Linkin Park - Recharged
Jahr: 2013
Genre: Electronica, Dubstep, Crunkcore
Anspieltipps: Lost in the Echo [Killsonik Remix], Lies Greed Misery [Dirtyphonics Remix], Roads Untraveled [Rad Omen Remix]
11 Jahre nach "Reanimation", welches die Songs ihres Debütalbums "Hybrid Theory" neu interpretierte, veröffentlichten Linkin Park ihr zweites Remixalbum "Recharged", in welchem die Songs des Vorgängers "Living Things" einen neuen Anstrich bekommen würden. "Living Things" war nach "A Thousand Suns" das zweite Electronica-Album der Band, welches von Fans und Kritikern polarisierend aufgenommen wurde. Für mich war es die erste Enttäuschung der Gruppe, denn während das vorherige Album noch experimentelle Klänge und eine gewisse hypnotische Atmosphäre besaß, näherte man sich hier dem Techno-Genre an, wobei man ganz genau merkte, dass die Band anderswo beheimatet ist. Auf "Recharged" wiederum verhält es sich anders: die Remixes basieren zwar auf den Songs des Vorgängeralbums, entstanden jedoch durch die Hände diverser etablierter Electronica-Musiker.
Auf diesem Album wird erst klar, welch enormes Potenzial bei "Living Things" in den Sand gesetzt wurde. Tatsächlich klingen die meisten der Remixes nicht wie solche, sondern wie vollendete Dubstep-, Crunkcore- oder Hardcore-Songs. Ich habe mir im Zuge meines Erwerbes von "Recharged" auch noch einmal das zugehörige Studioalbum angehört, und ich muss sagen, dass ausnahmslos alle Songs von ihren Recharged-Gegenstücken zerfetzt werden, im direkten Vergleich wirken sie wie skizzenhafte Demos, um der Plattenfirma zu demonstrieren, in welche Richtung der neue Techno-Sound ungefähr gehen soll; "Recharged" hingegen erscheint wie das daraus resultierende fertige Produkt, welches in anschließender Zusammenarbeit mit den erfahreneren Produzenten entstand. Es ist mir überhaupt ein Rätsel, wieso "Recharged" nicht als reguläres Studioalbum erschienen ist, da die Songs darauf in Struktur und Klang eigentlich sogar noch charttauglicher sind als die Originale, wobei die sich aber um Einiges wuchtiger und härter anhören.
Der Sound der neuen Versionen kann beim Zuhörer ziemlich leicht zu orgasmischen Zuständen führen. So ist der Drop auf "Lost in the Echo", welcher nach einem abgefuckt genialen Screamer erfolgt, mit dem Gefühl zu vergleichen, einen extrem geilen Porno gefunden zu haben und nun mit diesem zu "arbeiten". Man sieht im Moment des Drops vor seinem geistigen Auge einfach automatisch einen sich kurz vor dem Zerbersten befindlichen Gartenschlauch mit voller Pulle einen Gigaschwall Wasser freilassen. Und ich schwöre: auf "Lies Greed Misery" hat man mit jedem Mal, dass der komplett verzerrte und schrille Synthesizer-Ton erklingt, transzendentale Erlebnisse. UND orgasmusähnliche Zustände. "Roads Untraveled" klingt, als hätten sich Blood on the Dance Floor zu ihrer besten Zeit auf ein Hans Zimmer-Konzert verirrt und spontan die Bühne betreten, das Ding ist einfach nur Mörder wie Jack the Ripper. Wir bekommen aber freilich nicht nur Dubstep und (wohl eher unfreiwilligen) Crunkcore geliefert, mit "Victimized" gibt es guten, alten Drum'n'Bass zu hören, "Powerless" ist irgendwo zwischen House und HandsUp anzusiedeln, und erinnert an Future Trance-CDs aus den 00er Jahren, "I'll Be Gone" ist gleich zweimal auf dem Werk vertreten, einmal als Dubstep-Version und einmal als geniale Trap-Nummer.
