Erschreckend stark: Parasite vom Okja-Macher ist einer der besten Filme des Jahres

22.05.2019 - 15:50 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Parasite läuft in Cannes
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Parasite läuft in Cannes
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Nach Okja legt Bong Joon-ho mit Parasite eine bittere Sozialkritik vor, die dieses Festival von Cannes auf den Punkt bringt. Lest, was euch in der unterhaltsamen Thriller-Komödie erwartet.

Ob Monsterfilm oder eisige Zug-Action, der Südkoreaner Bong Joon-ho verwebt in seinen Filmen spektakuläre Genre-Unterhaltung mit sozialkritischen Fäden, die aus Geschichte und Ungleichheiten der koreanischen Gesellschaft gesponnen werden.

Rote Overalls wie in Jordan Peeles Horrorkomödie Wir sehen wir in Parasite zwar nicht. Doch auch in dem virtuos kontrollierten Mix aus Horror, Komödie und Thriller drängt sich eine Familie ins Leben der anderen. Der Film läuft im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes.

Snowpiercer-Regisseur Bong Joon-ho hat mit Parasite einen seiner besten Filme gedreht. Und wer ein klassenkämpferisches Double-Feature zwischen Humor und Horror programmieren will, liegt bei Parasite und Wir genau richtig.

Parasite ist eine willkommene Steigerung nach dem Netflix-Film Okja

Nach seinem durchwachsenen Netflix-Projekt Okja erinnert Parasite wieder an die Filme, die Bong zu seinen internationalen Großproduktionen geführt haben. Was nicht als Snowpiercer-Diss gelesen werden sollte. Nur presst Bong in Parasite die Wut, Angst und Abgehobenheit der verschiedenen Zugabteile seiner Dystopie in ein stylisches Haus der Gegenwart.

Zuerst wirkt die Familie von Ki-taek (Song Kang-ho) ähnlich dysfunktional wie jene aus dem Monster-Abenteuer The Host. Auch sie versucht sich über Wasser zu halten.

In ihrem Keller-Apartment falten die vier Pizza-Schachteln, bis der Sohnemann (Choi Woo-sik) eine Idee für eine etwas andere Arbeitsstelle anpeilt. Er bewirbt sich als Englischlehrer bei einer reichen Familie. Kleines Manko: Er besitzt keine Qualifikationen. Ein Glück, dass die Tochter (Park So-dam) ein Talent fürs Fälschen von Dokumenten besitzt.

Parasite ist ein Heist-Film über den Arbeitsmarkt

Eines von vielen Talenten in der Familie, die wir nach und nach entdecken. Parasite beginnt nämlich wie ein Heist-Movie, in dem keine Diamanten, Geldnoten oder Geheimnisse geklaut werden, sondern Arbeitsplätze.

Vater, Mutter, Sohn und Tochter entpuppen sich beim Versuch der Besserung ihrer Verhältnisse als rücksichtslos, gewieft und so clever wie Thomas Crown oder Danny Ocean.

Den zerstrittenen Verwandten aus The Host steht eine erschreckend funktionale Familie gegenüber, die mit falschen Identitäten und Referenzen eine Energie an den Tag legt, die der reguläre Arbeitsmarkt nicht auszuschöpfen weiß.

So schmuggeln sie sich ein in die Designer-Villa. Hinter hohen Betonmauern hat sich die Familie eines Konzernchefs abgeschottet. Klinisch sauber wirkt ihr Heim, alle Keime der (schlechter gestellten) Außenwelt wurden vernichtet. Es sind nette Leute, oder wie es einmal heißt: "Sie sind nett, weil sie reich sind."

Parasite zeigt, was für ein Ausnahme-Regisseur Bong Joon-ho ist

Klassische Themen seines Werkes greift Bong Joon-ho in Parasite auf. In seinem Debüt Barking Dogs Never Bite aus dem Jahr 2000 reagierte sich ein arbeitsloser Akademiker an den bellenden Hunden seiner Nachbarschaft ab und ließ einen Obdachlosen dafür über die Klinge springen.

Vielfach geht es in Bongs Filmen um Figuren, die gerade so über die Runden kommen und dafür einen messerscharfen Überlebensinstinkt entwickeln. Eine Schärfe, die sich in seiner Inszenierung wiederfindet.

In Parasite setzt er sein bitteres Gesellschaftsbild ebenso gewieft um, wie seine Helden bei ihrem Job-Heist ans Werk gehen. Kaum einer versteht nämlich den Raum seiner Filme so pointiert und überraschend auszunutzen wie Bong Joon-ho.

Die Villa wirkt dabei gleichzeitig wie ein visueller Spielplatz zum Austoben und ein treffendes Bild für die Vorstellung der gesellschaftlichen Kluft, die Parasite aufgreift. Bong Joon-ho bewegt sich in seinem Cannes-Film auf der Höhe seiner Kunst, ohne seine Figuren in der formalen Perfektion zu ersticken.

Bongs Helden sind dabei selten einfach nur gute Leute, die vom "System" durch die Mangel genommen werden. Das Weltbild seiner Filme, ob sie nun von Monstern, Serienkillern, Okjas oder Chris Evans bevölkert werden, stellt sich als weitaus ambivalenter heraus.

Irgendjemand steht auf der gesellschaftlichen Leiter immer weiter unten. Im Umgang mit diesen Außenseitern zeigen die Helden in Barking Dogs oder Bongs bestem Film Memories of Murder, was für menschliche Opfer sie in Kauf nehmen für den Versuch, sich festzuklammern an den Sprossen.

Die Undurchlässigkeit der Gesellschaft hat die Familie in Parasite zum Update ihrer Skills gezwungen und Bong Joon-ho lässt uns staunen darüber, wie weit ihre Fähigkeiten sie bringen werden - und wen sie dafür die Treppe hinab stoßen müssen.

Heist-Komödie trifft Horror im Cannes-Film Parasite

Wie sich die Heist-Komödie ins Horror-Genre schleicht, sei hier nicht verraten. Getrieben wird der mit einer beeindruckend leichtfüßigen Präzision inszenierte Parasite jedoch von der Wut. Eine Wut, die er mit vielen Cannes-Filmen dieses Jahr teilt.

In der Doku Blow It to Bits aus der Directors' Fortnight gehen Arbeiter eines Autozulieferers auf die Barrikaden, um den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern. Reifen und Paletten brennen, während sie damit drohen, die Fabrik abzufackeln.

In The Lighthouse wird Leuchtturmanwärter Robert Pattinson von seinem Vorgesetzten drangsaliert und kratzt am Wahnsinn. Bei Ken Loach reagiert ein Paketzulieferer den Druck seiner ungerechten Arbeitsbedingungen an der Familie ab. Alldieweil lassen die Dardenne-Brüder in Young Ahmed einen Schüler mit einem Messer auf seine Lehrerin losgehen.

Die Wut kocht in diesem wahnsinnig starken Cannes-Jahrgang. Auch in Parasite, in dem Bong Joon-ho keine Monster benötigt, um uns Schrecken einzujagen. Sein Stammdarsteller Song Kang-ho übernimmt das.

Sein Vater tut alles, um Familie und Job zu schützen. Er ist ein Keim, der sich in eine sterile Welt einschleicht, die sich von jeder Erinnerung an die Existenz von Leuten wie ihm freigemacht hat.

In der Welt von Parasite gibt es schon lange keine Verbindung mehr zwischen der Villa und der Kellerwohnung. Scheren wie in Wir wären überflüssig.

Was haltet ihr von den Filme von Bong Joon-ho?

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