Die jüngste Folge von The Last of Us hat mich getroffen wie ein LKW auf der Überholspur. Konkret eine Szene, die Joels Geschichte mehrere Wochen nach seinem schockierenden Ableben zu einem Abschluss bringt. Pedro Pascals zitternde Stimme hat mir das Herz gebrochen. Wer die Videospielvorlage kennt, weiß aber auch, dass mit dieser Szene eine gewaltige Änderung mit einhergeht.
Die ikonische Veranda-Szene ist eigentlich erst ganz am Ende von The Last of Us Part II und in einem etwas anderen Kontext zu sehen, was bereits einige negativen Reaktionen hervorgerufen hat. Ich bin aber anderer Meinung: Es war die einzig richtige Entscheidung, die erschütternde Joel-Szene schon jetzt zu zeigen.
The Last of Us hätte uns Jahre auf eine einzige Szene warten lassen
Noch stärker als die erste Season nimmt The Last of Us Staffel 2 überraschend viele Änderungen vor. Auch, wenn die Grundstory der Vorlage erhalten bleibt, wurden einige strukturelle Anpassungen bei Charaktereigenschaften und Figurendynamiken, aber auch der zeitlichen Abfolge bestimmter Ereignisse vorgenommen. Das lässt sich vor allem auf einen einfachen Grund zurückführen: Die 2. Staffel adaptiert ein sehr umfangreiches Videospiel über mehrere Staffeln hinweg.
The Last of Us Part II lässt Spieler:innen über längere Strecken im Unklaren über Motivationen und wichtige Ereignisse, die erst im Verlauf der ca. 25 Spielstunden offenbart werden. Entscheidungen von Figuren muss man dadurch ständig neu kontextualisieren und hinterfragen. Bei der Serienadaption kann das so nicht funktionieren, ohne die Geduld des Publikums überzustrapazieren.
Die besagte Veranda-Szene ist die allerletzte im Spiel und ein finaler Schlag in die Magengrube, der Ellies Rachegeschichte bittersüß abschließt. Nach aktuellem Stand soll die Verfilmung des Games insgesamt drei Staffeln umspannen. Heißt: Es hätte viele Jahre gedauert, bis wir diese letzte Joel-Szene überhaupt zu Gesicht bekommen. Und da ich ein sehr ungeduldiger Mensch bin, bin ich froh, dass ich nicht bis Staffel 4 – und damit 2027 oder 2028 – warten musste.
Während im Spiel nur wenige Stunden zwischen Joels Tod und dem Ende liegen, vergehen in der Serienumsetzung in Echtzeit mehrere Jahre, ehe der Abschluss der Geschichte erreicht ist – und Ellie (Bella Ramsey) überhaupt wieder ins Zentrum der Handlung rückt. Denn in The Last of Us Staffel 3 wird Abby zur Hauptfigur erklärt und die bisherige Seattle-Geschichte noch mal aus ihrer Perspektive erzählt. Das in Staffel 2 gelegte, emotionale Fundament wäre bis dahin längst in verschwommenen Erinnerungen verblasst, um den maximalen Effekt zu erzeugen.
Dass uns die Geschichte ein letztes Gespräch und eine mögliche Versöhnung des postapokalyptischen Vater-Ziehtochter-Duos vorenthalten hat, war bereits zu Beginn von Staffel 2 deutlich zu erkennen. Daraus ein Geheimnis zu machen, das erst in Staffel 4 aufgelöst wird, hätte wenig Sinn ergeben. Denn seien wir ehrlich: Es wäre quasi unmöglich, Nicht-Spieler:innen über Jahre hinweg vor diesem Spoiler zu bewahren. Die Auflösung, dass Joel und Ellie doch nicht im Streit auseinandergingen, hätte viel zu lange auf sich warten lassen.
Joels Abschied macht Staffel 2 zu einem Gesamtpaket
Natürlich hätte sich The Last of Us einfach alle Flashbacks für Staffel 4 aufsparen können, um kurz vor Schluss die komplizierte, aber schlussendlich berührende Beziehung von Ellie und Joel noch mal in Erinnerung zu rufen und nostalgisch aufzuladen. Das hätte aber nicht nur einen negativen Effekt auf die Entwicklung von Staffel 2, sondern auch auf die Wirkung des Verlusts von Joels. Wie sollen wir die Leere in Ellies Leben wahrhaftig spüren können, wenn Pedro Pascal alle paar Folgen wieder für neue Rückblenden vorbeischaut? Die Endgültigkeit des Todes würde damit unnötig abgeschwächt werden.
Die Flashback-Folge selbst ist der beste Beweis, warum es die beste Entscheidung war, einen Großteil der Rückblenden in eine Episode zu packen. Was im Spiel durch die nahbare Erlebbarkeit vielleicht noch sinnvoll ist, hätte in der Adaption für ständige Brüche innerhalb des Erzählflusses gesorgt. Auch Staffel 2 verliert bereits durch Folge 6 ihr erzählerisches Momentum. Mich stört das aber keinesfalls, da Folge 6 und vor allem die rückblickende Aufklärung des Konflikts zwischen Joel und Ellie extrem mitreißend und niederschmetternd ist.
Die von Game-Autor und Serien-Co-Schöpfer Neil Druckmann inszenierte Episode erschafft aus den Versatzstücken ein clever strukturiertes Kaleidoskop des langsamen Zerfalls einer Beziehung, die mit der Hoffnung auf Heilung endet. Für mich als Zuschauer ist der Tod von Joel damit umso schmerzvoller.
Mit dieser Folge und im engeren Sinn der Veranda-Szene wird Staffel 2 zu einem thematischen Komplettpaket mit emotionalem roten Faden und einem vollständigen Erzählbogen für die Verbindung zwischen Joel und Ellie. Ohne sie wäre sie ein frustrierender Rumpf, der eine Resolution auf eine spätere Staffel abschiebt.
The Last of Us wird überraschender: Staffel 2 könnte das Serienende stark verändern
Rein praktisch gesehen ist das Vorziehen der Game-Endszene auch eine Art Sicherheitsnetz. Sollte HBO nämlich keine 4. Staffel, die voraussichtlich den Epilog des Games verfilmt, in Auftrag geben, hätte Fans der absolute Supergau erwartet.
Die Entscheidung, die Veranda-Szene vorzuziehen, verwandelt The Last of Us stattdessen in eine ungemein spannendere und überraschendere Adaption. Wir als Publikum haben nicht nur alle Flashbacks aus den finalen Stunden, sondern auch Joels emotionalen Arc von Anfang bis Ende bereits zu sehen bekommen. Was erwartet uns also stattdessen am Ende der Reise?
Wie verheerend der mögliche Schmetterlingseffekt sein wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Aber The Last of Us hat jetzt die Chance, im späteren Serienende etwas Neues und Unerwartetes zu erzählen. Denn wer will schon eine simple Kopie, die das gleiche nochmal macht?