Was man allerdings sagen muss, die auch von mir vielfach gepriesenen emotionalen Texte und die dadurch vermittelte Tiefe kommen unter all den Effekten, sägenhaften Synthesizern, harten Kicks und wild anarchischen Klangorgien kaum zur Geltung. Hier wird geloopt, mit Effekten zugeklatscht und unter Soundfluten begraben. Aber das macht nichts: das ist ein Blockbuster, wichtig sind ein flottes Tempo, ein großer Haufen Coolness, ein roter Faden und eine sexuell anziehende audiovisuelle Mischung. Wenn ihr dieses Album feiert und trotzdem über Michael Bays Blockbuster herzieht, muss ich euch leider mitteilen: ihr seid schizophren. Was ich etwas schade finde, ist, dass es sich zu keiner Zeit nach Linkin Park anfühlt; man hat ihren Stil nicht mit den Electro-Genres gekreuzt, sondern ihn gänzlich abgenommen. Das Ergebnis ist freilich immer noch geniale Musik, und auf das kommt es an. Ich kann aber durchaus nachvollziehen, wenn jemand, der die älteren LP-Alben preist, mit dem Stil nicht viel anfangen kann.
★★★★☆ (4 von 5)
Blood on the Dance Floor - The Anthem of the Outcast
Jahr: 2012
Genre: Crunkcore, Emo
Anspieltipps: Where's My Wonderland, The Comeback, Your Sorry Life
Nachdem Blood on the Dance Floor mit "Evolution" erstmals ein Album geschaffen haben, das bewiesen hat, dass die beiden Jungs wirklich etwas auf dem Kasten haben, das aber doch noch an einigen Stellen ordentlich harperte - durch frühere, nicht in hohen Stückzahlen vertriebene Alben wie "Epic" oder "All the Rage" zog sich konsequent eine Kombo aus schlechtem Gesang und unfreiwillig komischen Texten, sowie ein Hang zu übertrieben fröhlichen Beats, wobei bereits bei diesen Songs die gute Produktion und die extrem eibgängigen Refrains hervorzuheben sind - haben sie mit "The Anthem of the Outcast" zum ersten Mal ein riesengroßes und zur Gänze gelungenes Album veröffentlicht, das die berechtigte Frage lässt, was in der kurzen Zeit passiert ist, um die Wahnsinnssteigerung zu verzeichnen. Fassen wir einmal zusammen: im Juni 2011 erschien mit "All the Rage" ein, trotz guter Ansätze, in seiner Unsetzung durchgehend unterdurchschnittliches Album independent, welches heute nur mehr auf ihrer Website erworben werden kann (und bereits das vierte seiner Art war). Ein Jahr später veröffentlichten sie "Evolution" über das Label Dark Fantasy (von welchem ich ansonsten noch nie gehört habe und bei welchem auch nur BOTDF gesignt sind, weshalb es sich durchaus um ihr eigenes handeln könnte) in größerer Auflage und regulär auf Amazon zu erwerben, mit einer FULMINANTEN Steigerung auf den meisten Songs, wobei einige andere nachwievor wie jene der alten Werke klangen. Bereits im Oktober desselben Jahres erschien "The Anthem of the Outcast" zuerst als Download-EP und später als Albumvariante auf CD. Ich werde letztere Version, mit 12 Tracks, reviewen, da es die gängigere Edition ist und ich sie nunmal besitze.
Ich beginne, wie bei meinen vergangenen BOTDF-Reviews einmal mit der Optik: und zwar finde ich hier, im starken Kontrast zu den anderen Alben das Covermotiv wirklich ansprechend. Kein gruseliges Photoshop, kein peinlicher Versuch, bedrohlich auszusehen, einfach die beiden extravaganten Bandmitglieder in der Wüste. Das Cover ist, wie die anderen auch, aus Pappe, hat aber diesmal leider kein Booklet. Die Rückseite zeigt sie zusammen mit 2 anderen Männern um ein Lagerfeuer sitzen und nebst der Tracklist einen poetischen Text um die Kraft verleihende Wirkung von Musik auf die Ausgestoßenen dieser Welt; innen ist Jayy von Monroe im Wald zu sehen, und Dahvie Vanity offenbar an Halloween mit ein paar Kürbissen, Totenschädel, Kerzen, etc. und einer Gitarre. Die CD selbst stellt ein knallgrünes Pentagramm dar und ist auf der Unterseite nicht silbern, sondern leuchtend rot. Das Teil macht sich - auch, wenn die 4 Bilder keinen klaren Zusammenhang besitzen - ziemlich schick. Wer meine letzten 2 Musikecken gelesen hat, der weiß, warum ich das hier so ausführlich schreibe, ich kann es kaum fassen, dass mir eines ihrer Albumcover wirklich so zusagt!
