Ich finde aber, dass sich anhand von Szenen dieses Films (auf Screenshots festgehalten) gut aufzeigen lässt, was John Ford (unter anderem) so besonders macht: seine enorme Aufmerksamkeit auf kleine, subtile Gesten und Bildkomposition. Dabei ist "Mit Volldampf voraus" (so der deutsche Titel) im Vergleich zu anderen seiner Filme visuell äußerst schlicht gehalten, und auch der Schnitt ist weit weniger poetisch wie in den späteren Werken Ringo, So grün war mein Tal, und Faustrecht der Prärie. Kurzer Handlungsabriss:
Erzählt wird die Geschichte von Amateurkapitän Doc John (Will Rodgers), dessen Neffe, Duke, im Kampf um seine Verlobte Fleety Belle in Notwehr einen Mann getötet hat. Duke und seine Verlobte besuchen Doc John nun auf seinem Schiff. Letzterer rät seinem Neffen, sich dem Sheriff zu übergeben; danach bleiben Doc John und Fleety Belle alleine auf dem Schiff und versuchen (am Ende erfolgreich), einen Zeugen aufzutreiben, um Duke vor dem Galgen zu bewahren.
Weitaus interessanter als die eigentliche Handlung finde ich allerdings die merkwürdige Beziehung, die sich zwischen Doc John und Fleety Belle entwickelt. Wir werden sehen.
Während Duke seinem Onkel (nicht im Bild) zu Beginn Bericht erstattet, sehen wir Fleety Bell im Bild teilnahmslos im Hintergrund herumstehen. Ihr Blick ist beinahe demonstrativ abgewandt.
So spricht sie während der ersten etwa vier Minuten ihres Auftritts kein Wort. Sie belebt sich erst, als eine Aussage Docs ihre Wut entfacht.
Nun hat sich die Bildkomposition umgekehrt: Sie und ihr Zorn sind im Zentrum, Duke in die Bildecke gedrängt; anders als sie vorher blickt er seine Frau allerdings an.
Als sich ihr Verlobter dem Sheriff übergeben hat, und diese Szene durch eine Schwarzblende beendet worden ist, sehen wir nun ein poetisches Bild von ihr, angelehnt an die Reling. Romantisch und erotisch:
In der nächsten Einstellung entpuppt sich dieses Bild als Blick des Docs, der sie zuvor zwar eher argwöhnisch betrachtet hat (ihre Herkunft passt ihm nicht), nun aber mit ihr praktisch alleine auf dem Schiff ist, und gezwungen ist, es sich mit ihr einzurichten.
Sie ist allerdings noch äußerst zornig:
Ihre widerspenstige Art beeindruckt Doc John nun umso mehr. Sobald sie sich beruhigt und von ihm abgewandt hat, blickt er sie (insgeheim) von hinten an.
Als er an ihr vorübergegangen ist, schaut nun Fleety Belle ihrerseits:
Auch sie zeigt sich von ihm beeindruckt, oder zumindest wohl fasziniert.
In der nächsten Szene rettet Doc John sie vor ihren Verwandten, welche sie zu sich zurückholen wollen und ihr Verhältnis mit Duke missbilligen. Doc John jagt sie fort, was endgültig den Wendepunkt in seiner Beziehung zu Fleety Belle bedeutet. Nun ist es definitiv sie, die ihn von hinten betrachtet:
Darauf folgt zum ersten Mal eine Fast-Großaufnahme ihres Gesichts. Ihr Gesichtsausdruck spricht Bände:
Als sie nun durch den Raum direkt zu Doc läuft, Achtung!!, schneidet Ford nicht weg, sondern lässt sie aus dieser Großaufnahme herauslaufen, wodurch ein ungemein sanfter Übergang in die nächste Einstellung entsteht. Die neu gewonnene Weichheit und Zärtlichkeit ihrer Verfassung überträgt sich also auf das Bild (die Bilderfolge) als Gesamtes.
Alsbald sie rechts aus dem Bild verschwunden ist, taucht sie von links kommend wieder auf, und berührt ihn zärtlich. Er, peinlich berührt, blickt zuerst zu Boden.
Und dann zu ihr. Ihre Blicke treffen sich.
Etwas später (nachdem er sie mit angemessener Kleidung ausgestattet hat), wieder eine Großaufnahme, diesmal noch näher am Gesicht:
Ihre Zuneigung zu ihm - noch eine Stufe größer. Im Wissen um das, was sie gleich tun wird, blickt nun sie kurz verschämt nach unten:
Und dann:
gibt sie ihm einen Kuss - das war eine unvermeidliche Folge.
Bei einem gemeinsamen Spaziergang geht es entsprechend heiter zu und her. Duke sitzt derweil im Gefängnis (!).
Ihre Blicke sehen gefährlich verliebt aus. Wie auch immer, Fleety Bell konstatiert trocken:
Zusammen stehen sie am Steuer. Zusammen blicken sie dem Lauf des Fluss' und ihrer Zukunft entgegen. Ihre Launen: euphorisch. Steamboat Round the Bend!! Nichtsdestotrotz: gelingt es ihnen binnen weniger Tage nicht, einen wichtigen Zeugen aufzutreiben, wird Duke gehängt.
Nachdem Fleety Belle Doc John einen zweiten Kuss verpasst hat, revanchiert er sich:
Die beiden besuchen Duke im Gefängnis. Unmittelbar zuvor sind sie nochmals in einer romantischen Einstellung zu sehen (nicht auf die Untertitel achten, wurden etwas zu früh eingeblendet).
Der Rest (2. Hälfte) des Films ist durch zentrale Elemente der Handlung bestimmt (Schiffsrennen, Suche des Zeugen, Rettung Dukes), somit auch etwas uninteressanter.
Die vorletzte Einstellung geht in die letzte Einstellung über, für kurze Zeit sieht man beide Einstellungen:
Alles ist gut, Fleety Belle ist mit Duke wiedervereint (mittlerweile gar verheiratet).
Es ist klar: der ca. 50-jährige Doc John kann seinem Neffen schließlich nicht dessen Verlobte ausspannen. Das wäre dann die Geschichte eines modernen, europäischen Films, und nicht die von 1935, USA. Dennoch kommt Ford ziemlich nahe daran heran.
Von den drei Filmen, die Ford mit Rodgers gedreht hat, ist "Steamboat" der Letzte. Auch die anderen zwei Filme sind einen Blick wert.
In "Doctor Bull" (1933) ist Rodgers` Figur eine tragische; ein Doktor, dem die Dorfgemeinschaft wegen einer Beziehung zu einer Witwe feindlich gesellt ist. Kurz vor Ende sieht man ihn müde, alleine, hilflos:
Seine Angebetete, die Witwe, ist, alleine, an den Bildrand gedrängt. Die Dorfgemeinschaft will die Beziehung verhindern. Ein ziemlich expressionistisches Bild, das zeigt, dass sie für ihn vorerst unerreichbar ist:
Der mittlere, bekannteste Film mit Rodgers ist Judge Priest. Priest, ein typischer Ford-Held; heimgesucht von der Vergangenheit:
Seine verstorbene Familie (Frau und Kinder) schwebt über ihm (hier wortwörtlich):
Dennoch ist Rodgers` Figur gerade in diesem Film am Optimistischsten, am Schalkhaftesten. In der gleichen Szene, ein Blick aus dem Fenster, offenbart nämlich:
das Gegenteil: die Jugend, Zukunft. Frühling. Blühend. Rogers schwebt zwischen Vergangenem und Kommendem.