Ein Jugendlicher kommt nach Jahren aus dem Knast. Er hat als Kind ein schreckliches Verbrechen begangen und soll sich nun, unter neuem Namen und neuer Identität wieder in die Gesellschaft einfügen.
Mit Boy A verfilmte John Crowley den gleichnamigen Roman von Jonathan Trigell. Dabei führte ein glücklicher Zufall zwei Kreative zusammen, die bereits an einem gemeinsamen Stoff arbeiteten: Drehbuchautor Mark O’Rowe und Regisseur John Crowley.
„Channel 4 rief mich an und erwähnte einige Projekte, die ich mir genauer ansehen sollte. Eines davon war Marks Skript“, erzählt Crowley. „Sie wussten, dass ich Mark seit Jahren kenne und dass wir gemeinsam ein anderes Drehbuch entwickelten.“
BOY A ist Crowleys zweite Zusammenarbeit mit O’Rowe. Zuvor realisierten sie 2003 den hoch gelobten Film Intermission, für den Crowley als Bester Nachwuchsregisseur mit dem British Independent Film Award ausgezeichnet wurde. Der Anruf von Channel 4 war jedoch nicht Crowleys erster Kontakt mit BOY A.
„Ich wusste, dass Mark an dem Projekt arbeitete, denn er erwähnte es hin und wieder“, erinnert sich der Regisseur. „Beim Lesen hat es mich völlig umgehauen. Ich setzte mich sofort mit Channel 4 in Verbindung und bettelte regelrecht darum, es so schnell wie möglich umzusetzen.“ Nicht nur Crowley drängte auf schnellen Produktionsbeginn:
„Mark war von meiner Zusage begeistert und hätte am liebsten sofort mit dem Dreh begonnen. Alles lief ziemlich rasant, fast atemlos.“
Auch Autor Mark O‟Rowe erinnert sich an die denkwürdige Vorgeschichte von BOY A: „Als
ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, haben mich die ersten beiden Kapitel ziemlich
beunruhigt. Man weiß, dass Jack ein schreckliches Verbrechen begangen hat, aber man ahnt das Ausmaß nicht. Das erzeugt eine ungeheure Spannung. Unser Ziel im Film war, dass die Zuschauer Jacks Charakter extrem nahe kommen, bevor wir den Grund seiner langen Haft verraten.“
Bereits sehr früh ahnte Crowley, dass die größte Herausforderung bei BOY A in der Suche
eines Hauptdarstellers lag, der der Komplexität der Rolle gerecht werden konnte. „Bei diesem Projekt hatte das Casting Schlüsselfunktion, denn wir wollten einen Schauspieler, zu dem wir unmittelbar Bezug finden konnten“, erinnert sich Crowley.
„Wir trafen viele hervorragende Darsteller. Doch als wir Andrew Garfield s Video sahen – er war zu diesem Zeitpunkt in Los Angeles und drehte VON LÖWEN UND LÄMMERN – war die Suche beendet.“
In seiner Rolle als Jack entwickelte Andrew Garfield eine naive, sympathische Figur – einen jungen Mann zwischen vorschnell beendeter Kindheit und verpasstem Erwachsenwerden.
„Man erlebt ihn als normalen jungen Mann, der sich einer Welt anzupassen versucht, die er nicht richtig versteht – eigentlich wie jeder Jugendliche“, erklärt Garfield. „Wir folgen also einer universell gültigen Entwicklung – bis wir die verstörende Vorgeschichte erfahren.“
Über den gesamten Film ist das Publikum Teil der Geschichte, da viele Aspekte sehr realistisch umgesetzt werden. „Am Anfang erscheint Jack einfach als gutmütiger junger Erwachsener. Dieses Stadium der Geschichte ist wichtig für den Aufbau des Charakters, da sich der Zuschauer emotional auf seine Seite schlagen kann. Wir begleiten ihn solidarisch auf seiner Reise durch die Gesellschaft – bis zu dem Punkt, an dem wir die schreckliche Vorgeschichte erfahren“, beschreibt O‟Rowe.
Regisseur John Crowley ergänzt: „Jack wirkt wie ein kleiner Junge im Körper eines Mannes. Mit Mitte 20 aus dem Gefängnis kommend, hat er seine Jugend nie wirklich gelebt. Sein unbeholfener Umgang mit Michelle ist regelrecht rührend – man möchte ihm beinahe helfen und die passenden Worte einflüstern. Auch Jacks erster Arbeitstag verläuft sehr berührend.
Die ständige Angst, entdeckt zu werden, sein verzweifeltes Bedürfnis nach Anerkennung und seine Gier nach ‚richtigem„ Leben machen die Geschichte intensiv. Jeden Tag zur Arbeit gehen, sich mit einem Mädchen verabreden – ganz normale Dinge, aber große Leistungen für Jack. Der Zuschauer drückt ihm dabei zunächst alle Daumen.“
„Jack ist unlösbar an sein Schicksal gebunden: Das wird im Verlauf der Geschichte deutlich, aber auch in den Rückblenden“, so Crowley. Andrew Garfields Verkörperung des Jack nennt er eine „unglaubliche Performance“.
BOY A emotionalisiert und polarisiert. Er stellt eine Reihe schwieriger Fragen, die niemanden kalt lassen können. Erst recht nicht die Schauspieler: Über mehrere Monate beschäftigten sie sich mit ihren Reaktionen auf die Geschichte. Für viele änderte sich die Perspektive kontinuierlich: „Meine Gefühle gegenüber unserem Thema waren eine verwirrende Mischung aus richtig und falsch. Eigentlich sind sie es noch immer.
Aber dass es keine einfache Lösung gibt, macht BOY A zu einem großartigen Drama.