Barry Lyndon - Kubricks missverstandenes, satirisches Meisterwerk

18.10.2016 - 09:40 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Barry Lyndon, mit Ryan O'NealWarner Bros.
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Stanley Kubricks Literaturverfilmung Barry Lyndon galt lange Zeit als sein wahrscheinlich schwächster Film. Dem möchte ich aber in diesem Herz für Klassiker-Artikel widersprechen und zeigen, was für mich Barry Lyndon so besonders macht.

Als die Regie-Legende Stanley Kubrick seine Saga um den Aufstieg und Fall des Barry Lyndon im Jahr 1975 veröffentlichte, zeigte sich das Publikum weniger begeistert. Nachdem er vier Jahre zuvor mit Uhrwerk Orange das Publikum und die Kritiker gleichermaßen schockte, erwartete man höchstwahrscheinlich wieder einen kontroversen Film mit schweren Themen. Aber Barry Lyndon war anders, langsamer, ruhiger und besaß keine Momente, bei denen Zuschauer reihenweise den Kinosaal verließen. Aus diesem Grund galt das Werk lange Zeit als seelen- und emotionslos, trotz der für Kubrick üblichen technischen Meisterleistung. Ich möchte dem aber widersprechen und Barry Lyndon zu Kubricks vergessenem Meisterwerk erklären.

Barry Lyndon erzählt die Geschichte von Redmond Barry (Ryan O'Neal), der Ende des 18. Jahrhunderts seine Heimat Irland verlassen muss, nachdem er in einem Pistolenduell scheinbar einen englischen Offizier erschossen hat. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Redmond schließt sich in England aus Geldnot der Armee an und kämpft auf dem Festland im Siebenjährigen Krieg. Noch während der Krieg tobt, desertiert Redmond mit der Hilfe des Chevalier du Balibari (Patrick Magee) und reist mit ihm durch Europa, wodurch er das Leben in der feinen Gesellschaft kennen lernt. In der Absicht, auch ein Teil davon zu werden, beginnt er eine Affäre mit der adligen Lady Lyndon (Marisa Berenson), die er später, zum Missfallen ihres Sohnes Lord Bullingdon (Leon Vitali), heiratet. Redmond, der seinen Namen in Barry Lyndon ändert, muss aber schon bald feststellen, dass sein gesellschaftlicher Aufstieg nicht von langer Dauer ist.

Barry Lyndon

Part I: Vom Gemälde zum bewegten Bild

Nach 2001: Odyssee im Weltraum begann Stanley Kubrick, an einem Biopic über Napoleon Bonaparte zu arbeiten. Da dieses Projekt aber zu groß und aufwendig wurde, benutzte er seine Recherchen über die Epoche sowie die schon angefertigten Kostüme dazu, die satirische Novelle The Luck of Barry Lyndon von William Makepeace Thackeray aus dem Jahr 1844 zu verfilmen. Hiefür ließ der Perfektionist Kubrick sich etwas Besonderes einfallen, um die Welt des späten 18. Jahrhunderts realistisch auf der großen Leinwand zum Leben zu erwecken: Zusammen mit seinem Kameramann John Alcott, der für Barry Lyndon mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, ließ er sich für viele Aufnahmen in dem Historienfilm von zeitgenössischen Gemälde inspirieren und kopierte teilweise Details aus den Bildern für die Inneneinrichtungen. Eine weitere technische Meisterleistung des Regisseurs war sein reduzierter Einsatz von künstlichen Lichtquellen, der besonders in den berühmten Kerzenschein-Szenen deutlich wurde. Hierfür benutzte Kubrick eine für NASA hergestelltes Kameraobjektiv von Carl Zeiss, die ultra-schnelle Aufnahmen machen konnte und das schwache flackernde Licht der Kerzenflammen besser einfing. Die Kamera-Arbeit in Barry Lyndon lässt die Augen des Zuschauers förmlich über den Bildschirm gleiten und irgendwann kann man nicht anders, als jedes kleine Detail in den Kostümen, der Umgebung oder den Requisiten auszumachen. Der teilweise auch an Originalschauplätzen gedrehte Film, bietet aber über das Optische hinaus Details, die sich beispielsweise in den authentisch nachgestellten Schlachtszenen, der zeitgenössischen Musik und den von den Figuren gesprochenen Sprachen (vornehmlich Englisch, Deutsch und Französisch) wiederspiegeln. Barry Lyndon ist eine für Stanley Kubrick typische Arbeit, die auf der technischen Seite und in der Inszenierung keine Kritik zulässt.

Eine Kerzenschein-Szene in Barry Lyndon

Part II: Der wahre Kern von Barry Lyndon

Der mit über 3 Stunden längste Kubrick-Film verlangt, wie schon 2001: Odyssey im Weltall, von seinem Zuschauer, sich den Film wirklich anzuschauen und ihm aufmerksam zu folgen. Die Spannung entsteht hauptsächlich dadurch, dem Betrüger Redmond Barry durch die Höhen und Tiefen seines Lebens zu folgen. Barry ist ein äußerst cleverer Charakter, der rastlos auf der Suche nach seinem persönlichen Glück ist, und bis zu einem gewissen Punkt wünscht man es ihm auch, bis ihn sein neuer Reichtum korrumpiert. Seinen Gegenpart übernimmt Lord Bullingdon, dessen Charakter vor allem durch seinen Hass auf seinen Stiefvater geprägt ist, der seiner Auffassung nach nicht in die Adelsfamilie passt. Bullingdon befindet sich bereits dort, wo Barry hinwill, ist aber wuterfüllt, zynisch und melancholisch. Sein schmächtiges Aussehen und seine blasse Haut stehen im Gegensatz zu dem kräftigen Barry. Jedoch sind Bullingdons Motive nachvollziehbar, da sich sein Stiefvater ihm gegenüber wie ein Monster verhält und seine Mutter sogar betrügt. Der größte Teil der Nebenfiguren, allen voran jene, die dem Adel angehören, wirkt tatsächlich etwas kalt und emotionslos. Jedoch sehe ich darin nicht einen Kritikpunkt, sondern eine gewollte Darstellung. Die Romanvorlage war eine Satire, weswegen diverse Figuren aus den bestimmten Milieus bewusst überzeichnet wurden. Der Adel soll kalt und emotionslos erscheinen. Sie sind über die bürgerlichen Manieren von Redmond Barry teilweise schockiert und dieser kann sich ebenso nicht mit den Pflichten des Lebens im Adel anfreunden. Der Zuschauer soll weniger emotional an dem Leben des Protagonisten teilnehmen, sondern durch ihn die fremde Welt des Adels sehen, die selbst für einen Aufsteiger wie Barry Lydon letztendlich keinen Platz in ihren Reihen hat und ihn lieber in Armut sterben lässt. Wie passend, dass sich Kubrick, der Autoritätspersonen misstraute und die Lebenswelt der Hollywood-Elite mied, dieses Themas annahm.

Was ist eure Meinung zu Stanley Kubricks Barry Lyndon?

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