Hungry Hearts, Born in the USA, Streets of Philadelphia: Bruce Springsteen trägt nicht von ungefähr den Spitznamen "the Boss". Nicht nur in den Vereinigten Staaten ging er in die Musikgeschichte ein. Abseits von Dokumentarfilmen wie Western Stars befasste sich aber noch kein Spielfilm mit seinem Leben, was Scott Cooper (Auge um Auge) nun mit Springsteen: Deliver Me From Nowhere ändert. Am 23. Oktober 2025 startet der Film im Kino.
Zwischen Kreativität und Krise: Das Musik-Biopic Springsteen zeigt den "Boss" von einer unbekannten Seite
Im Jahr 1982 ist Bruce Springsteen (Jeremy Allen White) bereits ein Musiker, der große Konzertsäle mit seiner Musik füllt. Seine Fans erkennen ihn auf der Straße. Seine Plattenfirma will ihn mit dem nächsten Album zum absoluten Rockstar machen. Der Gitarrist und Sänger hat jedoch andere Pläne und zieht sich stattdessen in sein ruhiges Kleinstadthaus in New Jersey zurück, wo er in seinem Schlafzimmer mit einem einfachen Rekorder die Arbeit an seinem ungewöhnlichen Album Nebraska beginnt.
Springsteens neue, wehmütig-akustische Lieder beschäftigen sich mit Rückschlägen und Scheitern sowie dem Wunsch nach Erlösung. Doch sind sie der falsche Schritt auf seiner weiteren Karriereleiter oder doch ein notwendiger Blick zurück in Bruce' Vergangenheit?
Schaut hier den Trailer zum neuen Springsteen-Film:
Wer Scott Coopers Regiearbeiten von Auge um Auge über Black Mass bis zu Feinde - Hostiles kennt, weiß, dass der einstige Schauspieler keine Gute-Laute-Filme dreht. Entsprechend ist auch Springsteen von den melancholischen, tief-amerikanischen Untertönen geprägt, die Coopers Œuvre auszeichnen. 16 Jahre nach seinem Regiedebüt mit Crazy Heart wendet der Filmemacher sich wieder der Musik zu, die ebenso aufbauen wie zerstören kann.
Statt für den Weg des klassischen Biopics, mit säuberlich aufgereihten Lebensstationen (wie zuletzt in Respect oder I Wanna Dance with Somebody), entscheidet Cooper sich in Springsteen zum Glück für eine spannendere Richtung und taucht in eine einzige Lebensphase des Stars ein. Diese nutzt er für eine Reise ins Innere. Weil Bruce (als einer der wenigen US-Superstars) aber nicht für Drogeneskapaden bekannt war, findet der Film seine Krise an einer anderen Stelle: in einer schwierigen Kindheit und dem daraus resultierenden Blues im Erwachsenenalter.
Als Film sucht Springsteen die Erlösung aus dem Nirgendwo
Nach seinem schauspielerischen Durchbruch mit der Prestigeserie The Bear: King of the Kitchen präsentiert Jeremy Allen White sich als logische Wahl für die Verkörperung von Bruce Springsteen. In The Iron Claw bewies er bereits sein Talent in einer wahren Geschichte. Nun darf er zwischen laut singenden Schweißausbrüchen auf der Bühne und traurigem Blick einsamer Momente seinen Status als aufstrebender Stars weiter untermauern. Er füllt die Rolle überzeugend aus. Erst wenn sein Springsteen kurz vor Ende in einer Nahaufnahme die angestauten Gefühle endlich herauslässt, versteht man allerdings richtig, warum er den Part verdient hat. (Sein vielbeachteter The Bear-Monolog aus dem Staffel 1-Finale lässt grüßen.)
Bei der Beziehung zur alleinerziehenden Mutter Faye (Odessa Young), die Bruce Springsteen im Laufe des Films eingeht, springt der Funken zwischen Kennenlern-Montagen und traurig wartender Liebhaberin auf der Leinwand leider nie vollständig über. Dafür fühlt man die innige Beziehung zu Freund und Manager Jon Landau umso intensiver.
Der stets mit großer Ernsthaftigkeit agierende Jeremy Strong brilliert nach Succession und The Apprentice diesmal mit engagierter, kraftvoller Präsenz. Seinen Landau will man als Helfer an der eigenen Seite wissen, um es durch jede Lebenskrise zu schaffen. Dass eine Szene, in der Springsteen und Landau einfach nur zusammen einen Song anhören, eindringlicher nachhallt als jede Romanze, verdeutlicht zumindest die Prioritäten des Films: Bruce' Musik mit seiner Vergangenheit zu versöhnen, bevor er sich auf irgendetwas anderes einlassen kann.
