Fear The Walking Dead war bis zum Start der 3. Staffel
keine komplexe Serie. Das ist nicht weiter schlimm, die Mutterserie läuft in
den gleichen Bahnen bereits seit sieben Jahren erfolgreich im Fernsehen.
Punktuell waren hier und dort sicherlich interessante Ansätze vorhanden, vor allem bei
dem Umgang mit den ersten Anzeichen der Apokalypse oder dem Niedergang der
Zivilisation. Doch als die Serie die Flucht aufs offene Meer wagte und mit einer
höheren Episodenzahl größere Ziele suchte, trieb sie plötzlich nur noch hilflos umher.
Die 3. Staffel markiert einen Einschnitt in der Serie.
Plötzlich wurde Fear the Walking Dead tatsächlich komplex, die Konflikte wurden nuanciert
dargestellt und in all ihren Feinheiten durchdacht, sodass der Ausgang – wenn auch
blutig – durchaus neu war für dieses Universum. So neu sogar, dass einige alte
Figuren wie Daniel oder Strand (Colman Domingo) zunächst einmal zur Seite geschoben wurden, da
sie keinen stimmigen Platz in dem Gefüge finden konnten.
Frage: Wer
sind aktuell eigentlich die Guten in Fear The Walking Dead? Rick und seine
Survivor haben zweifellos Schreckliches getan. Es entsteht jedoch
nie ein langfristiger Zweifel, dass die Serie seine Gruppe nicht als
die Helden ihrer Geschichte sieht. Das ist in Fear anders. Natürlich sind
Madison (Kim Dickens), Victor, Nick und Co. die Hauptfiguren. Doch die Gegenspieler, denen
sie begegnen, schlagen niemandem den Kopf bei der ersten Begegnung ein. Sie
sind keine Kannibalen. Sie verarbeiten ihre Traumata nicht, indem sie ihre
Feinde enthaupten und die Köpfe in einem Museum aus Aquarien bewundern.
Manche Stimmen mögen richtigerweise behaupten, dass Fear The
Walking noch zum Beginn der Postapokalypse spielt und sich die Menschen noch an
die alten Strukturen klammern. Eine überdrehte Figur wie Negan (Jeffrey Dean Morgan) braucht Zeit, um
eine Entwicklung zu durchlaufen, die sie am Ende zum fiesen Diktatoren in
Staffel 7 von The Walking Dead werden lässt. Doch dazu ist Fear zu bemüht,
diplomatische Wege in den Konflikten aufzuzeigen und teilweise auch umzusetzen.
Geschossen, getötet und gedroht wird trotzdem. Das Ende der letzten Folge ist
dennoch symbolisch für den ethischen Kontrast zur Mutterserie oder dem
Genreklischee. Das ist höchst spannend. Schließlich muss das Ende der Welt
nicht allerorts den Untergang zivilisatorischer Strukturen bedeuten. Während
Rick an der Ostküste noch in einigen Jahren um sein Dörfchen kämpfen werden
wird, hat Madison vielleicht bereits die Westküste reformiert.
Zunächst einmal muss jedoch die Wasserversorgung für die
Ranch geregelt werden. Fear und TWD spielen im Jahr 2010 als eine vierjährige
Dürre gerade ihr Ende fand. Dass die Serie sich diesen Umweltproblemen
annimmt und infrastrukturelle Thematiken, die auch in der wahren Welt
diskutiert werden, in spannenden Geschichten umsetzt, ist besonders löblich. Dazu fördert es den Realismus. Der
wackelige Waffenstillstand und das Zusammenleben auf der Ranch fordern eine
Lösung, die Madison im Staudamm von Lola sieht. Victor verspricht einen
geheimen Weg zum Heil sowie den Kontakt mit Daniel (Ruben Blades) herzustellen.
Der Weg dorthin ist zunächst ermüdend gestaltet. So stimmig die Folge endet, so
nervig klischeehaft beginnt sie.
