“Menschen sind scheußlich”: Hugh Grant über seinen Horrorfilm Heretic, Jar Jar Binks, Panikattacken und eine unfassbare Schock-Geschichte mit seiner Mutter

28.12.2024 - 10:02 Uhr
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Hugh Grant nimmt kein Blatt vor den Mund. Im Interview spricht er über seinen neuen Horrorfilm Heretic, die grässliche Menschheit, seine Angst vor Dreharbeiten und Star Wars-Figur Jar Jar Binks.

Wer glaubt, Hugh Grant sei eine Frohnatur, hat zu viel Notting Hill gesehen und in den letzten 20 Jahren nicht mit ihm gesprochen. Das ist jedenfalls die Erfahrung vieler Journalist:innen, denen in 1000 Beispielen im Internet Grants schlechte Laune entgegenzuschlagen scheint. Im Moviepilot-Interview ist er ein echter Gentlemen ‒ der die Menschheit hasst. Oder zumindest lässt er uns das glauben.

Für seine augenzwinkernde Misanthropie hat er den passenden Hintergrund gewählt: Sein neuer Film, der Horror-Thriller Heretic von A24, ist gerade im Kino angelaufen. Dort spielt er den unheimlichen Mr. Reed, der zwei mormonische Missionarinnen (Sophie Thatcher und Chloe East) in seinem Haus einsperrt und ihnen ein bitterböses Spiel aufzwingt.

Schaut euch hier den Trailer zu Heretic an:

Heretic - Trailer (Deutsch) HD
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Hugh Grant spricht über A24-Horrorfilme, Bösewichte und eine hässliche Menschheit

Unser Gespräch mit Hugh Grant zielt als erstes auf Hugh Grants Karriere ab: Er geht auf seine neugefundene Vorliebe für böse Figuren ein, auf eine Star Wars-Szene in Heretic und Rollen in den 80ern, in denen er Champagner an die Nazis verkaufte. Aber sein Tonfall ist nicht selten überraschend persönlich: Grant spricht offen über Panikattacken während der Dreharbeiten. Und ein schockierendes Erlebnis mit seiner Mutter.

Das Interview wurde von Moviepilot, der dpa und dem NDR gemeinsam geführt. Die Fragen wurden dabei abwechselnd gestellt.

Moviepilot/dpa/NDR: Du hast in einem anderen Interview erklärt, dass du deine Heretic-Figur Mr. Reed sehr gerne magst. Er ist ein Psychopath. Was magst du an der Rolle? Hast du Ähnlichkeiten zu dir gefunden?

Hugh Grant: Ich mag es, zu töten. Keine Ahnung, warum.

Du hast in einem zweiten Interview auch gesagt, dass du keine Horrorfilme magst. Warum spielst du dann in einem mit? Bedeutet das, dass du Heretic niemals anschauen wirst?

Ich habe den Film schon gesehen. Das ist nicht dasselbe. Ich habe zu viel Angst, mir Horrorfilme anzusehen, aber in einem mitzuspielen, hat mir nichts ausgemacht. Meine Angst ist sehr spezifisch. Ich habe Angst vor dem Teufel, vor dämonischer Besessenheit. Alle Filme über dieses Thema kann ich nicht anschauen. Schlitzereien und solche Sachen machen mir nichts aus.

Im Smartless-Podcast hast du kürzlich enthüllt, dass du bei Filmen nach dem Drehbuch im Drehbuch suchst. Was war das für Heretic?

Ich kann nicht das ganze Ding erklären. Es ist so lang wie das eigentliche Drehbuch. Über den gesamten Rand meines Drehbuchs schreibe ich Erklärungen auf, was die Figuren denken und fühlen. Für Mr. Reed sind das sogar zwei Sparten: Die Dinge, die er seinen zwei Opfern erzählt und was das Monster im Innern denkt. Aber es ist sehr kompliziert. Ich wollte, dass Mr. Reed niemals lügt. Und das haben wir geschafft. Er lügt nie. Seine Ehefrau, den Blaubeerkuchen, das gibt es alles.

Im Film werden die beiden jungen Frauen vor die Wahl zweier Türen gestellt, auf denen “Glaube” und “Unglaube” stehen. Welche hättest du gewählt?

Ich als Hugh? Ich habe mein ganzes Leben “Unglauben” gewählt. Aber je älter und verzweifelter ich werde, desto mehr habe ich Zweifel daran. Vielleicht brauche ich mehr Trost. Oder Mama und Papa helfen nach.

