Die Orgie der Macht, die Macht der Orgie

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Caligula
Tobis/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Caligula
7
25
Caligula erregt die Gemüter – und nicht nur die. Ein moviepilot User hat sich dem Skandalfilm von Tinto Brass jedoch analytisch genähert. Die gewonnenen Implikationen könnt ihr in seinem Text zur Aktion Lieblingsfilm lesen.

Beschrieben als „Sexkoloss“ (Pier Nico Solinas), als „"Ben Hur (Ben Hur)“:/movies/ben-hur-2 des Pornofilms“ („Playboy“), oder als „abscheulicher, vollkommen wertloser, unverschämter Müll“ (”Roger Ebert (Roger Ebert)":/people/roger-ebert) ist Caligula ein Film, der die Gemüter erregt und zu ausschweifenden Beschreibungen und Wortkreationen animiert, um dem Wahnsinn dieses Werks gerecht zu werden. Doch der Wahnsinn – er hat eine Logik…

Robert Charles Joseph Edward Sabatini („Bob“) Guccione, reich geworden als „Penthouse“-Gründer, finanzierte in den Siebzigern, während der großen Pornowelle, einen Film namens Caligula, um mit ihm nichts Geringeres als einen Meilenstein des Kinos zu erschaffen; einen Film, der die endgültige Symbiose aus Hollywood und Porno sein würde; einen Film mit fesselnder Geschichte, renommiertem Cast, ausschweifenden Sets, viel Gewalt und explizitem Sex. Das Drehbuch wurde von Gore Vidal geschrieben, der schon an demjenigen von Ben Hur (1959) mitgearbeitet hatte. Die Geschichte des römischen Kaisers Caligula – der knappe vier Jahre herrschte, bevor er umgebracht wurde – konzipierte er als Geschichte eines jungen Mannes, der ohne jegliche Erfahrung über ein Riesenreich herrschen muss und darüber zuerst wahnsinnig wird schließlich kaputt geht.

Im Kern ging es Vidal darum aufzuzeigen, wie in jedem von uns ein Caligula steckt, wie jeder zum machtbesessenen Diktator werden kann, wenn es die äußeren Umstände ermöglichen. Der von Guccione als Regisseur angeheuerte Tinto Brass („I put two big balls and a big cock between the legs of Italian cinema”) wiederum hatte seine eigene Konzeption des römischen Kaisers: Er sah in Caligula den vollendeten Anarchisten und wollte zeigen, wie unmoralisch und monströs Macht letztendlich sein kann. Die von ihm inszenierten Sexszenen sollten weniger erregend als abstoßend sein, was Guccione wiederum nicht gefiel. Im Alleingang ließ er, der er Brass im Verlauf der Dreharbeiten ein Dutzend seiner attraktiven Penthouse-Pets zur erotischen Unterstützung des Films geschickt hatte, Caligula ohne Einverständnis des Regisseurs schneiden und mehrere Minuten Hardcoreszenen einfügen. Diese als Uncut-Version bekannte Fassung wird oftmals als Vergewaltigung des Films angesehen, obwohl sie von den mehr als einem Dutzend (!) verschiedener Versionen des Films Brass’ Vision nach eigener Aussage am nächsten kommt. 1979, nach mehreren Gerichtsprozessen, wurde der Film veröffentlicht und gilt seither als Skandalfilm.

Mehr Informationen sind hier nicht notwendig, da es im Folgenden darum gehen soll, was Caligula in der zu verteidigenden Uncut-Version ist, und nicht, was er hätte sein können, wenn die drei Egos von Guccione, Brass und Vidal nicht aufeinandergeprallt wären. Im Kern ist Caligula, neben den überwältigenden Schauwerten der gigantomanischen Sets, die unter Leitung von Danilo Donati entstanden sind und die mit den ausschweifenden Schlafzimmern, komplexen Lustgrotten, erschlagenden Bordellgaleeren und unfassbaren Tötungsmaschinen, zusammen mit den unzähligen, kunstvollen Kostümen und inmitten lebensgroßer Penisstatuen, eine Gesellschaft von perverser Dekadenz zeichnen, stets die Geschichte, wie ein junger Mann zum Herrscher über ein Riesenreich wird und wie er mit seiner grenzenlosen Macht umgeht.

Der Film in seiner letztendlichen Form präsentiert Caligula, der von Malcolm McDowell herausragend verkörpert wird, wie von Tinto Brass konzipiert, als Anarchisten, der das gesamte Römische Reich als einen einzigen, riesigen Witz wahrnimmt. Die alleinige, unverrückbare Wahrheit, die er anerkennt, ist der Tod. Tiberius selbst, Caligulas Großvater durch Adoption und römischer Kaiser vor ihm, prophezeit seine Ermordung. Caligulas sogenannter Wahnsinn hat eine für ihn gültige Logik: Menschliches Leben ist nichts wert, und ein Kaiser ist dazu da, umgebracht zu werden, wie Gaius Julius Caesar oder Tiberius (letzterer im Film eher als in der Realität) vor ihm. Sobald er dies akzeptiert hat, wird Caligula zum süffisanten Sadisten mit Todessehnsucht, der Nerva, der sich die Adern geöffnet hat, oder Proculus, den er zu Tode foltern lässt, spitz fragt, wie es denn ist, zu sterben. Er macht sich lustig über alles und jeden: Seine halbnackten Mannen lässt er in einen Fluss marschieren und gegen Papyrus kämpfen, den er später als Beweis seiner Eroberung Britanniens präsentiert; Senatoren lässt er reihum umbringen und ihre Frauen prostituieren; unbescholtene, junge Männer fistet (!) er, lässt sie foltern und Frauen danach auf die toten Körper urinieren (ein bekanntes Motiv von Tinto Brass; die Frau in der betreffenden Szene war das Penthouse-Pet mit Filmambitionen Lori Wagner, dessen Frage, ob sie sich eine Vorrichtung umschnallen könne, woraus Flüssigkeit laufen würde, verneint und ihr stattdessen eine Menge Wasser zu trinken gegeben wurde).

