Geschlagene sechs Jahre ist es her, dass Netflix die Entwicklung der Fantasy-Serie Kaos erstmals ankündigte. Jetzt hat das Warten endlich ein Ende und seit dem 29. August 2024 streamt die 1. Staffel mit acht Episoden bei Netflix. Aber kann die bitterböse Comedy über arrogante griechische Gottheiten und missverstandene Prophezeiungen den hohen Erwartungen standhalten? Die Antwort gibt's hier im Seriencheck.
Zeus in der Krise: Das erwartet euch in der Fantasy-Serie Kaos bei Netflix
Was wäre, wenn Gottheiten und Sagengestalten in der Gegenwart existierten? Im Bereich der Fantasy widmeten sich schon einige Serien dieser Frage mit unterschiedlichen Ansätzen. Kaos ist nun ein Mix aus fatalistischer Ensemble-Erzählung wie American Gods und witzigen Mythologie-Spielereien, die wir schon aus Percy Jackson: Die Serie kennen – nur mit mehr Gewalt und Sex.
Darum geht's in Kaos: Hoch über den Wolken von Griechenland lebt der Götterkönig Zeus (Jeff Goldblum) in einer glanzvollen Villa, lässt sich von Poolboys in knappen Höschen bedienen und hat wenig Liebe für seine Kinder oder Sterbliche übrig. Um es mit den Worten seines verbannten Freundes und Serienerzähler Prometheus zu sagen: "Er ist ein strenger, unverbesserlicher Bastard."
Abgesehen von den alljährlichen Menschenopfern, die auf Kreta erbracht werden, scheint diese Welt erstmal recht friedlich. Das wird sich jedoch bald ändern, wenn der neurotische und narzisstische Zeus eine Falte auf seiner Stirn entdeckt. Die daraus resultierende Lebenskrise hat aber nichts mit der Angst vor dem Altern, sondern einer uralten Prophezeiung zu tun:
Eine Linie erscheint, die Ordnung ruiniert, die Familie fällt und Kaos regiert.
Für Zeus ist das Omen seines bevorstehenden Untergangs eindeutig. Seine Familienmitglieder Hera (Janet McTeer), Hades (David Thewlis), Poseidon (Cliff Curtis) und Dionysos (Nabhaan Rizwan) setzen nun alles daran, um den paranoiden Herrscher des Olymps bei Laune zu halten und eine Eskalation zu verhindern. Aber nicht erst seit Game of Thrones wissen wir: Prophezeiungen sollten nicht immer wörtlich genommen werden und können desaströse selbsterfüllende Konsequenzen haben.
Kaos erschafft eine Fantasy-Welt voller schräger Ideen
Gleich von der ersten Szene an wird deutlich: Kaos ist kein düsteres Fantasy-Epos über sich bekriegende Gottheiten, sondern eine farbenfrohe Gesellschaftssatire mit reichlich Witz. Wer schon mal die ein oder andere Sage gelesen hat, weiß, wie grotesk, hinterhältig und gemein das Verhalten der griechischen Götter sein kann. Und das bringt Kaos schlagfertig auf den Punkt.
So ändern die Götter gerne mal ihre Gestalt, um Sterbliche zu verführen; Hera verwandelt die Mütter von Zeus' unehelichen Kindern in Bienen für ihren Garten; und Geschlechter wie Verwandtschaftsverhältnisse spielen bei den sexuellen Ausflügen der selbstverliebten horny Olympier eh keine Rolle.
Auch abseits des Olymps werden zahlreiche Sagengestalten modern neu interpretiert. Tragende Rollen spielen dabei die Muse Riddy aka Eurydike (Aurora Perrineau), die sich von Rockstar-Boyfriend Orpheus (Killian Scott) trennen will und in der Unterwelt landet; die Politiker-Tochter Ariadne (Leila Farzad) mit tragischer Familiengeschichte; sowie der Amazone Canaeus (Misia Butler), der wegen seiner Transsexualität von seiner männerhassenden Familie direkt in den Hades geschickt wird.
Egal, ob ein Kneipenquiz mit den nonbinären Moiren, der Einsatz dreiköpfiger Spürhunde beim Check-in in die Unterwelt oder ein Auftritt von motorradfahrenden Furien: Für Fans der griechischen Mythologie hält Kaos jede Menge schräger Einfälle bereit.
Der Mix aus Sagen und Moderne findet die richtige Balance zwischen bissiger Komödie und epischer Tragödie. Wenn die vielen Charaktere und Geschichten immer näher zusammenrücken, stellt sich die spannende Frage: Existiert ein freier Wille überhaupt? Oder hat das Schicksal jede Verkettung von Ereignissen von langer Hand geplant?
Kaos möchte Percy Jackson für Erwachsene sein, scheitert aber an einer Netflix-Krankheit
Der Einfallsreichtum der Sagen-Interpretation weist einige Ähnlichkeiten zu den Percy Jackson-Romane und ihren Verfilmungen auf. Kaos geht sogar noch einen Schritt weiter und verbirgt die Welt der Sagen und Götter nicht vor den Menschen, sondern erschafft ein fiktives Griechenland, in dem Prophezeiungen, göttliche Intervention und die Beichte im örtlichen Hera-Tempel zum normalen Alltag gehören.
Doch wo Percy Jackson hinter der menschlichen Tarnung aufregende und verspielte Welten, Orte und Kreaturen offenbarte, scheint sich Kaos dem wirklich Fantastischen verweigern zu wollen. Alles ist ein wenig zu bodenständig dargestellt. Wenn selbst eine mythologische Kreatur wie der Minotaurus nur ein verwilderter Mensch mit Maske ist und die Gorgone Medusa ihre (teuren) CGI-Schlangenhaare die meiste Zeit unter einem Kopftuch verbergen muss, entsteht der Verdacht, dass Netflix am völlig falschen Ende Einsparungen vorgenommen hat.
Vielleicht ist das Budget ein Grund, warum die Serie viele Jahre im Entwicklungsstadium feststeckte. Da Fantasy-Fans in den letzten Jahren von vielen bildgewaltigen Genre-Erzählungen (auch bei Netflix) verwöhnt wurden, kann Kaos die Erwartungen an eine moderne Genre-Serie leider nicht erfüllen und bleibt damit hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Natürlich gibt es manche spannende Sets zu bestaunen, wie die komplett in schwarz-weiß gehaltene Unterweltstadt und einige weitere visuelle Spielereien. Doch es mangelt Kaos an opulenten Schauwerten, was durch ein weiteres Problem vieler aktueller Netflix-Serien verschlimmert wird: Die zu glatte, zu saubere und künstliche Ästhetik, an denen zahlreiche Produktionen des Streamers kranken. Warum der einheitliche Netflix-Look Serien schadet, haben wir euch hier erklärt.
Aber ist Kaos deshalb eine schlechte Serie? Das auf keinen Fall. Die acht Folgen sind extrem unterhaltsam und Serienschöpfer:in Charlie Covell (The End of the F***ing World) hat eine überraschend – und zur griechischen Antike passende – queere Serie voller liebenswert schriller Figuren, fatalistischer Wendungen und überraschend viel Herz kreiert.
Die 1. Staffel von Kaos wurde am 29. August 2024 bei Netflix veröffentlicht. Grundlage für diesen Seriencheck waren alle acht Episoden.