Die Stasi sichert Erfolg des deutschen Films

11.09.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Wir wollten aufs Meer
Wild Bunch
Wir wollten aufs Meer
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Wenn der deutsche Film international glänzt, dann oft mit Nazi-, DDR- und Stasidramen. Doch auffällig ist: Die Täterperspektive wird (noch) weitgehend ausgeblendet. Wir diskutieren, warum das so ist und ob es sich zukünftig ändert.

An diesem Donnerstag kommt das Stasi-Drama Wir wollten aufs Meer in die Kinos. Regisseur Toke Constantin Hebbeln erzählt die in den Achtzigern in Rostock angesiedelte Geschichte der Freunde Cornelis (Alexander Fehling) und Andreas (August Diehl), die einen großen, aber schwer zu verwirklichen DDR-Traum leben wollen. Sie möchten als Matrosen um die Welt reisen. Doch die Jobs sind begehrt und werden auf Grund der Fluchtgefahr nur an besonders treue Genossen vergeben. Treue lässt sich am Besten als Spitzel nachweisen, doch Cornelis plagen Gewissensbisse bei der Vorstellung, den Vorarbeiter Matthias zu verraten. Klar, dass er damit selbst ins Visier der Stasi gerät.

Es fällt auf, dass deutsche Filmemacher keine Angst haben sich mit dem Thema DDR und Stasi auseinanderzusetzen. In regelmäßigen Abständen werden deutsche Produktionen veröffentlicht, die in der jüngeren (ost-)deutschen Geschichte angesiedelt sind. Meist bewegen sie sich – im viel geschmähten deutschen Kino eine nennenswerte Konstante – auf äußerst hohem Niveau. Wir wollten aufs Meer sorgte zuletzt auf dem Filmfest von Toronto für positive Resonanz. Barbara geht als deutscher Anwärter in die Vorauswahl des Oscars für den besten fremdsprachigen Film. Ein Auszeichnung, die Das Leben der Anderen im Jahr 2007 gewinnen konnte. Doch nicht nur für Dramen, auch für Komödien (Good Bye, Lenin!, Sonnenallee) oder Liebesfilme (12 heißt: Ich liebe dich, Wie Feuer und Flamme) diente die DDR bereits als Kulisse.

Mehr: Barbara kämpft für Deutschland um Auslands-Oscar

Interessant ist, dass es trotz dieser Vielfalt ein Merkmal gibt, das alle modernen deutschen DDR-Filme verbindet: Sie sind allesamt Filme über Opfer. In Wir wollten aufs Meer zerstört die Stasi den Traum zweier junger Männer. Barbara wird an ein Provinzkrankenhaus versetzt, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat. In Wie Feuer und Flamme steht die Stasi-Allmacht der Liebe der Protagonisten im Weg. Die Mutter aus Good Bye Lenin hat ihren Ehemann durch die willkürlichen Ausreisebedingungen verloren. Und auch die Ausnahme Das Leben der anderen ist bei genauerer Betrachtung eigentlich keine. Der Film erzählt einerseits wie ein Künstlerpaar unter der Stasi leidet. Andererseits ist der Stasi-Mitarbeiter, der ausnahmsweise tatsächlich Protagonist sein darf, ein Geläuterter – ein Guter unter den Bösen, kein klassischer Täter.

Ohne hier Pandoras Büchse des Nazideutschland-DDR-Vergleichs öffnen zu wollen: Es fällt auf, dass der deutsche Film in ersterem Bereich der Vergangenheitsbewältigung die Täterperspektive nicht scheut. Der Untergang oder Napola – Elite für den Führer können hierfür als Beispiele dienen. Nun ist es sicher nicht falsch, den Stasiopfern Gehör zu verschaffen, zumal ihnen dieses zu DDR-Zeiten weitgehend versagt blieb. Und doch lehrt die Geschichte, dass eine vollständige Aufarbeitung auch die Täterperspektive beleuchten muss. Immerhin sind auch die Täter und ihre Motive ein Teil der historischen Wahrheit.

Warum also haben sich deutsche Regisseure bisher kaum an die Täter gewagt? Ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung ist sicher die fehlende Distanz zum Geschehenem. Auch wenn sich der Fall der Mauer vor einer gefühlte Ewigkeit ereignete, so sind 20 Jahre historisch ein äußerst kurzer Zeitraum. Soll ein Film die Psychologie der Täter beleuchten, so muss dies auf einer wissenschaftlich fundierten Basis passieren. Diese wird momentan geschaffen – die Arbeit des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (ehemals bekannt als Gauck-Behörde) ist beispielsweise noch lange nicht beendet. Auch die Tatsache, dass die Opfer, ebenso wie die Stasioffiziere noch leben, erschwert die Darstellung der Täter. Einerseits könnten die falschen Leute eine öffentliche Plattform bekommen. Andererseits könnten sich die Opfer von einer zu starken Vermenschlichung ihrer Peiniger verhöhnt fühlen.

Betrachten wir die bekannten DDR-Filme, so gibt es eine auffällige Gemeinsamkeit: die Herkunft der Filmemacher. Florian Henckel von Donnersmarck (Das Leben der Anderen), Christian Petzold (Barbara) und Toke Constantin Hebbeln (Wir wollten aufs Meer) stammen allesamt aus dem Westen. Die Regel bestätigende Ausnahme ist Leander Haußmann, der sich der Thematik in Sonnenallee allerdings eher humoristisch und durchaus auch ‘ostalgisch’ genähert hat. Als Regisseure aus dem Westen sind erstgenannte jedoch eher aufmerksame Beobachter als Betroffene. Womöglich wurde hier unbewußt das – ein wenig mitleidige – westdeutsche Bild der ostdeutschen Bürger als Opfer des Staates in die Filmsprache übersetzt. Vielleicht war es aber auch der Respekt vor der eigenen Beobachterposition und der fehlenden eigenen Betroffenheit, die westdeutsche Regisseure davon abhielt, die heikle Thematik der Täterperspektive anzugehen.

Hier liegt der Schlüssel für eine Prognose. Womöglich sind es junge ostdeutsche Regisseure, die sich der Täterperspektive in Zukunft annehmen werden. Regisseure, die gegenüber der Stasiverbrechen die richtige Mischung aus familiärer Betroffenheit und zeitlichem Abstand mitbringen. Kommt aus dieser Richtung in naher Zukunft nichts, ist das allerdings auch nicht weiter schlimm. Geht es um öffentliche Aufmerksamkeit, so verdienen die Opfer den Vorrang. Und abgesehen davon ist der deutsche DDR-Film gut. Das beweist die nationale und internationale Anerkennung, die dem deutschen Film in anderen Genres oft verwährt blieb.

Könnt ihr diese Thesen zum deutschen Film unterstützen oder seid ihr anderer Meinung?

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