Tribute von Panem - Ein erwachsenes Jugend-Franchise

19.11.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Jennifer Lawrence als Katniss EverdeenStudioCanal
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Dunkel, dunkler, Die Tribute von Panem-Finale. Der letzte Film der Hunger Games-Reihe, Mockingjay Teil 2, ist eine düstere Kriegsgeschichte rund um eine malträtierte Heldin und ihr Trauma. Das Franchise ist den Kinderschuhen entwachsen.

Mit dem Kinostart von Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 2 in dieser Woche geht nach Harry Potter und Twilight das dritte große und äußerst lukrative Franchise unserer Zeit um eine Jugendbuch-Verfilmung auf der großen Leinwand zu Ende. Und es schlägt gleichzeitig ein neues Kapitel auf. Doch die vierteilige Buchverfilmung um die sadistischen Hungerspiele macht es ihrer jungen Zielgruppe nicht so einfach wie die beiden vorangehenden Fantasy-Sagas über Zauberschulen und Vampire. Die Tribute von Panem ist keine Schwarz-Weiß-Fabel mit übermächtigen Protagonisten sondern ein politisches Statement - ein Science-Fiction-Blockbuster, der es wagt, einem beim Popcorn-Verzehr eine Geschichte über Propaganda, Tyrannei und Kriegstrauma zu erzählen. Mockingjay Teil 1 und Teil 2 zeigen, dass auch Jugend-Franchises erwachsen werden dürfen.

Die Fantasywelt weicht der Postapokalypse

Gerne werden die großen Buchverfilmungen von Jugendromanen in einen Topf geworfen. Tatsächlich haben sie auch jede Menge gemeinsam. Zum einen wachsen die jung gecasteten Darsteller im Franchise selbst zu Erwachsenen heran. Wir können ihnen beim Aufwachsen zusehen oder zumindest ihre ersten Schritte der Volljährigkeit verfolgen. Zudem wird der letzte Buchband der Vorlage immer in zwei Filme aufgespalten und die Franchises sind enorm lukrativ. Harry Potter und Twilight spielten in acht bzw. fünf Filmen durchschnittlich 965 beziehungsweise 670 Millionen US-Dollar pro Film ein. Die Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene, beim zweiten Franchise vorrangig weiblich und strömen in Scharen in die Kinos, sie machen diese Franchises zu einem Phänomen ihrer Zeit. Vor wenigen Monaten hat Maze Runner 2 mit über 300 Millionen US-Dollar das Fünffache seines Budgets eingespielt. Die drei der vier Panem-Filme dürfen bisher durchschnittlich 580 Millionen US-Dollar pro Film erbracht haben. Es ist anzunehmen, dass der Durchschnittswert nach dem Finale noch höher ausfallen wird.

Doch inhaltlich ist ein Bruch zu erkennen. Die einstigen Fantasy-Sagas weichen langsam aber doch den postapokalyptischen Welten. Seit wenigen Jahren sind die Regale von Buchläden Apokalypse-gleich überflutet von dystopischen Jugendromanen. The Hunger Games von Autorin Suzanne Collins ist daran nicht unschuldig, ist die Endzeit-Action doch der erfolgreichste Vertreter. Darin meldet sich Katniss Everdeen freiwillig als Tribut für die jährlichen Hungerspiele, wo Minderjährige gegeneinander antreten müssen und nur einer die Arena lebendig verlassen darf. Sie will damit ihre kleine Schwester retten. Überlebt wird Panem zumindest im Kino von den dystopischen Franchise-Begleitern Die Bestimmung mit Shailene Woodley als Auserwählte und Maze Runner mit Dylan O'Brien. Die Teenie-Themen in Hollywood wandeln sich von hoffnungsfrohen oder romantischen Epen zu Verwüstung, Experimenten und Endzeit.

