Vielleicht wurde der Oscar nur ins Leben gerufen, damit bei unheimlich vielen Leute der Blutdruck ansteigt. Dann beginnt die kleine Ader an der Stirn gefährlich zu pulsieren, das Gesicht läuft rot an und ein Schwall an leidenschaftlich aufbrausenden Worten entrinnt ihrem hastig auf und zu gehenden Mund. Der Oscar bietet in erster Linie Diskussionsstoff. Klar, für die Studiobosse hat er eine kommerzielle, für die Nominierten eine wie auch immer geartete persönliche Bedeutung. Doch für uns Filmfans hat er einen ideellen Wert. Nicht selten hängen wir mit dem Herz an einem Film, wünschen uns, dass er geehrt wird und dann gewinnt ein Streifen, der aus irgendeinem Grund kein würdiger Gegner ist. Dann gewinnt eine Oscargurke und das Gezänk beginnt. Jedes Jahr wieder.
Wer einen Oscar verdient und wer nicht, das ist ein Geschmacksurteil, bei dem jeder seine eigene Meinung hat, bei dem es rein objektiv keine richtige Entscheidung geben kann. Deswegen gibt es auf ewig Diskussionen, so wie sie vielleicht auch nach diesem Artikel entstehen. Doch das Diskutieren an sich macht einen Heidenspaß und wenn etwas untrennbar zur Liebe zum Film gehört, dann ist es der leidenschaftliche Streit um das Für und Wider eines Films und seiner Preise.
Vergessene Sieger
Am beruhigendsten für die Gemüter, wenn es um Recht und Unrecht einer Preisverleihung geht, sind Gewinner, die von der Welt vergessen wurden. Sie tragen Namen wie Mrs. Miniver oder Die Stunde des Siegers. Schließlich ist der Oscar für den Besten Film auch ein bisschen ein Glücksspiel, bei dem die Chancen gar nicht so gut stehen, ob nun ein zukünftiger Klassiker, ein Meisterwerk für die Ewgigkeit oder ein im Verglühen begriffener Stern den Preis davontragen kann. Die vergessenen Filme finden sich vor allem in der Frühgeschichte des Oscars, als die Academy Awards vielleicht noch auf der Suche nach sich selbst und ihrer Daseinsberechtigung waren. Oft genug werden die Oscar-Gewinner aus dieser Zeit auch nicht gerade durch ihre nominierte Konkurrenz in den Schatten gestellt, was das Diskussionspotenzial um einiges verringert. Als beispielsweise Cimarron 1931 den Oscar für den besten Film gewann, waren die beiden weitaus prägenderen Filme, Der öffentliche Feind und Der kleine Cäsar, in dieser Kategorie nicht einmal nominiert.
Fehlentscheidungen
Weitaus fataler für den Blutdruck sind da die Entscheidungen, bei denen wir uns nur noch am Kopf kratzen können. Es sind Momente, in denen die Academy es vermasselte, den richtigen Film zur richtigen Zeit auszuzeichnen und ihre eigene Daseinsberechtigung für die Filmgeschichte unter Beweis zu stellen. So wurde 1942 weder Die Spur des Falken, noch Citizen Kane, für viele der beste Film aller Zeiten, mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Nein, es gewann ein Film von John Ford, der natürlich alle möglichen Oscars verdient hat, aber nicht für So grün war mein Tal. Nicht in diesem Jahr.
Die Gewinner der letzten 20 Jahre müssen sich natürlich erst noch beweisen. Hat Forrest Gump 1995 tatsächlich den Preis für den besten Film verdient? Oder war Pulp Fiction nicht das größere, das wichtiger Werk? Ist Der mit dem Wolf tanzt wirklich besser als GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia? Und was sollte das mit Titanic 1998, liebe Academy? L.A. Confidential war doch der komplexere, der vielschichtigere Film, der endlich wieder gezeigt hat, was Hollywood kann, wenn es sich richtig anstrengt. Das sagt zumindest mein eigenes Geschmacksurteil.
Die Liste ließe sich beliebig fortführen mit Shakespeare in Love versus Der schmale Grat, L.A. Crash versus Brokeback Mountain und so fort. Sonntag Nacht (oder Montag morgen?) wird der Oscar zum 83. Mal verliehen und bei Tausenden, ja, Millionen Filmfans wird wieder der Blutdruck steigen, werden die kleinen Äderchen zu pulsieren beginnen und die nächste Diskussion sich schon in die Startlöcher begeben. Doch bis dahin können wir resümieren und vielleicht sogar ein bisschen streiten auf Basis der Frage: Was sind eure persönlichen Oscargurken?