Aber nun genug dazu: kommen wir zum Wesentlichen, der Musik. Was gleich zu Beginn auffällt: "Anthem of the Outcast" ist das am Wenigsten elektronische Album der Band, zwei Drittel kann man sogar gänzlich dem Emo-Genre zuschreiben, so stark dominiert der Rocksound auf diesem Werk. Erst gegen Ende setzt der gewohnte vom Dubstep-Genre inspirierte Sound ein, dazu später mehr. Die Albumversion besteht aus 12 Tracks, die EP-Version lediglich aus 9 Songs. Etwas dubios finde ich, dass die 3 neuen Songs, obwohl nicht als Bonustracks deklariert, einfach hinten an die anderen geheftet wurden, da es sich bei den Titelnummern 8 und 9 um zusätzliche Remixe handelt, sinnvoller wäre es gewesen, diese ans Ende zu setzen, aber sei's drum. Es tut dem Spaß keinen Abbruch. Und den kann man auf "The Anthem of the Outcast" wirklich haben. Nach einem theatralisch-bombastischen Intro ertönt wild und mit ungewohnt harten Gitarrenriffs (dieses Instrument diente der Band bislang zur Abrundung elektronischer Beats) bereits "The Comeback". Von Monroe bedient sich hier Death Growls, welche ich eigentlich wenig mag, hier aber als Kontrast zum melodischen Chorus gut funktionieren. Dieser ist übrigens eine Offenbarung: aus einfachsten Herzschmerzzeilen wird großes Kino gemacht, es singt sich Dahvie Vanity den Schmerz von der Seele, er hat gut gelernt, seinen limitierten Stimmumfang vollstens auszuschöpfen. Die Melodie ist absolut eingängig und wird einmal gehört Tage lang im Kopf herumschwirren. In der Bridge nach dem 2. Refrain screamt er, und das mit einer absolut glaubhaften Überzeugung: "COME BACK TO ME!!!". Es folgt ein episches Gitarrensolo, welches die Melodie des Refrains nachspielt und mal einfach megageil klingt. Meine Damen und Herren: die neuen Blood on the Dance Floor! Die Tage, an denen sie ihren Ambitionen scheiterten, sind vorbei. Der Ton für das Album ist gesetzt, ähnlich rockig, dramatisch und eingängig ertönt die titelgebende Hymne der Ausgestoßenen, und sie klingt wie ein Schlachtruf derer, die sich gegen das System erheben, diesmal ohne Growls, aber mit genauso viel Power. "Hell on Heels", dass das altbewährte Motiv der Femme Fatale aufgreift, weist zwar deutlich elektronischere Elemente auf, kickt aber im Refrain richtig hart herein. Hier fällt doch eine gewisse Ähnlichkeit zu My Chemical Romance, beziehungsweise deren Album "Danger Days" und Tokio Hotel's "Humanoid" auf - nicht etwa, weil abgekupfert wurde, sondern weil es alle 3 Alben schaffen, artifizielle Instrumente in coolen Rocksound einzubinden und dabei das Gefühlschaos eines Teenagers zu vermitteln. Und dann bricht "Your Sorry Life" herein. Und fuck fuck fuck, ist das ein geiles Teil! Blood on the Dance Floor haben offenbar die Black Veil Brides gefrühstückt, wie sonst schafft es eine Crunkcore-Band, so einen fetzigen und kraftvollen Emosong zu fabrizieren - allein dieses geile Hauptriff! Es ist auch das zweite Mal, dass Dahvie Vanity seinen stimmlich viel begabteren Kollegen Jayy von Monroe komplett an die Wand singt (auf anderen Songs hört man dann doch noch, dass er nicht der beste Sänger ist, aber es ist nichts in Vergleich zu früheren Aufnahmen und fällt bei der genialen Musik nicht ins Gewicht). Was ist da bitte passiert!? "Worlds Away" erinnert dagegen etwas an die 70er Jahre und hat einen leichten Progressive Rock-Touch. Das ist so ziemlich das letzte, was ich von der Band erwartet hätte, funktioniert aber perfekt. Nach einer Ballade und der Radio Version von "Anthem of the Outcast", welche sich von der regulären aber nur dadurch unterscheidet, dass sie 20 Sekunden kürzer dauert, begeben sich Blood on the Dance Floor zurück in gewohnte Gewässer. Die letzten 4 Songs der Album-Edition sind ein Crunkcore-FESTIVAL. Wildeste Dubstep-Drops, epischste Synthesizer, Rap-Einlagen, wilde Soundeffekte, atemberaubende Ohrwurm-Hooks - bombastischer kann man elektronischer nicht werden - auf "Clubbed to Death" bricht sogar reinste Anarchie aus. Zum Schluss wird das Album von dem unheimlichen und trotzdem melodischen Stück "Where's My Wonderland" extrem beeindruckend und überproduziert beendet - hier vermischen sich Emo und Crunkcore so nahtlos, es fühlt sich an wie der dramaturgische Höhepunkt eines epischen Abenteuers. Die Kombination aus Gefühlschaos, Alice im Wunderland und Horror funktioniert derart gut, ich hab mir schon überlegt, ob es nicht besser wäre, ich würde mich vorsichtshalber mit einer Pfeffermühle bewaffnen.
