Mandingo - Richard Fleischers zeitlos "obszöner" Klassiker

03.11.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
MandingoKinowelt/moviepilot
2
19
Die Kritiker verrissen es. Das Publikum aber strömte in Scharen in Richard Fleischers erbarmungsloses Sklaverei-Melodram Mandingo, dem ich heute mein Herz für Klassiker schenke.

"Was die Kamera hier sieht, ist genug, dass man die selbstherrlichste, spießigste Filmzensur herbeisehnt", schrieb Vincent Canby im Mai 1975 in einem New York Times-Artikel  mit dem spritzigen Titel "Was einen Film amoralisch macht". Aufhänger war Richard Fleischers Mandingo. Canby stand nicht allein in seiner Abscheu. Roger Ebert  nannte den Film "obszön", er sei "rassistischer Müll". Einigermaßen außer sich zählt die Kritikerlegende all die ungeheuren Dinge auf, die Fleischer in seinem Melodram auf Zelluloid bannt: entblößte Genitalien, Geißelung, eine Sklaven-Auktion und ein Kampf, in dem einer dem anderen mit den Zähnen die Halsschlagader herausreißt. Was die durchaus nicht schockierenden Genitalien in einer Aufzählung abstoßender Erniedrigung und Gewalt zu suchen haben, kann an einem anderen Tag diskutiert werden. Mein Herz für Klassiker geht heute trotz der genannten Gräuel an Fleischers Abstieg in die Niederungen der Sklaverei. Oder wegen.

Warum ich Mandingo mein Herz schenke

Kenner von Django Unchained horchen beim Wort Mandingo auf und vielleicht hallen gerade Leonardo DiCaprios hysterische Jubelschreie durch die Erinnerung des geneigten Lesers. Was in Tarantinos Southern als in den Südstaaten verbreiteter "Sport" dargestellt wird, basiert weniger auf historischen Tatsachen als auf Tarantinos Verehrung für den vielseitigen Regisseur Richard Fleischer. Der titelgebende Mandingo ist im Film ein Sklave besonders hoher Qualität und heißt Mede (Ken Norton). Plantagenerbe Hammond Maxwell (Perry King) kauft ihn zur Freude seines Vaters Warren (James Mason). Endlich hat der Rheumatiker seinen eigenen Spitzenkämpfer, den er wie einen Hund gegen andere Sklaven antreten lassen kann. Ob es diese Kämpfe auf Leben und Tod in den Südstaaten der USA wirklich gegeben hat, bleibt Sache der Historiker (und die sagen: eher nicht ). In Mandingo bilden sie nur eines von vielen Puzzlestücken, die Fleischers Vision des verkommenen Systems namens Sklaverei vollenden.

In medias res schickt uns Mandingo auf die Plantage der Maxwells, wo Sklaven wie Vieh auf ihre körperliche Tauglichkeit geprüft und verscherbelt werden. Von da an zieht uns der Film hinab in eine verrottete Welt, deren samtiger Südstaaten-Charme die Brutalität in Wort und Tat hervorhebt. Unter anderem von Muddy Waters und einem Maurice Jarre in verstörender Schmalz-Laune begleitet, gibt sich Mandingo mit seiner Geschichte aus verbotener Liebe, Inzest und expliziter Gewalt als Melodram. Es ist eine übersteigerte Version der Wirklichkeit, in der jedes gängige Klischee dieser auf Ausbeutung bauenden Gesellschaft herauskristallisiert und noch einmal verschärft wird. Kein Wunder also, dass die Kritiker Mandingo in die Trash-Schublade steckten.

Warum auch andere Mandingo lieben werden

Basierend auf einem reißerischen Roman von Jack Kirkland, entsagt Mandingo der "seriösen", um Realismus bemühten historischen Distanz so vieler Filme über die Zeit der Sklaverei. Stattdessen wirft uns Fleischer direkt ins Dunkel. Er zeigt uns nur gelegentlich die Sonne, um den Zuschauer gleich wieder daran zu erinnern, dass das Gute in einem zutiefst bösartigen System wie diesem nicht koexistieren kann. So zumindest das ziemlich radikale Weltbild, das in Mandingo durchscheint. Jeder, der Profit aus der Entmenschlichung anderer schlägt, gilt hier als korrumpiert. Deswegen kommt Mandingo ohne Held aus. Der junge Hammond Maxwell besitzt alle Zutaten eines romantischen Protagonisten. Er verliebt sich in eine Sklavin, wendet sich gegen die grausameren Methoden seines Vaters und ist - na immerhin! - kein Sadist. Als Komplize, der die (sexuellen) Vorzüge der Ausbeutung ganz selbstverständlich ausnutzt, versagt Hammond allerdings sofort als Sympathieträger. Ein weißer Retter, wie ihn so viele Erzählungen konstruieren, um der erzählerischen Ohnmacht zu entgehen, bleibt in Mandingo unauffindbar.

Warum Mandingo die Jahrzehnte überdauern wird

Insofern hat der 1975er Mandingo selbst den Jahrzehnte später erschienenen Django Unchained und 12 Years a Slave einiges voraus, was den Verzicht auf gewohnte Erzählschemata betrifft. Dabei unterstreichen Fleischer und sein Drehbuchautor Norman Wexler einmal mehr, wie viel und wie komplex in Genrefilmen erzählt werden kann. Mit einer melodramatischen Liebe im Zentrum entwirft Mandingo ein Netz aus Macht und Ausbeutung: zwischen Weißen und Schwarzen, Männern und Frauen, Frauen und Frauen. Hier und da lassen sich mögliche Blicke in die Zukunft erhaschen, etwa in der Beziehung des passiven Mede und des aufsässigen Cicero (Ji-Tu Cumbuka), der lesen und schreiben und wie ein Black Panther-Mitglied reden kann. Doch Mandingo hält sich von den Fantasien fern, die das Wissen um die Zukunft oder ein großer Haufen Italowestern mit sich bringen kann. Es ist ein Genrefilm, der sich dem undarstellbaren Leid von Millionen Menschen nähert, in dem er uns in eine etwas heruntergekommene Villa irgendwo in den Wäldern von Louisiana zwingt. Bizarr und deformiert wirken manche der grausamen Geschehnisse dort, aber das hat der Blick durch die Lupe so an sich.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News