Berlinale 2018 - Es hätte wesentlich schlimmer kommen können

25.02.2018 - 11:35 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Transit: Kein Preisträger, aber einer der besten Filme der Berlinale 2018
Piffl Medien
Transit: Kein Preisträger, aber einer der besten Filme der Berlinale 2018
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Die Jury überraschte mit ihrer Entscheidung für Touch Me Not als Gewinner des Goldenen Bären. Anstatt einmal mehr den Kopf zu schütteln über die Berlinale, ist es an der Zeit für Lob.

Die Berlinale ist wie kein anderes Filmfestival, das ich besuche. Im Vorfeld macht sie mir nämlich Angst. Sofern ein Filmfestival jemandem Angst machen kann, der nicht an Agoraphobie leidet, eine Traumatisierung durch Bären erlitten hat oder vor jovialen Herren in schwarzen Hüten und roten Schals Reißaus nimmt. Von den ersten Ankündigungen wird jedes Jahr aufs neue diese markdurchdringende Ungewissheit geschürt, was man diesmal ertragen muss, ob denn wenigstens ein, zwei filmische Rettungsringe ins Kino geworfen werden und wann die Berlinale-Erkältung zuschlagen wird. In andere Festivals lasse ich mich fallen, die Internationalen Filmfestspiele von Berlin bedeuten einen maximalen Planungsaufwand zur cinephilen Leidminimierung. Bei 385 Filmen im Programm ist diese Vorbereitung unerlässlich, meine Festival-Neurosen waren aber auch dieses Jahr einigermaßen lächerlich. Die Berlinale 2018 bot sogar einen spannenden Wettbewerb, der formal mehr Vielfalt bot, als bei diesem dezidiert politischen Festival erwartet werden kann.

Als gestern Abend der Gewinner des Goldenen Bären bekanntgegeben wurde, brachen ein paar Kollegen in der Presselounge in heftiges Gelächter aus. Die experimentelle Doku-Fiktion Touch Me Not von Regiedebütantin Adina Pintilie aus Rumänien spaltete die Kritik, wobei anteilsmäßig sieben Achtel auf Verrisse entfielen. In der Kritiker-Jury des Magazins Screen D aily , der ersten Seite, die an jedem Berlinale-Morgen aufgeschlagen wird, landete Touch Me Not eine Wertung von 1,5 von 4 Sternen. Die Entscheidung der Jury unter Vorsitz von Tom Tykwer überraschte, gelinde gesagt. Andererseits passt sie durchaus zu einem Wettbewerb, der vielleicht nicht der stärkste der letzten Jahre war, aber eine filmische Vielfalt bot, wie sie im Hauptprogramm der Berlinale nicht selbstverständlich ist. In der Konkurrenz gab es nicht mal einen Film über Zwangsheirat!

Deutsche waren nicht unter den Gewinnern

An der deutschen Präsenz lässt sich das ablesen. Da wäre die Romy Schneider-Rauchschwade 3 Tage in Quibéron, die qualitativ leicht über Berlinale Special-Format spielt, wobei es sich hier um eine Millimeter-Entscheidung handelt. Wie es der Film in den Wettbewerb geschafft hat, erschließt sich mir noch immer nicht wirklich, aber andererseits lief hier schon mal ein steriler Langweiler wie Als wir träumten. Als Stellvertreter des seriösen deutschen Unterhaltungskinos hätte es wesentlich schlimmer kommen können.

Am entgegengesetzten Ende des Berlinale-Spektrums findet sich Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot von Philip Gröning (Die große Stille). Um die 170 Minuten beobachten wir darin zwei spärlich bekleidete Geschwister, die unter Sommerhitze in einem Feld hocken und einander Heidegger und Augustinus und Überraschungseier erklären. Zwischendurch gehen sie auch mal schwimmen oder Bier holen in der Tanke. Die Stunden ziehen sich hin, das gehört zum Konzept des Films, in dem die Kindheit in einem Einmachglas konserviert werden soll, bevor die Abi-Prüfung und damit die Trennung ansteht. Dieser Robert beginnt wie die Karikatur eines Festivalfilms und endet als Pauspapier von Haneke oder Seidl. Dazwischen aber entwickelt er ein Eigenleben wegen der intimen Dynamik seiner beiden Hauptdarsteller und des inszenatorischen Eigensinns auf Seiten der Filmemacher. Einen Gröning vom anderen zu unterscheiden, scheint mir noch immer schwer. Doch kein anderer deutscher Film wird dieses Jahr so aussehen und sich so anfühlen wie Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot. Nicht zuletzt weil er dazu einlädt, sich an ihm zu reiben.