"The Anthem of the Outcast" ist das beste Album des Ausnahme-Duos aus Florida. Es ist ungemein vielseitig, experimentierfreudig, und dabei verdammt stilsicher, und klingt dabei so filmreif, dass man sich am Besten mit Popcorn und Cola ausstattet. Auch, wenn Dahvie Vanity nie ein großer Sänger werden wird, hier schafft er es durchgehend, verdammt gut mit der Musik zu harmonieren. Man glaubt kaum, dass das dieselbe Band ist, von der Songs wie "Revenge Porn", "Candyland" oder "Bewitched" stammen.
★★★★★ (5 von 5)
Kollegah - Bossaura
Jahr: 2011
Genre: Hip-Hop
Anspieltipps: Mondfinsternis, Kobrakopf, Bossaura
Dass Kollegah der beste deutsche Rapper ist, ist ein allgemein anerkannter Fakt; es steht sogar in der Bibel und wurde auch vom Papst in seiner Osterprädigt dieses Jahr erneut bestätigt. Dennoch hat "Bossaura" unter den Fans des Bosses einen eher zweifelhaften Ruf, wie etwa "Encore" und "Relapse" unter Eminem-Anhängern. Und das diesmal sogar zurecht. Dabei muss ich gleich einmal klarstellen: jeder andere Rapper könnte stolz auf ein Album wie dieses sein, trotzdem beinhaltet es einige sehr merkwürdige Entscheidungen, die ab und an für negative "Ach du Scheiße"-Momente sorgen. Oftmals verhunzen sie dann das gesamte Lied. Und das, obwohl die Quintessenz der vorangegangenen Alben nachwievor vorhanden ist. Denn eines muss man sagen: das Problem ist hier nicht Kollegah. Er ist gewohnt genial, seine Verse sind erneut eine Offenbarung: "Guck auf mein Business, für die Liste der 10 Reichsten / Fehlt nur eim klitzekleiner Tick, als wenn Trick und Track zu zweit sind", "Mehr Cash im Schrank als Donald zu dem Trump / Und der Rest ist auf der Bank so wie Forrest zu dem Gump / Kid, ich rolle meinen Blunt vor dem Polizeibeamten / Grins' und zünd' ihn mit einem von meinen Dollarscheinen an" oder "Du sprichst von Heirat, doch ich treff' deine Chick im Nightclub / Ein, zwei Whiskey und sie sitzt im Maybach / Es braucht nicht viel Einsatz, bis die Bitch sich freimacht / Der Aufwand ist ein minimaler wie Disney-Zeichner". Das sind einfach megakrasse Zeilen mit gewitzten Vergleichen, wunderbarem Gebrauch von Homophonie und komplexen Reimen. Da kann man nichts dagegen sagen.
Das eigentliche Problem liegt in der Produktion und in den Refrains, das Album ist in beiden Aspekten ein katastrophaler Rückschritt verglichen mit den Vorgängern. Die Hook von "Jetlag" ist sogar die schlechteste, die ich jemals von einem Hip-Hop-Musiker gehört habe. Gleich danach kommen "My 1st Single" von Eminem und "Rainbows & Stuff" von Insane Clown Posse (im Grunde mag ich alle 3 Künstler). Wobei sich besagte Kolle-Hook von den anderen beiden darin unterscheidet, dass sie von einem anderen Musiker, nämlich Sun Diego, der sich für fast alle Choruses des Albums verantwortlich zeigt, stammt.
