Ich, Eraserhead & David Lynchs Spielfilmdebüt

12.04.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Eraserhead
Capelight Pictures
Eraserhead
Der Hund bellt unablässlich, die Glühbirnen beginnen zu flackern. Melancholische Musik ertönt, welche die Hamsterbackenfrau hinter der Heizung zum tanzen bringt. Mein schwarzes Öl absonderndes Herz für Klassiker gehört Lynchs verstörendem Eraserhead.

Bevor der kaffeesüchtige Exzentriker David Lynch eine Ikone des surrealistischen Kinos wurde, widmete er seine Zeit und sein Talent für Alptraumhaftes der Malerei. Hierbei verarbeitete er nicht weniger abgefahrene Motive, doch die stillstehenden Werke wurden ihm bald zu statisch. Ein Glück für all jene unter uns, die ihr Kino gern etwas grotesk und gaga haben. Seine erste Berührung mit bewegten Bildern fand in Form eines animierten Kurzfilms namens Six Men Getting Sick (Six Times) statt, in dem sich sechs gepinselte Köpfe wiederholt übergeben und danach in Flammen aufgehen. Danach drehte er Kurzfilme wie The Grandmother, der bereits einige Parallelen zu seinen späteren Filmen aufzeigte. Düstere Filmperlen wie Blue Velvet, Lost Highway, Mulholland Drive und die sich als extrem einflussreich entpuppende TV-Serie Twin Peaks schmückten in den Jahrzehnten darauf die Filmografie von David Lynch und wurden zu Klassikern, an die ich ebenso mein Filmherz verlor. Anfang der 1970er Jahre erhielt Lynch während seiner Zeit auf einer Filmschule die Gelegenheit, eines seiner Drehbücher an Sets der Universität umzusetzen. Das Skript zu Eraserhead war lediglich 21 Seiten lang, weshalb niemand damit gerechnet hätte, dass die Produktion mehrere Jahre in Anspruch nehmen sollte. Im Jahr 1977 erschien Lynchs erstes Werk in Spielfilmlänge endlich, bereitete seitdem zahllosen Filmstudenten und -liebhabern Kopfzerbrechen und kann zu seinen vielen Lorbeeren nun auch mein Herz für Klassiker zählen.

Die “Handlung” von Eraserhead kann auf die Leiden des jungen Henry (Jack Nance) heruntergebrochen werden. Seine Freundin Mary (Charlotte Stewart) kam unerwartet in erwartende Umstände, was ihre Familie dazu veranlasst, das junge Unglück in die Ehe zu zwingen. In dem trostlosen Apartment kommt es angesichts des permanent schreienden Babys bald zu Spannungen. Soweit so unspektakulär. Wer nie einen Film von David Lynch gesehen hat, wird von dieser Zusammenfassung nicht vom Hocker hopsen und keine Ahnung haben, was für Bilder aus der tiefe der gequälten Psyche des Protagonisten auf der Leinwand warten. Was Eraserhead so entzückend qualvoll macht, ist die durch jene Bilder und Geräsche geschaffene Atmosphäre der Beklemmung. Ein Alptraum aus Kafka und Dali mit Effekten von Cronenberg. Basierend auf Lynchs eigenen Ängsten vor dem Vaterwerden, ist das erwähnte Baby eine wahre Monstrosität und das Frauenbild im Film ebenfalls stellenweise schauderhaft.

Warum ich Eraserhead mein Herz schenkte
Wegen der beklemmenden Industrieromantik. Wegen des Monsterbabys, dessen genaues Spezialeffekt-Rezept bis heute ein gut gehütetes Geheimnis ist. Wegen der Traumsequenzen, die nur marginal verblüffender sind als der Rest. Wegen Henrys verdutztem Gesichtsausdruck, den Jack Nance bereits damals perfektioniert hatte. Wegen der Topfpflanze ohne Topf. Wegen der unheimlichen Leierkastenmusik. Wegen des vernarbten Mannes am großen Hebel, der vermutlich Gott ist. Wegen der winzigen Retortenhühnchen. Wegen der Frau mit dem Hamsterbäckchen. Wegen des schwarz-weißen Fußbodens, noch bevor er in Twin Peaks prominent wurde. Wegen der Oma, die den Salat macht. Wegen der Fabrik für die titelgebenden Radiergummiköpfe. Wegen der Welt jenseits des Heizkörpers. Wegen all der wundervoll schrecklichen (Alp-)Träume, die ich seit dem ersten Anschauen hatte.

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