Netflix’ beliebtester Agenten-Thriller ist zurück. The Night Agent Staffel 2 hat große Fußstapfen zu füllen – Staffel 1 steht auf Platz 12 der weltweit erfolgreichsten Serien-Staffeln, die Netflix jemals veröffentlicht hat. Knapp 100 Millionen Mal wurde der erste Durchgang angeschaut. Über Nacht entwickelte sich die Buchverfilmung von The Shield-Schöpfer Shawn Ryan zum Thriller-Phänomen. Hat sich das Warten gelohnt?
Eines vorweg: The Night Agent Staffel 2 ist erneut sehr unterhaltsam, muss sich aber auch einiger Kritik stellen. Eines würde ich jedoch niemals kritisieren, und das ist der enorme Binge-Faktor, der es uns erlaubt, abends für ein paar Stunden den Kopf auszuschalten. Denn Netflix hält für jedes Bedürfnis die passende Serie bereit. Zu welchem Bedürfnis passt The Night Agent? Hirn aus, Knarre raus.
Ihr müsst euch nicht einmal an die 1. Staffel von The Night Agent erinnern
Zu früh gefreut. An eine Sache müsstet ihr euch vielleicht doch erinnern: Es geht um Peter Sutherland (Gabriel Basso), den titelgebend Night Agent. Am Ende der 1. Staffel wurde er, weil er – natürlich – der US-Präsidentin das Leben rettete, endlich in das sagenumwobene Night Action-Programm aufgenommen. Von dem wissen nur die US-Präsidentin und ein paar Auserwählte. Seine Partnerin Rose Larkin (Luciane Buchanan) kehrt zurück nach Kalifornien, um ihre Tech-Karriere voranzutreiben.
Das war’s aber auch schon an relevanten Infos. Neben Sutherland und Larkin kehrt nämlich ausschließlich die US-Präsidentin in einer kleinen Nebenrolle zurück. In Staffel 2 werden wir direkt in Peters erste Mission als Night Agent in Thailand reingeworfen und die entpuppt sich – natürlich – als Weltbedrohung mit schockierenden Wendungen.
The Night Agent verfolgt nämlich ein Konzept, das Serienschöpfer Shawn Ryan eine ungewöhnliche Freiheit in jeder Staffel gibt. Schockierende Tode gehören hier zum Programm, denn jede Staffel fährt einen (fast) komplett neuen Cast auf, mit neuen tragischen und bösen Hintergrundgeschichten und Motivationen. Wer seine Figuren nur eine Staffel braucht, kann sie auch für den größtmöglichen Schockeffekt zu Tode verwursten.
Eine Figur sticht in Staffel 2 hervor – und sie ist kein Night Agent
Die hohe Figuren-Fluktuation führt im schlechtesten Falle dazu, Charaktere ziemlich lieblos zu behandeln, weil sie ohnehin nur für kurze Zeit relevant sind. Im Bestfall sorgt das für viele neue Eindrücke und eine vielseitige Figurenpalette. The Night Agent erfüllt in Staffel 2 beides. Vor allem Peters neue Vorgesetzte Catherine Weaver (Amanda Warren) und seine Informantin Noor (Arienne Mandi) können schnell Interesse wecken.
- Alle neuen Darstellenden findet ihr in unserem Überblicksartikel zu The Night Agent, Staffel 2
Das eigentliche Highlight ist aber Peters entfremdete Partnerin Rose Larkin, bei der er sich 10 Monate nicht gemeldet hat. Sie besitzt als zweite Hauptfigur neben Peter als einzige in der Serie die Strahlkraft, über einen kurzen Binge hinaus im Kopf zu bleiben. Rose kämpft mit den Folgen ihres Traumas aus Staffel 1 und muss sich über ihre eigenen Bedürfnisse klar werden.
Schon die 1. Staffel war gut darin, ambivalenten Frauenfiguren Handlungsmacht zu geben – etwas, das im Agenten-Thriller-Genre noch lange nicht selbstverständlich ist.
The Night Agent Staffel 2 macht es nicht nur uns bequem, sondern vor allem sich selbst
Gerade weil die Serie so schnell wieder aus dem System verdunstet, lohnt sich ein genauerer Blick: Was gucken wir hier eigentlich, gemeinsam mit Hunderten von Millionen anderer Leute?
Wir tauchen in ein sehr komfortables Paralleluniversum ein, das eine vernünftige und sympathische US-Präsidentin hat, und haben Teil an einem fiktiven Regierungsprogramm, das der ganzen Welt jede Staffel wieder den Arsch rettet. Wir tauchen ein in ein Universum, in dem ein metaphorischer FBI-Tellerwäscher zum wichtigsten Mann des Planeten wird. Es ist die ultimative Underdog-Story, die in den USA beliebt ist wie keine Zweite.
Auch unter den amerikanischen Agent:innen gibt es faule Äpfel, so viel gesteht sich The Night Agent auch in Staffel 2 wieder ein. Aber sie sind die Ausnahme, die Peter zur Strecke bringt. Die 2. Staffel erweckt noch viel mehr als die 1. den Eindruck, dass die Welt ohne amerikanische Agent:innen verloren wäre, und nähert sich patriotischen Agenten-Serien wie Tom Clancy’s Jack Ryan noch ein Stück weiter an.
Irgendjemand müsse ja vor der konstanten Bedrohung anderer Länder und Ausländer:innen auf US-amerikanischen Boden schützen, lautet die Annahme. Da sich The Night Agent als leicht verdauliches Binge-Vergnügen präsentiert, könnte man es im Verschwörung-Wirrwarr des neuen Falls fast aus den Augen verlieren. Diese nebenher verbreiteten Messages sollten im Jahr 2025 aber in keiner Serie Platz haben.
Hohes Tempo, hoher Suchtfaktor: Für wen lohnt sich The Night Agent Staffel 2?
The Night Agent Staffel 2 ist genau das, was man von einer Serie erwarten kann, in dem der Held im Staffel 1-Finale mit Blut und Dreck beschmiert “Ich liebe mein Land” brüllt; vielleicht aber sogar ein wenig mehr. Es ist zwar ein gedankenloser, manchmal auch überhasteter und unstimmiger, aber eben temporeicher und unterhaltsamer Action-Thriller. Er erfüllt die erhofften Verschwörungselemente und schockierenden Wendungen, Cliffhanger, die einen an der Sofa-Kante halten und schafft durchaus mehrere mehrdimensionale Figuren, die sich zum Mitfiebern eignen.
The Night Agent Staffel 2 lege ich allen ans Herz, die schon die 1. Staffel mochten. Es gibt allerdings Abstriche, denn der Fall in Staffel 2 ist bei Weitem nicht so spannend wie der Erste, der noch auf einer Buchvorlage beruhte.
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Bei all der Meckerei hat Staffel 2 auch einen großen Vorteil gegenüber anderer Agenten-Action-Ware: Peter Sutherland wird zu keinem Zeitpunkt als Übermensch inszeniert, der mit Humor, Klugheit oder Muskeln allein den Tag rettet. Er hat auch in Staffel 2 stets Selbstzweifel, ist oft überfordert, auch mal rücksichtslos und meist entscheiden Glück oder Pech oder jemand anders für ihn den Tag. Man könnte sagen, er hat mehr Glück als Verstand. Das passt auch gut zur 2. Staffel The Night Agent.
Alle zehn Folgen der 2. Staffel von The Night Agent stehen seit dem 23. Januar 2025 bei Netflix zum Streamen bereit. Grundlage für diesen Serien-Check sind die ersten fünf Episoden.