Deutschland 09: Interview mit Sylke Enders

24.03.2009 - 11:00 Uhr
Sylke Enders
Jörg Gruber
Sylke Enders
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Regisseurin Sylke Enders gibt Auskunft über ihren Episodenfilm Schieflage.

Die Filmemacherin Sylke Enders (Kroko, Mondkalb) spricht im Interview über Suppenküchen für Kinder und über ihre Freude, wenn der Funke bei der Arbeit überspringt.

Wie ist die Idee zu Schieflage entstanden?
Ich hatte per Zufall einen Bericht über die “Spirellibande” in Potsdam gesehen, eine Suppenküche für Kinder, und das blieb haften. Die Geschichte kam dann eher intuitiv. Ich habe zunächst drei Fragmente, drei Figuren zusammengebracht und alles einfließen lassen, was mir so in den Kopf kam. Erst danach bin ich nach Potsdam gefahren und habe überprüft, ob meine Idee dem standhält. Und dabei habe ich im Grunde genommen eine der Figuren verkörpert, weil ich ähnlich wie die Journalistin im Film den Mitarbeitern Fragen gestellt habe, die durchaus mit Vorurteilen behaftet waren. Ich bin auf absolute Loyalität den Kindern gegenüber gestoßen, die dort Essen bekommen. Das hat mir sehr imponiert.

Mit welcher Motivation handelt diese Figur der Journalistin in Ihrem Film?
Die Journalistin ist jemand, die sich mit ihren Mitteln einsetzen will, und das bedeutet in diesem Fall, ein Sprachrohr zu sein für Leute, die sich engagieren, und für die Kinder, die dieses Engagement nutzen. Warum sie das tut, ist nicht mit einem Grund zu beschreiben. Es gibt viele Interpretationsmöglichkeiten. Das trifft, denke ich, auf alle Figuren zu. Ich würde sie ungern eindeutig mit einer Haltung belegen. Ich versuche eher, in diesen Fragmenten etwas anzudeuten, eine Haltung in einer bestimmten Situation. Die Figur des Rolf zum Beispiel ist loyal, aber ich baue kleine Brüche ein: und das ist dann dieser kleine Reibepunkt, der mich interessiert.

Ich versuche beim Schreiben, mich frei von Wertungen zu machen und Dinge aufzugreifen, die ich sehe. Die Geburtstagsfeier der Tochter der Journalistin zum Beispiel ist eine Geschichte, die ich direkt aus dem Leben gegriffen habe. Das gibt mir die Sicherheit, so eine Szene, die ein bisschen nach Klischee riecht, trotzdem einzubauen. Im Grunde genommen zeige ich Figuren, die erst einmal nicht anders handeln können, als sie es tun. Die voneinander abgeschirmt leben, die sich nicht wirklich wahrnehmen können. Es geht um die vielfältigen Facetten von Wahrnehmung, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung.

Es fällt auf, dass Sie Ihre Figuren durchweg im Kontext der Generationen zeigen, mit den Eltern, manchmal sogar Großeltern.
Es ist mir wichtig, dass Figuren in einem Kontext existieren, in der Familie, im Berufsleben. Die Auseinandersetzung zwischen den Generationen ist für mich gar nicht der Konflikt, sondern eher die Programmierung, die zu spüren ist, die darunter liegt. Es gibt hier immer zwei Seiten, man spürt Bindungen, Zuwendung ebenso wie Verdrängung oder Abschirmung von Gefühlen, die nicht gezeigt werden können; und es fällt uns schwer, das eindeutig zu belegen. In meiner Geschichte ist es so, dass Vorwürfe nicht artikuliert werden, auch nicht zwischen den Figuren, und die interessante Frage ist, warum sie nicht gemacht werden, warum sich niemand wehrt, wieso jeder geschehen lässt, was ihm widerfährt.

Wie haben Sie die Darsteller der Kinder und Jugendlichen gefunden?
Ich habe mich beim Schreiben an einen Jungen erinnert, auf den ich vor zwei Jahren in einem Jugendclub in der Prignitz aufmerksam geworden war. Mein Produzent hat mich sehr bestärkt, diesen Jungen ausfindig zu machen, und mit ihm konnte ich dann eine ganze Schulklasse engagieren. Das war sehr spannend, sich in den Proben langsam heranzutasten. Man kann nicht einfach anfangen und sagen, hier ist ein Drehbuch, das spielen wir jetzt. Sondern man setzt sich mit denen in die Küche und versucht, die Situation erst einmal herzustellen. Was mir dann an der Zusammenarbeit mit den Profis wie Anneke Kim Sarnau und Karl Markovics gefallen hat, war, dass sie “sie selbst” geblieben sind, dass sie ehrlich zu den Kindern waren.

Das ist etwas, was ich in all den Jahren auch gelernt habe, dass es überhaupt nichts nützt, denen etwas vorzumachen. Man muss sagen, was man denkt, und man kann es auch mit der Emotion sagen, die man gerade hat. Und das hat Karl getan, der auch mal in einem etwas schärferen Ton mit dem Jungen gesprochen hat, der da zum ersten Mal vor der Kamera stand: das Vertrauen zu haben, von ihm etwas fordern zu dürfen, auch wenn er diese Arbeit nicht gewohnt sind. Und dann stellt man mit großem Erstaunen fest, was das auslöst. Das lässt sich eigentlich nicht in Worten beschreiben, das ist ein großes Glück, etwas von dem zu spüren, was damals der Film Rhythm is it! gezeigt hat. Die Zusammensetzung und das Zusammenspiel waren großartig und sehr lebendig. Ich glaube, das macht für das Ganze viel aus, und wenn etwas davon im Film zu spüren ist, freue ich mich sehr.

Quelle: Mit Material von Piffl Medien zum Film Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation

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