In einer Szene ziehst du eine Traditionslinie zwischen Jesus Christus und Jar Jar Binks. Wie kam die Szene zustande?

Jar Jar stand schon im Originaldrehbuch. Aber ich hatte die Idee, ihn nachzuahmen.

Viele Zuschauer:innen haben in der Pressevorführung von Heretic gelacht. Ich selbst auch, einfach um die furchterregenden Szenen zu verdauen. Wie wichtig ist Humor, um mit schwierigen Situationen klarzukommen?

Das ist nicht der Zweck von Humor in Heretic. Ich hatte eher Angst, dass Mr. Reed zu trocken wird. Ich weiß nicht, ob es das in Deutschland gibt, aber in Großbritannien habe ich sehr häufig den Typus des “spaßigen Professors” angetroffen. Der Typus, der Witze machen will und Anspielungen bringt, die junge Menschen verstehen. Star Wars, zum Beispiel. Aber da macht er auch kleine Fehler. Radiohead ist für die beiden jungen Frauen zum Beispiel schon zu alt. Er hat diese Arten von Ansprachen über lange Zeit gehalten. Und er hat gute Reaktionen auf manche seiner Witze bekommen. Über das “Miau” haben viele gelacht. Deswegen macht er den Witz auch immer wieder. Er benutzt Humor, um der coole Dozent zu sein. Damit ihm Mädchen folgen, die ihn für besonders und ikonoklastisch halten.

Aber ich stimme zu, oft kommt Humor in Filmen zum Einsatz, um mit Schmerz klarzukommen. Deswegen sind die Filme von Richard Curtis auch so beliebt. Sie sind alle eigentlich ziemlich schmerzhaft.

Dort lacht man nicht über Menschen, sondern mit Menschen. Curtis’ Filme sind sehr human.

Ja, er mag Menschen. So ein Spinner.

Ich dachte an deine Rollen in Curtis’ Filmen, in denen du sehr charmant bist. Ich denke, auch Mr. Reed ist charmant. Stimmst du zu?

Nein, nicht ganz. Er denkt, er sei charmant. Aber im Großen und Ganzen ist er anderen Menschen unheimlich. Vielleicht nicht sofort. Aber innerhalb einer Stunde oder so.

Du hast zuletzt viele Fieslinge gespielt, etwa in Dungeons & Dragons oder The Gentlemen. Was gefällt dir daran, diese verschrobenen Arten von Bösewichten zu verkörpern?

Keine Ahnung, ich bin nicht der einzige Schauspieler, der Fieslinge mag. Aber meistens geben solche Rollen einfach mehr her. Und vielleicht geht das Bedürfnis auch tiefer. Wir Menschen sind von Natur aus scheußlich, dunkel, gierig, brutal, eifersüchtig, unattraktiv, eitel und narzisstisch, befürchte ich. Und Schauspieler reizt vor allem das, was am tiefsten geht. Direkt zu den DNS-Wurzeln. Dagegen ist Nettigkeit eher etwas Erlerntes, vermute ich. Die Grundlage für diese Beobachtung sind meine Kinder, die haben kein natürliche Nettigkeit.

Hast du einen Lieblingsbösewicht in der Filmgeschichte?

Ich habe sehr viele. Aber für meine Heretic-Rolle habe ich keinen genutzt. Es ist keine Hommage.

Deine Mutter wollte, dass du Erzbischof wirst. Wie gut kennst du die Bibel?

Nicht sonderlich gut. Ihr könnt mich ja mal testen.

Wie hast du dich auf den Film vorbereitet, der sich ja auch um die Geschichte der verschiedenen Religionen dreht?

Das ganze religiöse Zeug wurde von Scott [Beck] und Bryan [Woods] recherchiert, die den Film geschrieben und inszeniert haben. Die beiden sind so seltsam. Sie haben etwa sechs Jahre ihres Lebens nichts anderes getan, als so ziemlich jedes religiöse Buch und jeden religiösen Text zu lesen. Und die Atheisten auch, um Mr. Reeds Argumente zu finden. Ich habe ihnen da vertraut. Es ist das einzige Drehbuch, das ich je gesehen habe, das auf der letzten Seite eine lange Liste an Büchern anführt, auf denen es basiert. Ich war so beeindruckt. Es sind etwa 50 Bücher, sehr intellektuelle Literatur. Oder die Bibel und der Koran. Und sie haben alle gelesen. Zwischenzeitlich dachte ich: “Wow, muss ich das auch machen?” Aber ich habe dann eher Serienkiller und Sektenführer erforscht.

