Es war einmal ein Film, der fast nur in einer Wohnung spielte. Beim gemeinsamen Abendessen diskutierte eine Familie, ob man sein Kind heutzutage noch Adolf nennen darf. Mit bissigem Humor und Wortwitz lotete Der Vorname die Feinheiten des deutschen Anstands aus. Von diesem unterhaltsamen Kammerspiel könnte das Jammerspiel Der Spitzname allerdings kaum weiter entfernt sein.
Der Spitzname vergisst die Wurzeln seines Komödien-Erfolgs
Der Vorname war im Jahr 2018 Sönke Wortmanns Neuauflage der gleichnamigen französischen Komödie, die wiederum auf einem Theaterstück basierte. Über 9 Millionen Euro spielte das deutsche Remake eines eskalierenden Abends laut Blickpunkt:Film hierzulande im Kino ein. Über eine Million Menschen sahen die Namens-Diskussion auf der großen Leinwand. Was uns drei Jahre später eine Fortsetzung einbrachte: Der Nachname.
Der Nachname basierte 2021 nicht länger auf einer Vorlage und holte Dorotheas (Iris Berben) Familie nach Lanzarote. Statt eines Wohnzimmers stand nun eine ganze Insel zum Streiten zur Verfügung. Die Geschichte begann zu zerfasern. Zumindest thematisch knüpfte das Sequel aber noch an den Vorgänger an, als diesmal verhandelt wurde, ob die Mutter der Familie bei der Heirat einen neuen Familiennamen annehmen durfte.
Der Spitzname will jetzt weitere drei Jahre später noch eins draufsetzen – mit einer "Destination Wedding", wie man das Heiraten in der Ferne heutzutage neudeutsch nennt. Thomas (Florian David Fitz) und (Janina Uhse) planen, sich vor der Verwandtschaft in der höchsten Kapelle in den Osttiroler Alpen das Ja-Wort zu geben.
Bei so viel Steigerungswahn ist der Titel des neuesten Teils der Reihe allerdings nur noch Beiwerk, das nichts mit der Handlung zu tun hat. Der Spitzname soll an der Oberfläche eine Trilogie abrunden, die bei genauem Hinsehen ihre Richtung verloren hat. Denn dass Stephans (Christoph Maria Herbst) und Elisabeths (Caroline Peters) Tochter Antigone (Kya-Celina Barucki) "Tiggi" genannt wird oder Thomas seiner Tochter "Paulchen" ruft, hat keinerlei Einfluss auf die Ereignisse. Und das steht leider symbolisch für den gesamten, belanglosen Film.
Namensfragen sind passé: Der Spitzname verbeißt sich stattdessen in zu vielen "moderne Themen"
Schon die Zusammenfassung bisheriger Ereignisse, die Christoph Maria Herbst eingangs zum Besten gibt, stellt das lächerliche Sequel bloß. In Teil 3 sind die Beziehungen der Familie Böttcher/Berger/König/Wittmann auf der Gipfel der Absurdität angekommen: Mutter Dorothea hat Adoptivsohn René (Justus von Dohnányi) geheiratet und sie haben Kinder von dessen Schwester als Leihmutter bekommen. Ist das noch hochwertige Comedy oder bereits Seifenoper?
Die vergangenen Verwicklungen weiter auf die Spitze zu treiben, schien unmöglich. Der Spitzname versucht es trotzdem. Erneut spielen geänderte Vor- und Nachnamen gelegentlich eine Rolle. Weil das offenbar nicht mehr ausreicht, hat Sönke Wortmanns Drehbuchautor Claudius Pläging jedoch beschlossen, sich für eine zusätzliche Portion Lacher an "brandaktuellen Themen" abzuarbeiten. Und zwar an allen auf einmal.
Ob die Tücken des Genderns, sexuelle Identitätsfragen, Cancel Culture, Trigger-Warnungen, First World Problems oder Dick Picks: Der Spitzname versucht, in einem ziellosen Sammelsurium moderner Fragen "hip" daherzukommen, ist allerdings nur "cringe". Angesprochen wird hier wohl das Publikum, das schon in Alter weißer Mann über die Tücken der neuen deutschen Sprache lachte. Der Humor bewegt sich folglich bereits bei der Hotelankunft auf diesem Niveau: "Es gibt einen Pool innen" – "Aber Pool muss man doch nicht gendern!". Mit dem Witz des ersten Teils haben pedantische Professoren, die das N-Wort verwenden, und Muttis, die das Bitcoin-Geschäft entdecken, nicht mehr viel zu tun.
Sönke Wortmann, bitte lass die Namens-Trilogie mit Teil 3 enden
Beim Mäandern durch die Stolperfallen einer sich ständig weiterentwickelnden Gesellschaft findet in Der Spitzname seinen unangenehmen Höhepunkt in der Auflösung von Thomas' Telefon-Geheimnis – worüber hier besser kein weiteres Wort verloren wird, weil der Film sich dabei ach-so-clever findet, ein Brisanzthema auf den Kopf zu stellen. In der Gondel auf halbem Weg zum Hochzeitsgipfel, fällt es schwer, dieser Wohlstandsfamilie ihre Fehler noch länger als liebenswürdige Marotten durchgehen zu lassen. Selbst der Dauer-Gag von Stephans ständigen Korrekturen der deutschen Sprache hat sich in Teil 3 mittlerweile abgenutzt.
Aus dem Diskussionskammerspiel, mit dem vor sechs Jahren alles begann, ist eine quälend in die Länge gezogene "Erfolgsgeschichte" geworden, die unterwegs ihren komödiantischen Biss verloren hat. Auch Der Vorname war natürlich schon eine Art Verhandlung des "Woke-Sein", kanalisierte den Familienstreit aber auf ein einziges klares Thema: Jja oder nein zum Kindsnamen Adolf.
Dieser rettende Comedy-Schirm kommt der Themenkrake von Der Spitzname abhanden, die willkürlich nach allem gleichzeitig greift und so gar nichts erreicht. Der Fortsetzung einer Fortsetzung eines Remakes einer Theaterverfilmung fehlt sowohl eine pointierte Idee als auch der Fokus für ihren Humor. Also alles, was Teil 1 so überzeugend machte.
Mit "Der Kosename" oder "Der Rufname" würde Sönke Wortmann bestimmt noch Titel für zukünftige Fortsetzungen finden. Wir können nur hoffen, dass das nicht passiert und die Trilogie hier bitte endet. Sonst bekommen wir im nächsten Film womöglich ein noch hanebücheneres Themen-Buffet, das groß auftafelt und trotzdem nicht satt macht. Dabei reicht es völlig aus, sechs Leute in einen Raum zu sperren und beim überschaubaren Abendessen eine einzige Frage diskutieren zu lassen.
Der Vorname streamt aktuell bei Magenta TV. Der Nachname ist bei JoynPLUS in der Streaming-Flat. Der Spitzname ist am 19. Dezember 2024 im Kino gestartet.