Ein wiederkehrendes Problem auf "Bossaura" ist nämlich, dass die gesamte restliche Crew zu amateurhaft für einen Rapper dieses Talentes wirkt. Auch die Beats seiner Vorgängeralben glänzten nicht gerade durch ihre Meisterhaftigkeit, sie gingen aber zumeist in Ordnung und fielen nicht negativ auf. Hier nimmt es neue, plastische Ausmaße an. Ich kann problemlos alle gelungenen Beats aufzählen, ohne, dass die Liste zu lang wird (beginnend mit dem besten): Kobrakopf, Business Paris, Bossaura, Mondfinsternis, Flex Sluts Rock'n'Roll, Money, Kokayne. Okay, "Jetlag" hätte auch noch einen ganz coolen Beat, aber wie oben erwähnt, die Hook suckt... "Business mit Jetlaaa-a-a-a-aaaag!" Das Album enthält 18 vollständige Songs und nicht einmal die Hälfte davon ist gut. Der absolute Tiefpunkt ist das Instrumental zu "Drugs in den Jeans", diese ekligen Chorsynthesizer hatt' ich auf einer Spielzeugorgel auch. Gleich danach folgt "Spotlight", es erinnert mich stark an dieses ähnlich grausig produzierte Young Money-Album, im Chorus klingt die Gastsängerin dank Autotune wie ein Vocaloid. Ich habe eigentlich nichts gegen besagten Effekt, solange er halbwegs wohlklingend eingesetzt, hier wird er allerdings so überreizt, so üppig aufgetragen und mit anderen Effekten teilweise grob und ohne Feingespür kombiniert, dass es oftmals grausig klingt. Lediglich "Kobrakopf" setzt den Effekt so ein, dass dadurch eine eingängige Melodie entsteht, die auch noch gut klingt. Dieser Song überzeugt auch durch seine Produktion sowie durch die Guest Verses von Farid Bang und Haftbefehl, welche ihre eigene Note miteinbringen und perfekt flowen.
Alles in Allem klingt das hier negativer als es eigentlich ist, Kollegahs Präsenz ist so enorm, dass er alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, und seine Rapskills haben sich im Vergleich zu "Alphagene" und "Kollegah" sogar etwas gesteigert (sind allerdings noch nicht auf dem Niveau eines "King"). Man kann mit dem Album durchaus seinen Spaß haben, es wirkt allerdings selten vollendet und von Profihand erstellt.
★★★1/2☆ (3 1/2 von 5)
An Cafe - Amazing Blue
Jahr: 2012
Genre: J-Pop, J-Rock, Dance Rock
Anspieltipps: Amazing Blue, You-know-who K Mental Clinic, Cloud over Moon Wind On Flowers
Was gleich einmal auffällt, wenn man die physische Kopie von "Amazing Blue" betrachtet: es ist definitiv die An Cafe-Veröffentlichung mit den normalsten Songtiteln. Damit meine ich nicht die Tatsache, dass hier überwiegend englische Titel vorhanden sind, sondern dass es ein Release ist, der nahezu gänzlich ohne merkwürdige Sonderzeichen wie Sternsymbole oder Wellen, Datumsangaben, kaum nachvollziehbare Groß- und Kleinschreibung, und ähnliches auskommt. "You-know-who K Mental Clinic" ist hier schon das Absurdeste, das vorkommt. Das ist mit unaussprechlichen Ungetümen wie "Hatsumitsu+Lemon=?", "Shuomi Kigen 2010.01.04" oder "Summer Dive ~sweet-melty PEACH-BEACH~" kaum zu vergleichen. Ist das in Japan normal? Ich habe ihre Alben mehrfach gehört, und weiß immer noch nicht, wie ich ihre Songs auszusprechen habe, und das liegt nicht am Japanischen. Naja, dafür vermarkten sie die meisten ihrer CDs international, was angenehm ist, da man sie zu einem vernünftigen Preis bekommt und auch bei manchen Alben ein zweites Booklet mit den englischen Übersetzungen beigelegt bekommt. So auch auf "Amazing Blue"
