Dieser Text stammt von Richard Gutjahr und wurde bereits auf seinem Blog veröffentlicht. Wir hoffen, er regt euch zur Diskussion an. Enthält außerdem Breaking Bad-Spoiler!
It’s the talent, stupid
Fernsehen erlebt aktuell eine Renaissance, wie man das vor Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Ausgelöst wurde dieser Imagewandel nicht etwa durch neue Technologien, sondern durch die Inhalte. TV-Serien, monumental wie Wagner-Opern (Game of Thrones), episch wie Shakespeare (Breaking Bad), packend wie Alfred Hitchcock (Homeland) und journalistischer als CNN (The Daily Show with Jon Stewart).
Ob Screenwriter (Aaron Sorkin) oder Blockbuster-Produzent (Ridley Scott), Fernsehserien bieten eine Bühne, auf der sich die Geschichten-Erzähler austoben können, wie sonst an keinem anderen Ort der digitalen Medienwelt. Auch die Schauspieler haben das erkannt, immer häufiger zieht es namhafte Hollywood-Größen (Claire Danes in Homeland, Glenn Close in Damages – Im Netz der Macht) vor die Fernsehkamera. Der Kamera ist es egal, für welches Medium man arbeitet – oder wie es Kevin Spacey heuer in seiner Eröffnungsrede des Edinburgh Television Festival (Video Transkript) so grandios auf den Punkt brachte: Its like when I’m working in front of a camera . . . that camera doesn’t know it’s a film camera or a TV camera or a streaming camera. It’s just a camera. I predict that in the next decade or two, any differentiation between these formats – these platforms – will fall away.
Shift happens
Wir stehen an der Schwelle einer gewaltigen Verschiebung traditioneller (Fern-) Sehgewohnheiten, eine Verschiebung, die weitreichende Konsequenzen für die gesamte Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie mit sich bringen wird. Die Karten im TV-Business werden neu gemischt. Erste Ausläufer dieses Wandels lassen sich schon beobachten: Der Trend des sog. Binge-Watchings (gesprochen “binsch”, frei übersetzt: Koma-Glotzen) also das Aufsparen und Ansehen von mehreren Folgen einer Serienstaffel hintereinander weg, anfangs noch über DVD-Boxen aus dem Kaufhaus, zunehmend häufiger über Online-Streaming-Plattformen.
Lebhafte Diskussionen bei Facebook oder Twitter, welche neue Serien Potential haben oder in welcher Staffel man gerade steckt. Nicht zu vergessen der obligatorische Spoiler-Alert, um Nachzüglern nicht zu verraten, dass Walter White am Ende der letzten Staffel von Breaking Bad tatsächlich stirbt (…Ooops). Noch einmal der großartige Kevin Spacey: And the audience has spoken: they want stories. They’re dying for them. They are rooting for us to give them the right thing. And they will talk about it, binge on it, carry it with them on the bus and to the hairdresser, force it on their friends, tweet, blog, Facebook, make fan pages, silly Jifs and god knows what else about it, engage with it with a passion and an intimacy that a blockbuster movie could only dream of. All we have to do is give it to them.
Die Ungeduld wächst
Wären doch nur alle Medienmacher so kundenorientiert, hätten wir uns 10 Jahre Zeitungsdebatte, Urheberrechtsstreitereien und Pirateriekriege sparen können. Aber Bezahlmodelle sollen hier heute nicht das Thema sein. Der Wandel, der uns bevorsteht, ist größer als nur Geld. Die Ungeduld der Menschen gegenüber einer unbeweglichen weil saturierten TV-Industrie ist mit Händen zu greifen. Zuschauer, die es leid sind, von Programmplanern, Geräteherstellern oder Rechtehändlern gegängelt zu werden, wann sie was auf welcher Plattform zu sehen haben. Wir haben es in der Musikindustrie erlebt. Wir durchleben es gerade wieder mit den völlig missratenen Paywall-Modellen der Print-Industrie. Und wir kennen den Ausgang all dieser Besitzstandswahrungs-Kämpfe.
Give people what they want – when they want it – in the form they want it in – at a reasonable price – and they’ll more likely pay for it rather than steal it; well, some will still steal it, but I believe this new model can take a bite out of piracy. (Kevin Spacey)
Um es ganz deutlich zu sagen: Das Problem ist nicht das Internet, sind nicht die Kunden oder deren Bereitschaft zu zahlen. Es handelt es sich um ein Versagen einer Industrie, die es sich lang genug leisten konnte, minderwertige Angebote durch künstliche Verknappung teuer verkaufen zu können. Das Internet ändert Dinge, weil es uns wachrüttelt und zeigt, dass es auch anders geht.