürlich nicht gesagt und am Ende hat alles geklappt, dank eines sehr gut organisierten und motivierten Teams.

Motiviert Sie das weiter zu machen?
Su Turhan: Absolut. Ich habe von Anfang an gemerkt, Filme machen ist ganz genau das, was ich will. Natürlich war die Arbeit anstrengend. Es ist nie einfach, solche Projekte zu stemmen. Nun lebe ich aber seit vielen Jahren als Regisseur und Drehbuchautor. Mal läuft es besser, mal schlechter. Aber meine Entscheidung, diesen Weg gegangen zu sein, bereue ich keine Sekunde.

Beim Max Ophüls Preis fand die Uraufführung von Ayla statt. Was haben Sie aus den Zuschauerreaktionen mitgenommen?
Es war überwältigend: Als der Abspann lief, war alles mucksmäuschenstill. Dann brach der Applaus los. Das war ein erhebender, ganz besonderer Moment. Alle vier Vorstellungen waren ausverkauft, sodass wir noch eine Zusatzvorstellung machen mussten. Irgendwie schafft es der Film den Zuschauer zu packen. Natürlich ist es bei einer Liebesgeschichte immer eine Gratwanderung, ins Kitschige abzudriften, aber das wollte ich um jeden Preis vermeiden. Und das ist mir, denke ich, auch gelungen. In Ayla sind die Gefühle gewissermaßen die Spezialeffekte.

Mit Material von ZorroFilm

Ayla startet am 06. Mai 2010 in den deutschen Kinos. Wenn Du wissen willst, ob der Film in Deiner Nähe läuft, dann schau doch bitte in unser Kinoprogramm.

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