Genau genommen handelt es sich nicht um ein Album, sondern um eine EP mit 7 Songs und einer Gesamtlänge von 30 Minuten und 2 Sekunden, womit sie ja schon fast wieder Albumlänge besitzt, oder anders gesagt: hätten sie zusätzlich noch ein paar Skits und Interludes eingebaut, hätten sie es auch getrost ein Album nennen können. #jackü #bloodhoundgang Aber Kunst sei Dank bekommt der Zuhörer exakt das, was auf dem Cover draufsteht: 7 neue und auf keinem Album erhältliche Lieder. Und vor Allem: es dürfte sich hier nicht um Studio-Überbleibsel handeln, sondern um eigens für die EP komponiertes Material, denn die Musik ist sogar um ein Vielfaches besser als die der zuvor erschienenen Studioalben. Zwar kommt sie nicht ganz an das ein Jahr später erschienene "Hikagyaku Ziprock" heran, nichtsdestotrotz legte sie wohl den Grundstein für das folgende Überalbum. Das liegt vor Allem an dem immer stärker werdenden Pop-Appeal der Musik, ohne, dass sie ihre - zumindest für den westlichen Zuhörer - Freakiness verlieren. Im Gegenteil: dadurch, dass sie nicht mehr ausschließlich Rockmusik offenbaren, erhalten sie eine Vielzahl an zusätzlichen Facetten. Denn, glaubt es oder nicht, diese klingt genau so, wie die 5 Jungs der Band aussehen. Wer wie ich mit Animes aufgewachsen ist, fühlt sich wohl gleich heimisch, sobald der erste Song anläuft. Die Melodien, die hohe Geschwindigkeit und die Art des Gesangs sind, nebst der Sprache, unverkennbar japanisch. Zusätzlich besitzt sie einige Eigenheiten, etwa die Vermischung von Geschlechtervorstellungen. Ich könnte keine geschlechtliche Zielgruppe festmachen. So brechen aufgrund des teilweise hohen Tempos der Songs und der E-Gitarren stark rockige Elemente herein, die Genderbender-Stimme von Miku, sowie die bunt klingenden Synthesizer und Keyboards, in Kombination mit den (in besagtem Booklet nachzulesenden) mit ungewöhnlichen Metaphern und überschwänglichen, melodramatischen Gefühlen gespickten Texten haben dabei fast schon etwas schnulzig. Auf das punkige, mit harten Riffs und bizarrsten Effekten versehene "You-know-who K Mental Clinic" folgt das balladeske, kitschig anmutende "End of Summer", und lässt die Headbangs nahtlos in hingerissene Kerzenschwenks übergehen. Zuvor gab es das hüpfend rasche Synthie-Brett "Cloud over Moon, Wind on Flowers", während "Self Instruction Menual" klingt, als hätte eine Soft Rock-Gruppe den Soundtrack von Pokémon Rubin/Saphir gesampelt. Das sind freilich recht gewöhnungsbedürftige Mischungen, sie werden aber allesamt perfekt zusammengehalten von eingängigen und perfekt dargebrachten Melodien und einem wunderbaren Fluss. Trotz der Unterschiedlichkeit der Einflüsse funktioniert die EP als Gesamtwerk perfekt. Vor dieser EP war der Sound deutlich rocklastiger, fast schon etwas punkig, hier hat man das Spektrum erweitert und den Fokus verrückt. Und die Rechnung geht vollkimmen auf: die halbe Stunde, die "Amazing Blue" dauert, ist ein verdammt spannendes Abenteuer in der Welt des animehaften Sounds.
