Ich, Der Himmel über Berlin & eine Engelshand

08.07.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Der Himmel über Berlin
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Der Himmel über Berlin
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Der Himmel über Berlin ist ein Meilenstein des europäischen Kinos; ein Meisterwerk des deutschen Films. Mein Herz für Klassiker geht an ihn, denn es gelingt ihm, Poesie auf die große Leinwand zu bringen.

Ich sehe den Himmel über Berlin jeden Tag. Manchmal ist er strahlend blau, zeitweise ist er von grauen oder weißen Wolken bedeckt. Seit gut einem Monat nun lebe ich in der Hauptstadt und überall kann ich die Anwesenheit von Engeln spüren.

Ein paar Wochen vor meiner Ankunft sah ich mir Der Himmel über Berlin zum ersten Mal an und wurde dabei unsanft vom Hocker gehauen. Was für ein Film! Ich wollte darüber schreiben, doch ich traute mich nicht. Wie sollte ich der Poesie dieses Meisterwerks gerecht werden? Wie kann ich die metaphysischen Überlegungen in Worte fassen? Mittlerweile habe ich den Film ein zweites Mal gesehen und ich kann nicht behaupten, Antworten auf diese Fragen gefunden zu haben. Trotzdem werde ich versuchen, euch dieses Werk näher zu bringen.

Ein großer Teil von Der Himmel über Berlin hat keine Handlung. Wir beobachten zwei Engel, Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander) bei der “Arbeit.” Unsichtbar für die Sterblichen, ist es ihre Aufgabe, den Bürgern von Berlin beizustehen. So wandern sie Tag und Nacht durch die Stadt und lauschen den Gedanken der Menschen, lernen ihre Sorgen und Wünsche kennen. Ihr Einfluss auf die Welt ist jedoch gering. Cassiel schafft es nicht, den Selbstmord eines jungen Mannes zu verhindern. Durch Berührungen können sie gewisse Emotionen vermitteln, doch wie stark diese Fähigkeiten sind, ist unklar. Eines Tages hat Damiel das Engelsdasein satt und entscheidet sich für die Welt der Sterblichen.

Warum ich Der Himmel über Berlin mein Herz schenke
Die zahlreichen Vignetten, in denen wir die verschiedensten Menschen kurz kennen lernen, sind unglaublich faszinierend. Jeder hat eine interessante Geschichte zu erzählen und bekommt seine Chance. Zu drei Figuren kehren wir regelmäßig zurück. Der Erzähler (Curt Bois in seiner letzten Rolle) ist ein alter Mann, der verwirrt durch die Straßen Berlins wandert auf der Suche nach dem Potsdamer Platz. Ist er wirklich der Erzähler der Menschheit? Oder ist er einfach nur senil? Im Abspann erhält er den vielsagenden Namen Homer.

Die französische Trapezkünstlerin Marion (Solveig Dommartin) ist auf der Suche nach einem Sinn in ihrem Leben; auf der Suche nach Einsamkeit in Zweisamkeit. Damiel entwickelt eine besondere Vorliebe für die Schönheit. Die dritte Figur ist kurioserweise Columbo höchstpersönlich, Peter Falk, der hier mit einer großen Portion Selbstironie von Peter Falk gespielt wird. Er ist ein Schauspieler mit einer himmlischen Vergangenheit, der für einen Filmdreh nach Berlin reist.

Zwei Elemente zeichnen Der Himmel über Berlin aus: der Gebrauch von Sprache und Bild. Wim Wenders filmt größtenteils in Schwarz und Weiß und springt gelegentlich zu Farbbildern, um den Unterschied zwischen den zwei Welten zu visualisieren. Jede Einstellung sieht prachtvoll aus und er zeichnet ein einprägsames Bild einer geteilten Stadt. Seine Kamera ist ständig in Bewegung auf der Suche nach tieferen Einblicken in die menschliche Natur. Ebenso poetisch wie die Kameraführung ist die Sprache. Jeder Satz, jedes Wort hat seinen Platz und seine Bedeutung. Die Monologe und Dialoge haben einen poetischen Rhythmus und werden auch dementsprechend vorgetragen. Wir springen von Deutsch über Französisch auf Englisch, ohne auch nur einen Bruchteil der Lyrik zu verlieren.

Einen besseren Schauplatz für ein Finale als ein Konzert von Nick Cave (einem meiner Lieblingsmusiker) & the Badseeds kann ich mir auch nur schwer vorstellen.

Warum auch andere Der Himmel über Berlin lieben werden
Der Rahmen des Films ist das Gedicht Lied vom Kindsein von Peter Handke. Eine der wiederholten Strophen des Textes beginnt wie folgt:

“Als das Kind Kind war,
war es die Zeit der folgenden Fragen:
Warum bin ich ich und warum nicht du?
Warum bin ich hier und warum nicht dort?”

Diese Fragen klingen komisch und absurd, doch es steckt eine Menge Wahrheit darin. Genau über diese Anliegen, die uns alle als Menschen betreffen, denkt der Film nach. Durch Spiritualität ohne Religion (von Gott ist nie die Rede) und durch Poesie stellt Wim Wenders diese Fragen.

Für diejenigen unter euch, die sich nicht für die philosophischen Elemente des Films interessieren, gibt es noch eine andere Herangehensweise an den Film. Der Kern der Erzählung ist im Grunde eine simple, berührende Liebesgeschichte. Damiel und Marion sind eindeutig füreinander bestimmt. Sie können nicht kommunizieren, doch ihre Gefühle sind unglaublich stark. Marion schaut stets ins Leere, in der Hoffnung einen Blick auf ihren Schutzengel zu erhaschen. In diesen Momenten verstehen wir Damiels Wünsche und Begierden am besten.

Warum Der Himmel über Berlin die Jahrzehnte überdauern wird
Die Themen von Der Himmel über Berlin sind zeitlos, doch der Film ist von großem historischen Wert. Wim Wenders kreiert das Porträt einer geteilten Stadt, die heute nicht mehr in dieser Form existiert. Ein Schnappschuss aus der Geschichte eines Orts, der kurz vor dem turbulenten Ende eines turbulenten Jahrhunderts steht. Die Stadt und die Menschen, die stellvertretend für sie stehen, sind eine Hauptfigur des Films, voll mit Charakter und Macken.

Für einige wird Der Himmel über Berlin immer ein großkotziges, intellektuelles Geschwafel bleiben. Für diejenigen, die sich in seinen Bann ziehen lassen, ist dieser Film ein wesentliches Meisterwerk.

Was haltet ihr von Der Himmel über Berlin?

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