Immer nahe an Katniss

Vom bunten Abenteuer zum düsteren Kriegsdrama

Das Franchise beginnt mit Die Tribute von Panem - The Hunger Games als buntes, knalliges Event, das den eigentlichen Misstand und die Unterdrückung der Regierung in der dystopischen Welt - die tödlichen Hungerspiele - zum actionreichen Mittelpunkt des Films macht. Doch schon der zweite Teil, Die Tribute von Panem - Catching Fire, beginnt dieses Event zu unterwandern, indem er es wiederholt und ausführlich in eine widerliche Reality-TV-Maschinerie einbettet. Die Fassade wird hinterfragt, aber Katniss darf noch einmal ihr Talent als Bogenschützin und Gladiatorin mit reinem Herzen beweisen. Fantasievolle Kostüme und Arena inklusive. Dann kommt der Bruch. Für den dritten Teil, Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 1, wählt Regisseur Francis Lawrence, der bereits Catching Fire inszenierte, das Genre des Kriegsdramas. Er tauscht die facettenreiche Arena gegen eine zerbombte Heimat, die Propaganda der Regierung in Form von Spielen gegen die Propaganda-Maschinerie der Rebellen, die anfangen, Katniss als Symbolfigur zu benutzen und später zu missbrauchen. Anstatt eines inszenierten Spiels für die Massen - im Film wie im Kinosaal - wird ein düsteres Drama über Trauma und Manipulation geboten, das sich viel Zeit für seine zerstörte Hauptfigur nimmt. Im finalen Film, Mockingjay Teil 2, lassen sich Spiel und Krieg, Täter und Opfer, Kampf für den Frieden und Unterdrückung nicht mehr trennen. Alles verschwimmt zur Grauzone - so grau wie die perfekt geföhnten Haare von Julianne Moores Rebellen-Oberhaupt.

Grau in Grau

Jennifer Lawrence ist Katniss Everdeen ist Jennifer Lawrence

Harry Potter, Twilight, The Hunger Games - in allen drei Franchises steht eine Frau zwischen zwei Männern, aber während Emma Watsons Hermine bei Harry Potter nur Nebenfigur und beste Freundin ist und Kristen Stewarts Bella für ihre Männer lebt, ist Jennifer Lawrences Katniss Everdeen eine selbstständige Hauptfigur, die allein auf ihre eigenen Entscheidungen baut. Jennifer Lawrence ist nicht nur im realen Leben in ihrer Allgegenwärtigkeit, Quirligkeit und Oscar-Präsenz kaum zu übersehen und überschatten, auch hat sie innerhalb des Films die spannendste Rolle. Sie wurde zum Hollywood-Liebling, während sie in den Filmen zum Gesicht der Revolution avancierte. Die Kamera bleibt so nahe an ihrem Gesicht wie die Geschichte an ihrer Figur und nimmt damit alle Höhen und Tiefen mit, die sie durchlebt und zu einer ambivalenten Figur werden lassen.

Sie ist eine starke, eigensinnige Frauenfigur, eine von Jeanne d'Arc-inspirierte Kämpferin, die sich, wenn wir von wenigen Bildern am Ende absehen, über das Franchise hinweg voll entfalten darf und gegen Ende ausgesprochen kritische Entscheidungen trifft. Und diese trifft sie nicht für ihre Männer, die in Die Tribute von Panem absolut zweitrangig sind, und auch nicht, weil sie die Auserwählte im magischen Sinne ist, sondern für sich und ihre Bedürfnisse.

Katniss Everdeen

Während Katniss' Vorgänger an der Zauberschule noch umgeben waren von sympatischen und wichtigen Autoritätspersonen, kann Katniss zu keiner aufblicken, keiner vertrauen, jeder hat seine Laster, seine Ambivalenz, seine Motive, seine Unsicherheit. Sie muss selbst die Erwachsene, die Starke sein und ihrem eigenen moralischen Kompass vertrauen. Am Ende bleiben Trauma und seelische Verwundung von eigener und fremder Gewaltausübung. Denn Katniss Everdeen weiß, im Krieg gibt es keine Helden, egal, wie glorifiziert sie sein mögen, es gibt nur Verlierer. Und diese Botschaft ist so erwachsen und düster wie sie wichtig ist. Nicht nur Die Tribute von Panem, auch die Jugend-Franchises an sich gewinnen dadurch an Reife.

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