Im Kommentar der Woche versuchen wir jede Woche einen eurer zahlreichen Kommentare zu feiern, egal ob so seltsam, dass er einfach ans Tageslicht dieser Rubrik gezerrt werden muss, so fremd, dass alle seine Bekanntschaft machen sollten, oder bisher so unbekannt, dass ihr diesen Missstand einfach beheben müsst – die Voraussetzungen für den Kommentar der Woche kann theoretisch jeder Kommentar erfüllen. Wenn ihr über einen gestolpert seid, der euch besonders gut gefallen hat, schlagt ihn uns vor, am besten per Nachricht wie auch diese Woche.
Der Kommentar der Woche
Bedeutet ein Videoabend bei dem Stranger Than Paradise auf dem Programm steht gemeinsam einsam langweilen? Ganz und gar nicht, Solveig ist überzeugt, dass man den Film von Jim Jarmusch wie einen introvertierten Menschen nur näher kennen lernen muss, um dessen interessante Geschichte zu erfahren:
Willie will nicht so recht begeistert sein, als er erfährt, dass seine Tante Lotte für zehn Tage ins Krankenhaus muss und es ihm nun anheim fällt, sich in dieser Zeit um seine Cousine, die hübsche Eva, zu kümmern, die gerade aus Budapest nach New York gereist ist und eigentlich bei der Tante in Cleveland unterkommen sollte. Eva wird ihrerseits mit ihrem Cousin Béla konfrontiert, der sich aber nur noch ‘Willie’ nennen lässt und partout nicht möchte, dass in seiner Gegenwart Ungarisch gesprochen wird, sondern allein auf die englische Sprache besteht. Weiter erfahren wir, dass Willie die Tage eigentlich nur damit verbringt, antriebslos auf seinem Bett herumzuliegen, ab und an Fernsehen zu schauen, nicht näher definierbare sogenannte Fernsehkost aus Plastiktellern zu verspeisen, ab und an eine Zigarette zu rauchen, mit sich selbst Karten zu spielen und manchmal, ja manchmal kommt dann auch noch Eddie vorbei, meistens dann, wenn das liebe Geld aufgebraucht ist – der Vorrat wird beim Pokern nach nicht immer koscheren Regeln oder auf Pferde- und Hunderennbahnen verdient. Diese manchmal schwungvollen Momente sind jedoch nur von kurzer Dauer, die sehr bald wieder in einen tristen Alltag münden, welcher von monotoner Gleichförmigkeit durchzogen wird, auch wenn Willie und Eddie später beschließen, Eva, die mittlerweile bei ihrer Tante eingezogen ist und in einem Schnellimbiss arbeitet, zu besuchen oder die drei beschließen, Urlaub in Florida zu machen.
“Stranger Than Paradise” erscheint uns dabei auf den ersten Blick wie eine sich in ihrer Grundmotivik – wenn auch mit leicht variierten Konstellationen – permanent wiederholende Dauerschleife und auf lange Sicht glaubt man, 85 min. zuschauen zu dürfen, wie sich Willie, Eva und Eddie nach anfänglicher Aufbruchseuphorie schließlich doch immer und überall
einsam langweilen,
gemeinsam langweilen,
einsam gemeinsam langweilen oder auch
gemeinsam einsam langweilen;
eigentlich nur zweckmäßig und manchmal nur widerwillig zusammen sind und sich aber irgendwo doch gegenseitig zu brauchen scheinen.
Fand ich den Film auch langweilig? Nein, denn “Stranger Than Paradise” ist sehr intelligent inszeniert worden, so dass einzelne Abschnitte der Geschichte wie Episoden wirken, die durch eine immer wiederkehrende Schwarzblende voneinander getrennt werden, so dass ich in diesen Momenten stets neugierig war, was ich als nächstes zu sehen bekommen werde, sowie auch bei den sich wiederholenden Motiven immer wieder die Frage auftauchte, warum sie noch einmal erzählt werden – hat sich an der Situation oder Einstellungen der Figuren etwas geändert?
Und vor allem spielt dieser Film wunderbar mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, die insbesondere zum Schluss auf die Spitze getrieben wird, so dass ich am Ende dieses Werks kein bisschen gelangweilt, sondern mit einem Grinsen da saß.
Ist “Stranger Than Paradise” ein interessanter Film?
Ich will es so sagen – ich vergleiche ihn gern mit einem stillen und eher in sich gekehrten Menschen. Zeigt man an solch einem und an seiner Geschichte ein ehrliches und aufrichtiges Interesse, dann kann daraus ein wunderbares Gespräch entstehen, dessen Qualität einerseits aus dem eben schon Genannten besteht, sowie andererseits auch von der Qualität der Fragen abhängt, die man stellt, um das Gespräch am Laufen zu halten.
“Stranger Than Paradise” hat mir viel über Träume erzählt, die manche Menschen dazu bewegen können, in die USA auszuwandern (vor diesem Hintergrund erhält der Film zusammen mit seinem tollen Titel noch einmal eine eigene Note) und womit sie dann anschließend konfrontiert werden können, von der steten Suche nach dem besonderen Kick und dem großen Glück, von Entwurzelung und dem Wunsch, vielleicht doch irgendwann mal irgendwo anzukommen.
(Und ich bin sicher, wenn die eben genannten Voraussetzungen stimmen, dann wird der Streifen vielen Menschen seine eigene Geschichte ebenso erzählen.)
Den Kommentar findet ihr übrigens hier.