Der Film als gewalttätiges Medium

17.02.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Der andalusische Hund
Microcinema International
Der andalusische Hund
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In einer 6-teiligen Reihe nähert sich Ferch dem Bedingungsverhältnis von Film und Gewalt. Die Themen reichen von den Wahrnehmungsexperimenten des Stummfilms bis zu den heutigen “sauberen” Gewaltinszenierungen des Blockbuster-Kinos.

In Man of Steel, Supermans neuester Leinwand-Inkarnation, bedroht General Zod, ein grausamer Tyrann vom fernen Planeten Krypton, die Erdbevölkerung. Er versetzt die gesamte Menschheit in Angst und Schrecken mit seinem Plan, durch ein gigantisches Geomorphing-Projekt die Erde zu vernichten. Schließlich prügelt Superman den Schurken und seine Bande kaputt, wobei halbe Städte in Schutt und Asche gelegt werden. In dem Superhelden-Film von Zack Snyder finden sich drei Arten von Gewalt. Zum einen zeigt sich im Kräftemessen der Helden und Feinde eine direkte leibliche und zerstörerische Gewalt. Zum anderen zieht der Film seine Spannung aus einer indirekt wirkenden, psychischen Gewalt – der Angst vor einem übermächtigen, die Menschheit terrorisierenden Wesen. Hinter den physiologischen und psychologischen Elementen verbirgt sich noch ein dritter Gewaltaspekt, der einer strukturellen Gewalt. Diese Art von Gewalt bezeichnet die Freiheitseinschränkung Einzelner. Der Begriff lässt sich auf Man of Steel anwenden, da hier eine absolute Weltbeherrschungsfantasie vorgestellt wird, nicht unähnlich einer totalitaristischen Diktatur.

Filmtheoretisches
In der Filmtheorie gibt es neben diesen inhaltsbezogenen Aspekten auch Tendenzen, die den Film selbst als ein gewalttätiges Medium beschreiben. Etwa, dass der Film schon immer dazu geneigt hat, Gewalt abzubilden (Michael Pourlet); dass ein potentiell-allgegenwärtiges Kameraauge die Welt durchdringt und damit in Konkurrenz zur Wirklichkeit tritt (Rick Trader Witcombe) und; dass die technischen Aspekte des Mediums Gewalt ausüben, da sie mit der Trägheit des menschlichen Auges spielen, welches leicht durch Schnitt- und Montagetechniken zu manipulieren ist (Philip French). Gemein ist diesen Ansätzen, dass sie davon ausgehen, dass die Darstellungs- oder Stilmittel des Films eine ästhetische Form von Gewalt erzeugen (Margaret Bruder). Beispielweise präsentiert Man of Steel ein globales gar interstellares Szenario, das mit der Illusion eines allgegenwärtigen Kameraauges spielt. Der Untergang Kryptons wird uns ebenso selbstverständlich gezeigt, wie Ereignisse in weit auseinander liegenden Orten und Zeiten auf der Erde. Dazu weist der Film eine sehr hohe Schnittfrequenz auf sowie stark beschleunigte Bewegungsabläufe des Kampfgeschehens, denen teilweise schwer zu folgen ist. Augenscheinlich sind die Zuschauer gegenüber den Inszenierungsverfahrens dieses Films körperlich im Nachteil. Anders gesagt, dem Zuschauergenuss wurde im gewissen Maße Gewalt angetan.

Die Gewalt filmischer Darstellungsmittel
Doch diese Schwelle zu dem, was noch ertragbar ist und gleichzeitig auf eine neue Art der Wahrnehmung abzielt, bestimmte von Beginn an die Eigenart des Mediums Film. Seine technisch-visuellen Inszenierungsverfahren dienten schon immer dazu, die natürlichen Sehgewohnheiten des menschlichen Auges anzugreifen. Die Wahl des Bildausschnitts (Kadrage), des Bildaufbaus (Mise en Scène), der Zusammenführung unterschiedlichster Einzelbilder und Sequenzen (Montage) und vor allem der Filmschnitt, der aus einzelnen Szenen erst eine zusammenhängende Filmerzählung macht, verfremden die Elemente der abgebildeten, uns bekannte Welt. Dadurch bricht die Kontinuität von Raum und Zeit der Wirklichkeit auf und es wird etwas sichtbar, das unter der Oberflächliche unserer alltäglichen Erfahrung verborgen ist. Das Kino, die Spielstätte des Films, bildet gegenüber den Realitätszwängen unserer Welt einen Möglichkeitsraum aus, in der Filmemacher kraft ihrer Fantasie solches noch nicht Dagewesenes erscheinen lassen. Diese Macht des Films ist, überspitzt gesagt, einem Akt der Gewalt gleichzusetzen, denn er zerschlägt gängige Wahrnehmungsmuster, um eine neue Sicht auf die Welt zu induzieren.

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