Gestern bei der Premiere hast du dem Chef des Verleihs Plaion viel Erfolg mit dem Film gewünscht. Warum?

Nun, er ist in den USA und Großbritannien ganz gut gelaufen. Und ich hoffe, das passiert hier auch. Das Problem an Deutschland ist, dass ihr alles in Synchronfassungen schaut. Aber wenn man sich an einem Film den Arsch abgearbeitet hat, will man, dass Leute den ganzen Film sehen. Nicht den halben Film.

Glaubst du, es kommt eine heftige Reaktion auf den Film von Leuten, die sehr religiös sind?

Darüber mache ich mir keine Sorgen. Am Anfang schon, da dachte ich: “Wow, Menschen aus dem US-amerikanischen Bible Belt werden das hassen!” Aber dem Bible Belt macht es offenbar nichts aus. Der Bible Belt kauft Kinokarten.

Hättest du vor den Richard Curtis-Filmen wie Notting Hill gerne mehr Rollen wie Mr. Reed gespielt, die komplexer und moralisch finsterer sind?

Ja, ich hätte mit ihnen weitermachen sollen. Ein paar hatte ich damals schon. In den 80ern war ich auf Miniserien-Fieslinge spezialisiert. Die hatten alle immer was mit Champagner am Hut, ich weiß nicht, warum. Ich verkaufte ständig Champagner an die Nazis oder irgendwelche anderen Parteien. Das hab ich ungefähr siebenmal gemacht. Es gab Charles Heidsieck - Ein Leben, berauschend wie Champagner und Die Champagner-Dynastie. Alles Klassiker. Und ich war gut. Vielleicht nicht in den 80ern, da war ich absoluter Müll. Aber später. Nach Vier Hochzeiten und ein Todesfall drehte ich einen Film namens Eine sachliche Romanze, den niemand gesehen hat. Ich spielte einen hinterhältigen, verunstalteten Spinner. Dann gab es Zeit der Sinnlichkeit mit Robert Downey Jr. und Meg Ryan, da spielte ich einen eitlen Typ namens Finn. Das hätte ich weiterführen sollen. Habe ich aber nicht.

Bald kommt ein neuer Bridget Jones-Film ins Kino. Freust du dich drauf?

Jetzt schon, weil das Publikum ihn in den Testvorführungen wie wild abgefeiert hat. Sie lieben ihn.

In Heretic wird Mr. Reed von zwei Mormoninnen besucht. Für viele Menschen ist es eine gewohnte Erfahrung, von religiösen oder wirtschaftlichen Interessengruppen an der Tür aufgesucht zu werden. Was war deine seltsamste Erfahrung, als du Fremden die Tür geöffnet hast?

Meine Mutter hat mal einem Fremden die Tür geöffnet. Er hat ihr seinen Penis gezeigt. Ich war damals noch ein Kind. Der Typ rannte weg. Unsere Raumpflegerin, eine großartige Frau namens Mrs. Tree, kümmerte sich um meine Mutter und machte ihr eine schöne Tasse Tee. Dann sagte sie zu ihr: “Das sind schon hässliche Dinger, selbst zu den besten Zeiten.

In Heretic geht es viel um Kontrolle. Würdest du dich als Control Freak beschreiben? Wie bereitest du dich auf die Rollen vor?

Ich bereite mich mit extremem Aufwand auf meine Rolle vor, über Monate. Stunden um Stunden, jeden Tag. Und ich kann dir noch nicht mal sagen, ob die Performance davon besser wird oder ob es nur ein verzweifelter Versuch ist, meine Angst zu kontrollieren. Vielleicht beides.

Angst wovor?

Angst vor der Performance. Na ja, es ist eher Angst vor der Angst. Seit 25 Jahren kriege ich beim Dreh Panikattacken, meist ein- oder zweimal pro Film. Es ist sehr erniedrigend. Und sobald man mir eine Rolle anbietet, mache ich mir Sorgen darum, wann die Panikattacke kommt. Lächerlich.

Du hast neulich deine Bewunderung für A24 zum Ausdruck gebracht. Welchen der Filme des Indie-Studios magst du am liebsten?

Midsommar. Und Heretic.

Heretic läuft seit dem 26. Dezember 2024 in den deutschen Kinos.

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