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Die Popstar-Analyse: SARAH CONNOR

30.04.2016 - 18:11 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Aus dem (ansonsten nicht sehr guten) Video zu "From Zero to Hero"
X-Cell Records
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Deutsche Celine Dion oder X-Factor-Braut?

WER IST SARAH CONNOR?

Sarah Connor ist eine deutsche Popsängerin, die ihre Karriere Anfang des 21. Jahrhunderts begann und durch Hits wie "From Sarah with Love" oder "Living to Love You" einigen Liebhabern von kitschigen Balladen den Tag versüßte. Dennoch bestanden die Alben zu einem Großteil aus Uptempo-Tracks, die dem damals durch Britney Spears und Christina Aguilera geformten Zeitgeist entsprachen. Während sie in Deutschland durch ihre Musik zu einem nationalen Superstar avancierte, blieb sie international trotz der großteils englischen Sprache kaum beachtet. Lediglich "Bounce" schaffte es in den USA zu einen kleinen Hit, half ihrer Karriere allerdings kaum weiter. Mit dem Anbruch der 2010er Jahre verlegte sich das Augenmerk der Öffentlichkeit von ihrem musikalischen Output weg, als sie für die Castingshow X Factor der Dieter Bohlen von VOX wurde. Allerdings erschien 2015 ein positiv rezipiertes deutsches Album, bei welchem die ansonsten ausschließlich als Interpretin auftretende Sarah Connor erstmals selbst zur Feder griff und wieder ihre Musik in den Vordergrund stellte.


WIE STEHE ICH ZUR MUSIK?

Sarah Connors Diskografie umfasst neben ein paar Compilations (am Interessantesten das je nach Edition 9 bis 11 Titel umfassende Album "Sarah Connor", welches für den US-amerikanischen Markt konzipiert wurde und jeweils 3 Songs ihrer ersten drei Studioalben enthält, dabei in manchen Editionen jedoch ihren größten Hit "From Sarah With Love" unterschlägt) derzeit 9 Studioalben: das Debut "Green Eyed Soul", "Unbelievable", "Key to my Soul", "Naughty but Nice", das Weihnachtsalbum "Christmas in my Heart", das Cover-Album "Soulicious", "Sexy as Hell", "Real Love" und "Muttersprache".
Für die ersten 4 Alben gilt für mich dasselbe Urteil: hier hat Sarah Connor bewiesen, dass sie mit den richtigen Leuten hinter den Kulissen unheimliches Potenzial für Popmusik besitzt. Auch, wenn sie nur ganz ganz ganz ganz ganz selten selbst an den Songs mitschrieb, besitzt ihre Stimme großen Wiedererkennungswert und Facettenreichtum, wodurch sie der Musik ihren eigenen Stempel aufdrückt. Besonders auf Balladen reicht der Umfang von sanften, hauchend-schluchzenden, leisen, bishin zu angespannten, trotzdem höchst melodischen, lauten Tönen, die mit der Stärke eines Bulldozers (oder einer Céline Dion) in pathetische Höhepunkte gipfeln. "From Sarah with Love", "Skin on Skin", "Just One Last Dance" und "Living to Love You" mögen nach demselben Schema ablaufen, nichtsdestotrotz überzeugt jedes der Lieder für sich den Kitsch liebenden Popzuhörer wie eine unwiderstehliche Schnulze. Da sie auch eine verspielte, unschuldig-freche Rolle draufhat, funktionierten poppige Uptempo-Songs wie "Let's Get Back to Bed - Boy", "Bounce", "From Zero to Hero" oder "One Nite Stand" (für letzteren ließ sich sogar Ex-Fugee Wyclef Jean verpflichten) ebenso grandios. Würde man Connor nicht kennen, es wäre nicht ersichtlich, dass es sich hier nicht um einen US-amerikanischen Weltstar handelt. Connors gesangliche Leistung ging Hand in Hand mit den hochwertigen Produktionen und Melodien der Songs. Und es funktionierte. Es folgte ein mehr oder minder schönes Weihnachtsalbum (wobei sich für diese Art von Genre meiner Meinung nach Sampler am Besten eignen) und ein unnötiges, aber ganz ordentlich gemachtes Cover-Projekt namens "Soulicious", auf welchem sie alte Soulhits aus ihrer Kindheit neu einsingt und sie Gott sei Dank keiner peinlichen Modernisierung unterzieht (trotzdem sind die Originale weit vorzuziehen).