Zombies werden zum Hürdenlauf. Keine einzige
Fahrt kann ohne eine der blutigen Szenen auskommen, die teilweise ohne größere
Highlights oder Events aufwarten. Strand lenkt zum Beispiel in dieser Folge
eine Gruppe Walker mit einem piependen Autoschlüssel ab, um somit die Straße zu
säubern. Im Ernst jetzt? Das strapaziert die Glaubwürdigkeit, auch wenn der
Einfall immerhin mal eine weitere, blutige Auseinandersetzung, die routinemäßig
abgefertigt wird, vorbeugt.
Fear kann die Erwartungen jedoch auf den Kopf drehen. Strand
führt die Gruppe zu einem Schrottplatz – einem echten Ort, nicht vergleichbar
mit der CGI-Mülldeponie aus der Mutterserie – und in dunkle Abwasserkanäle. Es
kommt, wie es kommen muss. In der Dunkelheit findet Strand nicht den Ausweg,
sie verirren sich. Josef Kubota Wladyka schafft es zusammen mit seinem Cutter in
wenigen Einstellungen dem Zuschauer die Orientierung zu rauben. Doch dann ein
Wunder: Strand findet eine Markierung und den Weg zum Damm. Walker (Michael Greyeyes), Madison und
ihr Guide kriechen durch eine enge Röhre und sind plötzlich gefangen. Hinter
ihnen Zombies und vor ihnen ein dicker Klops aus Fleisch, der ihnen den Weg
versperrt. Was folgt, ist eine der ekelhaftesten Szenen des Serienuniversums:
Madison borgt sich die Axt von Walker und hackt den adipösen Zombie in kleine
Stückchen, um den Weg frei zu machen. Die Serie durchbricht hier die Routine der
übrigen Zombieeinlagen. Das Kleinhacken hat nicht nur eine ganz schöne Plastizität, die die sonstigen Zombie-Massaker vermissen lassen. Die Szene
unterstreicht auch gleichzeitig den Überlebenswillen der Menschen und das bedeutet
nicht immer ein Massenmorden, sondern oft schlicht körperliche Arbeit.
Am Staudamm angekommen stoßen die beiden Gruppen sowie ihre Probleme aufeinander. Victor, der die Parteien zueinander führen soll, ist
sicherlich nicht der beste Kandidat für diese Rolle. Daniel bezeichnet ihn als
die titelgebende Schlange, der kein Wort zu trauen ist; doch Madison hat ihn
noch nie belogen, weshalb er ihr glaubt und für sie bei Lola spricht. Dazu
wirft die Nachricht über Ofelias Handlungen einen schweren moralischen Konflikt
in ihm auf. Er möchte ein loyaler Verteidiger des Staudamms sein und zu seinem
Wort stehen. Doch er wollte nie, dass seine Tochter eine Kämpferin wird und unter
Qaletaqa ist sie nicht nur das, sondern sie verletzte auch direkt ihre Freunde.
Lola hingegen wird in dieser Folge – wie so viele andere
Figuren – endlich näher erforscht. Sie ist keine Diktatorin, sondern eine Frau
in einer Extremsituation, die versucht, die beste Entscheidung zu treffen. Diese
Beschreibung trifft eigentlich auf alle zu. Jede Figur hat noch ihre
definierenden Eigenheiten (Strand ist ein großer Fan von distanzierenden
Redewendungen, Walker spielt den konsequenten Anführer), aber grundlegend gibt
es keinen direkten Bösewicht. In dem sozialen Gefüge nahe der Grenze entsteht
durch natürliche Umstände eine materielle Ungleichheit und jede Figur in dem
System hat nachvollziehbare Motivationen und Ideen, wie mit der Situation
umzugehen ist. Viele Charaktere haben dunkle Seiten an sich oder schlimme Dinge in
ihrer Vergangenheit getan, doch ihr Wille zur Kooperation im Kontext einer
Zombieserie macht Fear The Walking Dead einzigartig.
Somit ist auch das unbeschwerte Ende tatsächlich
kathartisch. Die Welt dort draußen ist groß und gefährlich, doch wer
zusammenhält und an das Gute glaubt, wird belohnt. Auch wenn ein jeder manchmal etwas nachhelfen muss. Was, wenn nicht das, brauchen wir als Moral
einer Geschichte in diesen Zeiten?