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Eine Reise nach Tschechien

15.04.2015 - 15:13 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Kino Světozor in Prag: Hier habe ich mein "Bin-jip"-Poster gekauft, das seit Jahren an der Wohnzimmerwand hängt...
Martin Strachoň, Wikimedia Commons / Bontonfilm / Zlin Film School
Kino Světozor in Prag: Hier habe ich mein "Bin-jip"-Poster gekauft, das seit Jahren an der Wohnzimmerwand hängt...
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Der letzte Prag-Urlaub liegt nicht allzuweit zurück und natürlich habe ich mir mal wieder einige DVDs mit nach Hause gebracht. Das mache ich immer ganz gerne, wenn ich im Ausland bin: Filme kaufen, die man typischerweise hierzulande kaum zu Gesicht bekommt. Mein Tschechisch ist allerdings eher nicht existent. Doch solange die DVDs wenigstens englische Untertitel besitzen und irgendwie interessant aussehen, wird zugegeriffen. Da wähle ich natürlich etwas blind aus, aber ich lasse mich immer gerne überraschen.

Da alle drei Filme (zum Zeitpunkt des Schreibens) nicht in der Moviepilot-Datenbank zu finden sind, ich sie jedoch gerne kommentieren und bewerten möchte, gibt es nun diesen Artikel. Geht mit mir auf eine Entdeckungsreise in das Land, das Filmemacher wie Miloš Forman (Amadeus, Einer flog über das Kuckucksnest) oder Jirí Menzel (Liebe nach Fahrplan) hervorgebracht hat. Und natürlich Literaten wie Franz Kafka und Milan Kundera...

MARTA

2006, Regie: Marta Nováková, Trailer , IMDb-Link 

Handlung: Es herrscht Krieg. Um seinen Sohn Marek (Vojtech Stepánek) davor zu bewahren eingezogen zu werden, versteckt der Vater (Jan Novotný) ihn in einer einsamen Hütte im Wald. Mareks Vater würde eventuell nicht alleine überleben, da sein kaputtes Bein ihn stark behindert. Sie leben von der Tierjagd. Die erbeuteten Tiere bringt der Vater in das nächste Dorf, um sie gegen das Nötigste einzutauschen. Aber eines Tages geht ein unerwarteter Fang in eine von Mareks Fallen: Die feindliche Soldatin Marta (Petra Spalková). Die junge Frau bringt zusätzlichen Druck in die sowieso schon angespannte Situation.

Meine Meinung: Der Film beleuchtet die Beziehungen der drei Figuren untereinander auf sehr eindringliche Art und Weise. Die Kamera ist stets sehr nah an den Figuren. Die Bilder sind zumeist düster gehalten und zeigen oftmals lediglich Ausschnitte des Geschehens. So wurde eine durchaus klaustrophobische Atmosphäre erzeugt. Um welchen Krieg es sich hier eigentlich handelt, wird zu keinem Zeitpunkt deutlich, spielt aber auch keine Rolle. Der für den Film eigentlich relevante Krieg spielt sich vielmehr zwischen den drei Personen ab. Der Vater ist abhängig vom Sohn und die feindliche Soldatin ist auf mehreren Ebenen eine Bedrohung. Das Gleiche gilt für Marta. Auch sie ist auf den jungen Marek angewiesen, da sie seine Pflege benötigt und ohne seinen Schutz der Wilkür und der Gewalt durch den Vater ausgesetzt wäre. Aber auch Marek entwickelt eine Abhängigkeit... Bewertung: 7.0

Ebenfalls auf der DVD enthalten ist als Bonus das Filmschulabschlußwerk der Regisseurin Marta Nováková: "Spát a spát - I Want to Sleep" aus dem Jahre 1996. Auch wenn der 17-minütige Stummfilm in schwarz-weiß lediglich kyrillische und tschechische Zwischentitel besitzt, so erschließt sich die tragische Handlung relativ problemlos. Die Bildsprache ist eindeutig. Eine junge Frau im Gefängnis erzählt rückblickend vom Grund für ihre Inhaftierung: Sie ist eine Kindsmörderin. Die grausame Geschichte basierte auf einer Vorlage vom russischen Autor Anton Tschechow und wurde sowohl visuell als auch emotionell sehr überzeugend umgesetzt. Bewertung: 7.0

SPRÁVCE STATKU - DER GUTSVERWALTER

2004, Regie: Martin Duba, Trailer , IMDb-Link
 

Handlung: Auf dem ländlichen Gut der Familie Kuba herrscht Langeweile. Die Männer schuften, die Jungen vertreiben sich die Freizeit auf Fahrrädern oder in Baumhäusern, die Mädchen machen neben ihren Aufgaben täglich Reitübungen, die Praktikantin Marie (Anna Veselá) träumt von der weiten Welt und am Abend sitzen alle zusammen im Gasthaus. Doch dann kommt František (Adam Stivín), bietet sich als kostenloser Gutsarbeiter an und bringt Abwechslung in die Eintönigkeit. Er verdreht der jungen Marie etwas den Kopf, treibt mit den Jungs Schabernack und hat die ein oder andere gute Idee auf Lager. Doch die Familie Kuba hat finanzielle Sorgen...

