Andor ist keine gewöhnliche Star Wars-Serie. Auf den ersten Blick wirkt der Ableger um den von Diego Luna verkörperten Cassian Andor wie eines von vielen Spin-offs, die nur existieren, um an den Erfolg einer beliebten Geschichte anzuknüpfen – in diesem Fall Rogue One. Serienschöpfer Tony Gilroy hat im Verlauf der zwei Staffeln von Andor aber mehrmals bewiesen, dass er tatsächlich etwas Neues zu erzählen hat.
Wo sich Star Wars in den vergangenen Jahren überwiegend in die Verwaltung seines mit Nostalgie aufgeladenen Vermächtnisses gelehnt hat, skizziert Gilroy die biser radikalste Version des Sternenkriegs, indem er moralische Grauzonen zwischen Rebellen-Allianz und Imperium durchleuchtet. Sein kompromissloser Ansatz geht jedoch noch weiter und macht auch vor dem Re-Casting einer bekannten Figur keinen Halt.
Achtung, es folgen Spoiler!
Neuer Schauspieler für Bail Organa in Andor: Benjamin Bratt tritt in die Fußstapfen von Jimmy Smits
In der 2. Staffel von Andor bringen Gilroy und sein Autorenteam Bail Organa zurück. Der von Alderaan stammende Senator ist eine Schlüsselfigur der Rebellen-Allianz und hatte bereits in der Prequel-Trilogie (Episode II und III) mehrere Auftritte. Gespielt wurde er damals von Jimmy Smits, der die Rolle später auch in Rogue One sowie der Obi-Wan Kenobi-Serie übernahm – alles im Sinne der Kontinuität eines Cinematic Universe.
Andor besetzt nun allerdings mit Benjamin Bratt einen anderen Schauspieler für die Rolle, was aus Sicht mancher Fans einem Sakrileg gleichkommt. Wie können sie es wagen, Bail Organa neu zu casten? Jimmy Smits ist doch nur einen Telefonanruf entfernt? Seid unbesorgt: Hinter den Kulissen des Star Wars-Universums ist kein böses Blut geflossen. Smits hatte schlicht keinen Platz in seinem Terminkalender.
Das passiert in Hollywood immer wieder, vor allem, wenn eine Serie über mehrere Jahre hinweg gedreht und dann auch noch von einem Schauspielstreik unterbrochen wird. Tony Gilroy hat in diversen Interviews verlauten lassen, dass er alles daran gesetzt hat, um Smits wieder als Bail Organa zu bekommen. Doch es hat einfach nicht funktioniert. Bratt kam als Ersatz an Bord – und bereichert Andor ungemein.
Der neue Bail Organa passt perfekt in Andor Staffel 2 und erweitert den Blick auf die vertraute Figur
Benjamin Bratt bringt seine eigene Interpretation der Figur mit, die einen Tick rauer ausfällt, als wir es von Smits gewohnt sind. Der zeichnete Bail Organa zuletzt als versöhnliche Vaterfigur im Zusammenspiel mit der jungen Prinzessin Leia und war auch zuvor eher die Stimme von Vernunft und Besonnenheit in der Prequel-Trilogie. Bratts Blick wirkt dagegen deutlich grüblerischer, mitunter sogar erschöpfter und müde.
Das passt zum Tonfall der Serie: In Andor rückt der Zeiger auf der Weltuntergangsuhr mit jedem Arc einen beunruhigenden Schritt vorwärts, ehe die geballte Kraft des Todessterns entfesselt wird und die Überreste der Demokratie endgültig zerstört. Noch gibt es den Senat, in dem Bail Organa seine Stärken ausspielen kann, wenn er Mon Mothma für ihre entscheidende Rede die Bühne bereitet – aber nicht mehr lange.
"Tear the shit out of this place", gibt er seiner Senatskollegin mit auf den Weg und bringt die Dringlichkeit des Augenblicks auf den Punkt. Coruscant hat sich in ein Pulverfass für die Weichensteller:innen der Rebellion verwandelt. Es ist schwer vorstellbar, ob diese Worte aus dem Mund von Jimmy Smits dieselbe Intensität besitzen würden. Andor holt alles aus den ungeahnten Möglichkeiten des Re-Castings heraus.
Star Wars muss endlich mehr Re-Castings wagen, um freier und mitreißender erzählen zu können
Das traut sich Star Wars viel zu selten: In den vergangenen Jahren operierte die Saga in einem Modus, bei dem alles darum ging, Legacy-Figuren so zurückzubringen, wie wir sie in Erinnerung haben. Der traurige Tiefpunkt dieser Entwicklung sind die Auftritte von Luke Skywalker im Mandoverse, der von einem digital verjüngten Mark Hamill (sowie einem Double und sehr viel Rechenleistung) zum Leben erweckt wurde.
Die Neubesetzung einer Figur ist die absolute Notlösung, da der Schock über das Scheitern von Solo: A Star Wars Story nach wie vor tief sitzt. Genauso wie bei Bail Organa schließen sich die zwei Versionen von Han Solo keineswegs aus. Alden Ehrenreich eröffnet durch sein Spiel eine neue Perspektive auf eine Figur, die wir jahrzehntelang nur von Harrison Ford kannten – und das, ohne dessen Erbe zu beschädigen.
Star Wars wird nur reicher und flexibler im Geschichtenerzählen, wenn nicht alles darauf ausgelegt wird, dass wir ein vertrautes Gesicht wiedersehen. Denn meistens geht es genau nur darum: Hier ist Luke Skywalker, bitte applaudieren, fertig. Gilroy hingegen hat wirklich etwas zu sagen und nutzt Bail Organa, um sein komplexes Gebilde an politischen Prozessen zu verdichten. Kein Fanservice, kein Selbstzweck.
In Andor pulsiert das Anliegen, eine Geschichte mit bekanntem Ausgang so packend und unerwartet wie möglich zu erzählen. Viel zu oft steht sich Star Wars bei seiner Vermächtnisverwaltung in diesem Punkt selbst im Weg, weil ein unfassbarer Aufwand betrieben wird, um diese eine verklärte Erinnerung an Luke Skywalker aufrechtzuerhalten. Und dann blicken wir in die toten Augen eines digitalen Geists.
In Benjamin Bratts Augen lodert dagegen der Funke der Rebellion.