Aus der Kindheit hängt ihm nämlich immer noch die schwierige Familiensituation nach. Ausgerechnet die schwarz-weißen Rückblenden, in denen Vater Douglas Springsteen bedrohlich über allem schwebt, kommen in ihrer Gestaltung allerdings zu gewöhnlich daher. Daran kann auch Stephen Grahams jüngst für Adolescence mit einem Emmy ausgezeichnete, zuverlässige Schauspielwucht nichts ändern. Die Probleme der Springsteen-Familie bleiben vage.
Song-Ursprünge wie Nebraska erklärt Cooper bis ins kleinste Detail (bis zurück zum Film Badlands und der zweifelhaften Inspiration durch den Killer Charles Starkweather). Der psychische Zustand des Vaters bleibt hingegen weitestgehend undefiniert und hätte tiefer erforscht werden können. Selbst bei Bruce ordnet erst ein Schriftzug direkt vorm Abspann Springsteens rastlose Traurigkeit konkret als Depression ein – was die Gefahr mitbringt, seine geistige Gesundheit filmisch als "Enthüllung" oder Schlüssel zu seiner Persönlichkeit zu lesen.
Deuten oder nicht deuten, das ist hier die Frage
In dieser Unentschlossenheit zwischen Erklären und Offenlassen offenbart der Film seine Schwächen. Wenn ein Autoverkäufer "weiß, wer Bruce Springsteen ist", der Musiker selbst es aber nicht sagen könnte, offenbart der Film seine Crux: Cooper will uns den Musiker näherbringen, aber nicht überpsychologisieren, indem er all seine Motivationen und Ängste ausbuchstabiert. Trotzdem erklärt Manager Landau im nächsten Moment seiner (nur zu diesem Zweck auftretenden) Ehefrau, welchen inneren Kampf der Star seiner Meinung nach gerade ausfechtet.
Es ist ein schwieriger Grenzgang. Deliver Me From Nowhere wählt das titelgebende Niemandsland als Heimat seiner Erzählung, wenn die meisten doch vermutlich ins Kino kommen, um mehr über den Menschen hinter dem Star zu erfahren. Aus Angst, das Fan-Publikum vor den Kopf zu stoßen, ertönen im Radio trotzdem die großen Springsteen-Hits. Hier will Scott Coopers Film sowohl innerhalb als auch außerhalb der Norm existieren, kann aber nicht gleichzeitig Bohemian Rhapsody und Rocketman sein, und verliert sich deshalb in einem Zwischenreich.
Springsteen ist ein guter Film, wenn auch kein außergewöhnlicher
Ähnlich wie Like a Complete Unknown, wo Bob Dylan zum Missfallen vieler Fans der elektronischen Musik zusprach und ein starkes Zeitbild seines Stars zeichnete, leuchtet Springsteen unbekanntere Facetten des Musikers aus, die über seine generelle Bekanntheit hinausreichen. Trotzdem fühlt sich der vor wenigen Monaten erschienene Timothée Chalamet-Film in seiner Erzählung runder an.
Mit schönen Bildern und unaufgeregtem Tonfall schafft es Deliver Me from Nowhere durchaus, der Persönlichkeit Bruce Neues abzugewinnen. Aber am Ende ist der Springsteen-Film aber nicht so außergewöhnlich geworden wie das Nebraska-Album des Musikers, auf dem alle Störgeräusche zum Gesamtkunstwerk beitragen. Dazu müsste dann doch klarer werden, welchem persönlichen Ziel, das er selbst nicht in Worte fassen kann und will, der Musiker so verzweifelt hinterherjagt.
Schlussendlich prägt sich das vom Film selbst erschaffene Bild einer Kassette ein, die trotz ihrer wertvollen Aufnahmen ohne Hülle herumgereicht wird: Springsteen kommt als rohes Werk daher, das sich nicht ganz von seinem Trägermedium (dem Biopic-Genre) lösen kann, aber trotzdem verdient, mit Achtung behandelt, gesehen und gehört zu werden.
Springsteen: Deliver Me From Nowhere startet am 23. Oktober 2025 im Kino.