Dann. Dann. DANN begann die Apokalypse. Nicht nur wurde Sarah Connor als Jurymitglied der Castingshow X-Factor zu deren Aushängeschild, sie verlor dadurch ihren Status als gesellschaftlich akzeptiertes Guilty Pleasure und wurde zur allgemein anerkannten Peinlichkeit erklärt. Es half nichts, dass ihr zu dieser Zeit aktuellstes Album "Sexy as Hell" ein musikalischer Totalausfall war, der seinesgleichen sucht. So erbämlich aufgesetzt der Titel klingt und das Cover aussieht, so klang auch das Werk. Die guten Pop-Beats, die mit dem Unwiderstehlichkeitsfaktor der guten alten "Hit Me"-Britney oder "Genie"-Xteenie daherkamen, wurden durch billigste Pseudo-HipHop- und -Technobeats ersetzt. Ohne jegliches Gespür für Sexappeal oder erotische Atmosphäre spricht die eigentlich begabte Sängerin irgendeinen semi-anzüglichen Quatsch ins Mikro, der ungefähr so echt wirkt wie die Haarfarbe von Loola in Das fünfte Element. Der Imagewandel von der Souldiva zur Skandalnudel war plump und schlichtweg mies. Entweder wirkten die Beats, Sarahs Gesang, oder beides schlecht. Track für Track. Außer bei der Ballade "Still Crazy in Love", aber bei diesem Genre war sie ohnehin immer 1er Schülerin. Leider holt uns das darauf folgende "Beautiful View" wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Das Fehlen von Gefühl klingt weder cool noch sexy. Es ist einfach nur stumpf als hätte man einen Baum gefällt. Fazit: durchgefallen.

Offenbar sah das auch ihr Management so. Und so schlüpfte die gute Sarah raus aus der Reizwäsche und hüpfte zurück in bekannte Gewässer. Und siehe da: selbst das alte Logo aller vorangegangenen Alben (außer SaH) ist wieder da. "Real Love" ist ein solides Popalbum, welches nicht an die ersten 4 Werke heranreicht, aber trotzdem niemandem wehtut. Ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn ich auf das ab und an verwendete Autotune hätte verzichten können; das passt zu Leuten, die einen futuristischen oder clubtauglichen Klang erzeugen wollen und ist bei einer talentierten Sängerin wie der Connor nur unnötiger Ballast.

Aktuell hat Connor, wohl auch, weil sie sich ihren durch X-Factor geschädigten Ruf wieder aufpäppeln will, einen Neuanfang vollzogen und mit "Muttersprache" ein deutschsprachiges Album veröffentlicht, welches zusätzlich ihr Debut als Songwriterin darstellt. Und ich muss sagen: selbst, wenn ich es zur Zeit dieses Artikels erst einmal gehört habe - es ist wirklich gut. Mindestens auf dem Level ihrer guten alten Zeit. Wenngleich musikalisch ganz anders, viel zarter, viel introvertierter. Sarah Connor ist zurück. Und gereift.

MEIN FAZIT

Aus meiner Sicht ist Sarah Connor eine der besten Pop-Interpretinnen, die der deutschsprachige Raum zu bieten, welche größtenteils auf englischer Sprache veröffentlicht. Wenngleich man ihr auch gerne ankreiden kann, dass sie großen Vorbildern wie Christina Aguilera oder Celine Dion nacheifert, so besitzt sie immer noch genug stimmliches Potenzial und Widererkennungswert, um sich eine eigene Identität aufzubauen.
Wenn sie, wie auf ihren ersten 4 Alben, noch Produzenten und Komponisten beschäftigt, die es schaffen, Lieder zu schneidern, die ihrer Stimme schmeicheln, zeitgleich ins Ohr gehen und US-amerikanische Qualität aufweisen, braucht sie sich vor besagten Kollegen von Übersee nicht zu verstecken. Allerdings hat sie auch ihre Abhängigkeit von den Drahtziehern an den Reglern und Schreibtischen gezeigt. Ihr Mangel an glaubhaftem Sexappeal, sowie zu späterer Phase billig klingende RnB-Beats lassen den Zauber wie ein Kartenhaus zusammenfallen, sobald sie sich in anzüglichere Gebiete wagt. Connor ist für Kitsch und verspielte Pop-Hymnen ein Hauptgewinn, versagt aber in anderen Territorien, in denen man sich besser an die Ami-Kollegen Cyrus und Spears hält. Connors gute Gesangskünste sind nicht in der Lage, mittelmäßige Produktionen zu kaschieren. Wer sich ein Sarah Connor-Album anhört, hört neben der charismatischen Sängerin auch Produzenten und Songwriter, und es funktioniert nur, wenn allesamt hohe Leistungen aufweisen. Mit ihrem neuesten Werk "Muttersprache" bewies sie jedoch ihr Können als Liederschreiberin. Weshalb sie nicht bereits früher die Feder in die Hand nahm, bleibt ein Rätsel, war sie doch mit einem Amerikaner verheiratet und beherrschte somit die englische Sprache. Wie dem auch sei könnte Frau Connor nun wieder ernster genommen werden (die Kritiken waren ja weitgehend positiv) und Material abliefern, das ihrer Stimme gerecht wird. Ich bin optimistisch.


DISKOGRAFIE (mit Wertungen)

2001: Green Eyed Soul (★★★★☆)
2002: Unbelievable (★★★★1/2)
2003: Key to my Soul (★★★★☆)
2005: Naughty but Nice (★★★★☆)
2005: Christmas in my Heart (★★★☆☆)
2007: Soulicious (★★1/2☆☆)
2008: Sexy as Hell (★☆☆☆☆)
2010: Real Love (★★★☆☆)
2015: Muttersprache (vorläufige Bewertung: ★★★★☆)

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