★★★★1/2 (4 1/2 von 5)
Beyond the Black - Lost in Forever
Jahr: 2016
Genre: Symphonic Metal
Anspieltipps: Written in Blood, Beautiful Lies, Beyond the Mirror
Im Jahre 2015 präsentierte man uns das Debütalbum der deutschen Symphonic Metal-Band Beyond the Black, "Songs of Love and Death". Es wurde zu einem Überraschungshit, war kommerziell erfolgreich und erntete gute Kritiken. Dennoch fragte man sich, wie authentisch die Band denn sei, denn wenngleich sie ihre Instrumente mit Bravour spielen, stammen die Songs aus der Feder anderer Rockmusiker, die mit Größen des Genres zusammengearbeitet haben oder selbst welche sind, nicht von den Bandmitgliedern selbst. Ich kann das ganz leicht beantworten: im Grunde handelt es sich bei Beyond the Black um Studio- bzw. Live-Musiker, die die Visionen eines Dritten verwirklichen, sich dabei aber selbst auch musikalisch ausleben können. Alleine die auf dem Album dargebrachten Solos schreien danach, zeigen zu wollen, was in einem steckt. Das war freilich etwas spaltend: zum Einen wurde die Musik vollkommen positiv rezipiert, die Band selbst jedoch verrissen. Ich muss mich hierbei ganz klar FÜR Beyond the Black aussprechen: die Musik war genial, und die Songs durchgehend in der Oberliga des Genres, jeder der Beteiligten wusste genau, was er da macht, und das Zusammenspiel machte die Wirkung aus. Mittlerweile hat Sängerin Jennifer Haben die anderen Bandmitglieder vor die Tür gesetzt und sich vorgenommen, mit Beyond the Black ihren eigenen Weg zu gehen. Ob das klappen wird? Man bekommt sicherlich eine größere Selbstverwirklichung seitens der Leadsängerin, aber die anderen Bandmitglieder (die Gründungsmitglieder, wie auch jene, die noch folgen werden) werden dadurch wie Wegwerfware behandelt. Wir werden sehen. Bevor diese Trennung der Wege eingeleitet wurde, erschien jedenfalls noch ihr zweites Album "Lost in Forever". Das machte mich erst einmal skeptisch. Brauchen Genrekollegen wie Nightwish und Within Temptation (die ja beide unter meinen Top 5 Favorite Music Artists sind) mehrere Jahre für ihre Alben, erscheint das zweite Album von Beyond the Black, die ja einen ähnlich bombastischen Sound produzieren, gerade einmal 1 Jahr (beziehungsweise sogar einen Tag weniger, am 12. Februar, anstatt wie der Vorgänger am 13. Februar) später. Meine erste Vermutung: man will nach dem Sleeper Hit "Songs of Love and Death" schnell etwas nachwerfen, ehe die Band vergedden ist. Vermutlich war auch genau das die Absicht, das ändert aber nichzs daran, dass "Lost in Forever" auf vollster Linie überzeugt.
"Written in Blood" ist beispielsweise wieder ein Jahrhundertsong. Irgendwo zwischen Evanescence und HIM, mit einem Refrain, der, sobald er hereinbricht, die Decke in die Luft jagt. Die größte Stärke von Beyond the Black's Musik ist etwas, das die etwas härtere Rockmusik, zumindest in meinen ungeübtwn und poporientierten Ohren, oft vermisst lässt: Eingängigkeit, Ohrwurmqualität. So pompös und überproduziert die Lieder auch klingen, die genial simplen Melodien verankern sich unmittelbar im Gedächtnis. Bei "Beyond the Mirror" ist das z.B. gar nicht so sehr der gesungene Chorus als das mit der Violine gespielte instrumentale Leitmotiv. Die Texte zeichnen sich durch eine gewisse Nähe zu Fantasy, Gothic und Poetik aus, die sicherlich eher Nerds oder spirituell gesinnte Personen ansprechen als harte Kerle. Apropos Härte: wie für das Genre üblich ertönen auf "Lost in Forever" zwar harte Riffs und fetziges Schlagzeug, dennoch ist der Grundtenor des Albums ein melodischer, harmonischer und weicher. Das ist keine Headbanger-Musik, sondern zum Schweben in fremden Sphären. Deswehen finde ich es auch schade, dass man hier hin und wieder Death Growls (es könnten auch Screamo-Vocals sein, ich bin noch unentschlossen) eingebunden hat, die in dieses Konzept nicht passen und wohl eine maskulinere Zielgruppe ansprechen sollen. Sie nehmen zwar nur einen so kleinen Teil der Musik ein, dass es nie richtig störend wird, aber Lieder wie der Titelsong kämen auch genauso gut ohne sie aus. Dennoch überzeugt auch dieses zweite Albun, ganz im Gegensatz zum fast schon parodistisch pseudo-düsteren und hässlich aufgesetzten Covermotiv. "Lost in Forever" ist schon sehr großes Kino, schlägt sanfte Töne an, bindet hier und da keltisch bzw. mittelalterlich angehauchte Melodien, klingt dann wiedet wie einem Blockbustersoundtrack entsprungen, um dann wieder modern zu werden. Das ist ein würdiger Nachfolger mit toller Musik, die das Warten auf das nächste Nightwish- bzw. Within Temptation-Album versüßt und sich im besten Fall sogar an diese anhängt.
★★★★☆ (4 von 5)