Meine Meinung: Der Filmemacher und Kameramann Martin Duba drehte zuvor hauptsächlich Dokumentarfilme und wollte einmal ein Projekt mit seiner Familie realisieren. So spielen neben ihm auch seine Frau Jarmila Dubová sowie seine Söhne Petr und Jirí die Familie Kuba. Der Rest der Darsteller wurde aus dem Bekannten- und Freundeskreis zusammengestellt. Die einzige professionelle Schauspielerin ist Anna Veselá. Außerdem ist in einer kleinen Nebenrolle der Regisseur Ondrej Trojan zu sehen. Adam Stivín, der František spielt (siehe Foto oben links), hat mich übrigens vom Aussehen her sehr stark an einen jungen Anders W. Berthelsen erinnert. Sehr verwirrend... Das Geschehen nach Františeks Auftauchen ist größtenteils eher von der belanglosen, aber in jedem Fall sehr sympathischen Sorte. "Der Gutsverwalter" ist ein klassischer Fall von 'Fühlgutfilm' mit einer positiven Botschaft. Insgesamt naiv, aber nett. Bewertung: 6.0

CESTA - JOURNEY

2004, Regie: Jasmina Bralić-Blažević, Trailer , IMDb-Link 

Der letzte Film, den ich an dieser Stelle vorstellen möchte, ist eine Dokumentation über die Regisseurin Vera Chytilová. Sie studierte als einzige Frau ihrer Zeit an der Prager Filmhochschule. Anfang der 1960er Jahre war Chytilová neben Miloš Forman eine der wichtigsten Vertreterinnen der „Neuen Welle“ in der Tschechoslowakei. Sie engagiert sich stark für den Feminismus und ihre katholische Erziehung hatte in einigen Filmen einen nicht unwesentlichen Einfluss. Über eine Zeit von sechs Jahren (zwischen 1969 und 1975) war sie in der durch die Sowjetunion kontrollierten Filmindustie ihres Landes mit einem Arbeitsverbot belegt. Sie war dafür bekannt, öffentlich die Sowjetunion zu kritisieren, da sie sich durch Zensur und Regulieren in ihrer künstlerischen Freiheit beschnitten fühlte. Und trotzdem verließ sie (wie einige andere Künstler ihrer Zeit) die Heimat niemals und versuchte ihre Karriere gegen jede Widrigkeit fortzusetzen. All dies thematisiert der Film jedoch höchstens am Rande. Eigentlich ist es vielmehr ein Porträt über die Persönlichkeit der Regisseurin. Der Film setzt sich etwas zusammenhanglos aus Filmausschnitten einiger ihrer Werke, persönlichen Familienaufnahmen aus verschiedenen Zeiten sowie aus Monologen und Interviews mit Chytilová zusammen. "Cesta" hat es weniger zum Ziel, eine Filmographie aufzuarbeiten oder die Familiengeschichte zu beleuchten. Alles wäre ebenfalls absolut interessant gewesen. Eigentlich kann man jedoch aufgrund der wenigen Filmausschnitte nicht einmal ein wirkliches Bild von ihrem Schaffen erhalten; höchstens eine Ahnung aufkeimen lassen. Es ist allerdings noch um einiges spannender, dem Menschen hinter der Kamera etwas näher zu kommen. Und in den knapp 53 Minuten läßt sich aus den Gesprächen mit Chytilová eine wirklich faszinierende, vielleicht etwas polarisiernde Persönlichkeit entdecken, die es in ihrer Laufbahn nicht immer leicht gehabt hat und mit vielen Widerständen zu kämpfen hatte. Trotzdem konnte sie eine nicht unerhebliche Anzahl an Filmpreisen gewinnen, die sie in diesem Dokumentarfilm auch sehr gerne präsentiert. Im Jahre 2014 verstarb Vera Chytilová in Prag im Alter von 85 Jahren. Bewertung: 7.5

Das soll es jetzt gewesen sein. Im Großen und Ganzen haben mir alle Filme ganz gut gefallen, die ich mir da recht blind herausgepickt habe. Vielleicht ist ja auch etwas für euch dabei. Děkuji & na shledanou!

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