Ein besonderes Augenmerk muss hier auf die von Guccione eingefügten Hardcoreszenen gelegt und der Frage nachgegangen werden, was sie, und ob sie überhaupt etwas, zum Film beitragen. Sie sind prominent an zwei Stellen im Film zu finden: In der Bordellszene, die in dieser Version mit einer Ejakulation endet, und in einer expliziten Lesbensexszene, die parallel zu einer nichtexpliziten Sexszene zwischen Caligula, Drusilla und Caesonia geschnitten wird.

Beide haben ihre Berechtigung. Erstens bringen die Hardcoreszenen die Dualität perfekt zum Ausdruck, die Tinto Brass beschreibt, wenn er sagt, dass er als Künstler verpflichtet sei, vor der Immoralität der Macht zu warnen, er aber dennoch eine gewisse Faszination zur selben verspüre: Die Sexszenen sind eben nicht nur abstoßend, sondern, durch die Hardcoreelemente, auch anziehend, und so wird die Dualität des Empfindens von Macht durch diese Szenen gekonnt dem Zuschauer vermittelt.

Des weiteren funktioniert die Orgienszene auf dem Schiff als zweiter dramaturgischer Höhepunkt (in diesem Zusammenhang ist dieser Begriff bewusst auch sexuell zu verstehen) neben der Ermordung Caligulas zum Schluss des Films. Ist letztere Sequenz als der Höhepunkt der Plotstruktur traditioneller Filme zu werten, kann erstere (mit der visuellen Ejakulation) als Höhepunkt von Erwachsenenfilmkonventionen angesehen werden, was insgesamt die von Guccione erstrebte Symbiose aus klassischem Erzählkino und Pornographie versinnbildlicht. Dies wird dadurch verstärkt, dass eine klare Parallele zwischen Sperma (in der Bordellszene) und Blut (in der Mordszene) hergestellt wird und somit das Schwert und der Penis als symbolisch gleichwertig wahrgenommen werden können.

Was die oftmals als störend empfundene Lesbenszene zwischen den Penthouse-Pets Anneka Di Lorenzo und der bereits erwähnten Lori Wagner (welche, zugegeben, in den unbeweglichen Bildern der „Penthouse“-Ausgabe vom Juni 1980, die ein Special zu genau dieser Szene hatte, besser funktioniert und letztlich auch erotischer ist als das filmische Pendant) legitimiert, ist eine ähnliche, kraftvolle Parallele: Die Einstellung zum Schluss dieser Sexszene zeigt eines der Pets mit in Ekstase nach hinten geworfenem Kopf, was frappant an die letzte Einstellung des gesamten Films erinnert, in der Caligula tot kopfüber auf der weißen Treppe liegt. Mit diesen zwei Einstellungen wird auf grandiose Weise eine wichtige Ansicht des todessehnsüchtigen Caligula eingefangen, wie es so nur Film kann: Caligula, von Speeren „penetriert“, wird mit dem nach dem Sex erschöpften Pet gleichgestellt, und uns letztendlich bewusst, dass in der Weltanschauung dieses Kaisers der Tod nichts Geringeres ist als der ultimative Orgasmus.

Caligula – von Tinto Brass als „Orgie der Macht“ konzipiert, später aber, nachdem Guccione den Film nach eigenen Vorstellungen schneiden ließ, von ihm bloß noch als eine Demonstration der „Macht der Orgie“ angesehen, ist schlussendlich beides gleichzeitig: Die einnehmende Geschichte eines „wahnsinnigen“ römischen Kaisers einerseits, die Repräsentation ausschweifender Dekadenz voller Sex und Gewalt andererseits. Ein Film, der, von den damaligen Kritikern verrissen, bis heute fasziniert und mit seiner einzigartigen Entstehungsgeschichte süchtig macht. Ars longa, vita brevis.

P.S.: Bevor ich meinen moviepilot-Doktortitel verliere, hier zwei Quellenangaben: Einerseits die liebevoll gestaltete Site www.caligulathemovie.com, betrieben von einem hingebungsvollen Caligula -Fan, und andererseits das sehr interessante Buch „Caligula and the Fight for Artistic Freedom“ von William Hawes, aus dem ich in meinem Text die eine oder andere Betrachtung eins zu eins wiedergegeben oder für meine persönliche Interpretation weiterentwickelt habe.


Sollte der Text euer Gefallen finden und ihr möchtet ihn gern in der weiteren Auswahl für die Jury sehen, dann drückt bitte auf den Button “News gefällt mir” unter diesem Text. Wir zählen am Ende der Aktion Lieblingsfilm alle moviepilot-Likes zusammen.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News