Irgendwo zwischen Quibéron und Robert liegt die Rogowski-Enklave mit Transit und In den Gängen. Transit ist der beste der rund 60 Filme, die ich dieses Jahr aus dem Programm gesehen habe. Petzold-Hasser (ich hörte diesbezüglich das Wort "Kunstscheiße") wird er nicht bekehren, braucht er nicht. Die können dann eben In den Gängen schauen, mit dem sich Thomas Stuber nach Teenage Angst und Herbert in Richtung Komödie wagt, was den Gestaltungswillen von Stuber und Stammkameramann Peter Matjasko allerdings nicht einschränkt. Dass am Ende keiner der deutschen Filme einen Bären erlegen konnte, ist nebensächlich. Es war ein guter Jahrgang, bis in die Perspektive deutsches Kino hinein, wo der Okkult-Thriller Luz von Tilman Singer sich im (Berberian) Sound Studio austobte. Wieder eine ganz andere Richtung als das, was im Wettbewerb zu sehen war. Gut so.

Ein gar nicht mal schlechter Wettbewerb

Abseits des Goldenen Bären lag die Jury durchaus auf Wellenlänge der Kritiker. The Heiresses aus Paraguay gehört zu den Geheimtipps des Festivals und gewann den Preis für die Beste Darstellerin und den Alfred Bauer-Preis für neue Perspektiven. Die genau beobachtete Tragikomödie über eine Malerin (Ana Brun) die durch den Gefängnisaufenthalt ihrer Lebensgefährtin einige Stufen auf der sozialen Leiter herabsteigt, legt sich selbst ein Dutzend Fallstricke aus, um diese danach alle elegant zu umgehen. Gloria von Sebastián Lelio kommt in den Sinn.

Wes Andersons Isle of Dogs - Ataris Reise wurde mit dem Regiepreis ausgezeichnet und wenn man den Animationsfilm (Screen-Note: 3,3 von 4) für eines belohnt, dann die Inszenierung, war doch das Drehbuch dessen größte Schwäche. Der vergnügliche Heist-Film Museum wurde eben dafür ausgezeichnet. Der gesprächige Dovlatov, in dem Aleksey German Jr. durch eine intellektuelle Eiszeit im Russland der 70er spaziert, wurde von manchen als Favorit auf den Bären gehandelt und erhielt einen Preis fürs Kostümdesign. Ob der junge Anthony Bajon einen Darstellerpreis für The Prayer verdient, in dem er als Drogensüchtiger zum Glauben findet, bleibt diskutabel. Allerdings ist zu begrüßen, dass hier mal eine Darbietung gelobt wurde, die Schauspiel nicht als Aneinanderreihung von Gefühlsausbrüchen begreift. Bajon ist in so gut wie jeder wortkargen Szene dieses Films zu sehen. Er trägt ihn stärker noch als die omnipräsenten Berge. Ohne viel zu tun. Womit er schon sehr viel tut.

Wie schon im letzten Jahr, als die ungarische Schlachthaus-Romanze Körper und Seele ausgezeichnet wurde, ging der Hauptpreis mit Touch Me Not an einen eher unpolitischen Film. Fündig wird man dahingehend bei Mug von Malgorzata Szumowska, der die Scheinheiligkeit der polnischen Provinz mit Hilfe einer riesigen Jesus-Statue und eines medizinischen Wunders zerlegt. Die satirische Tragikomödie bietet unter anderem die lustigste Exorzismus-Szene seit Jahren. Das ist nicht subtil, aber einer 36 Meter hohen Christusfigur  muss man etwas ebenbürtiges entgegenhalten.

Massive Durchhänger im Wettbewerb, darunter der enervierend auf Krawall gebürstete The Real Estate, waren selten. Das Niveau blieb im Verlauf der 10 Wettbewerbstage einigermaßen konstant. Mit dem Plansequenz-Massaker in U - July 22, dem idiotischen Robert und eben Touch Me Not bot die Berlinale Ansätze zur Kontroverse. Die kann eben auch Zeichen einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit Film sein - und nicht nur mit den "großen Themen", die Programm und Presseauftritte des Festivaldirektors Dieter Kosslick proklamieren. Es war ein gutes Jahr. Das muss auch mal gesagt werden.

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