Seit der Gründung ihrer Firma Zazen Produções 1997 ist es stets dasselbe: Alle Filme, die José Padilha und sein enger Freund Marcos Prado bisher produziert haben, lösen in breiten akademischen Kreisen heftige Diskussionen um notwendige Sozialreformen in Brasilien aus. Auch Tropa de Elite sorgte mit seiner drastischen Darstellung von Drogenhandel, Gewalt und Folter erwartungsgemäß für heftige Kontroversen. Schon bevor der Film tatsächlich in die Kinos kam, galt er als Phänomen: Denn über elf Millionen Brasilianer sahen Tropa de Elite bereits auf illegal gebrannten DVDs – und später gingen nochmals 2,5 Millionen Menschen ins Kino. Das machte Tropa de Elite trotz der immensen Verbreitung via Raubkopie zum erfolgreichsten brasilianischen Film 2007.
Die Idee zu Tropa de Elite entstand schon 2002 während der Dreharbeiten von Padilhas international gefeierter Dokumentation Bus 174. In diesem Jahr kamen einige Filme zum Thema Gewalt in Großstädten in die Kinos. „Filmemacher und Kritiker überall im Land begannen darüber zu räsonieren, ob diese Geschichten nicht allmählich überhand nehmen würden“, erinnert sich Padilha. „Aber das stimmt nicht. Man hatte sich bisher dem Thema nur jedes Mal aus demselben Blickwinkel heraus genähert. Immer wurde die Geschichte aus der Sicht eines kleinen Dealers oder Kriminellen erzählt. Keiner sah es vom Standpunkt der Polizei aus. Ich bin der Ansicht, man kann in Brasilien nicht über Gewalt sprechen, ohne auch diese Perspektive hinzuzuziehen. Es handelt sich dabei nämlich nicht nur um ein nebensächliches Detail sondern um einen wichtigen Faktor der Diskussion.“
„Der Film bildet die Heuchelei ab, die einen in einer Stadt wie Rio de Janeiro tagtäglich umgibt. Überall lauert die Gewalt. Wenn man den Kindern in den Elendsvierteln helfen möchte, muss man sich erst mit den dort herrschenden Drogenbossen anfreunden. Um etwas Gutes zu tun, begibt man sich rasch auf dubiose Pfade. Ein ehrlicher Polizist, der seine Einheit neu organisieren möchte, benötigt dafür Geld. Aber die Polizei hat keines. Woher also nehmen? Ein Offizier der BOPE (Batalhão de Operações Policiais Especiais), der im Film dargestellten Spezialeinheit der Militärpolizei von Rio de Janeiro, will eigentlich nur das Gesetz schützen, aber dafür wird er unter Umständen eine Menge Menschen töten müssen, weil sie sich ihm schwer bewaffnet in den Weg stellen. Alles ist grau – in unterschiedlicher Intensität. Nichts im Leben ist einfach nur schwarz oder weiß. Jeder von uns lebt inmitten dieser unterschiedlichen Grautöne, als ob es das Normalste auf der Welt wäre.“
Autor Rodrigo Pimentel war zwölf Jahre lang Offizier bei der Militärpolizei und diente noch sieben weitere Jahre als BOPE-Captain. „Es ist das Tollste überhaupt, zu einem derart elitären Kreis dazuzugehören. Der Stolz, den man empfindet, Teil einer so erlauchten Truppe zu sein, die die Gesellschaft von der Korruption befreien will, das ist einfach großartig. Es geht nicht ums Geld. Die BOPE-Leute verdienen genauso viel wie normale Polizisten. Es geht nur um die Ehre.“
2004 begannen José Padilha und Rodrigo Pimentel gemeinsam am Drehbuch zu arbeiten. „Ohne Pimentel würde der Film überhaupt nicht existieren – ein großer Teil des Plots setzt sich aus den Erlebnissen zusammen, die Pimentel in seiner Zeit als Militärpolizist und BOPE-Soldat hatte“, merkt José Padilha an. „Als mich José fragte, ob ich Interesse hätte an diesem Thema, dachte ich, er wäre nicht ganz dicht“, erklärt Rodrigo Pimentel. „Noch nie zuvor hat sich jemand getraut, einen Film zu drehen, in dem die brasilianische Polizei als Karikatur dargestellt wird. Aber ich sagte ihm, unter meinen Bedingungen würde ich daran mitarbeiten und zeigte ihm gleich einen Film, der meinen Vorstellungen sehr nahe kam: Black Hawk Down von Ridley Scott. Außerdem sorgte ich dafür, dass die Schauspieler ein wirklich hartes Trainingscamp durchzustehen hatten, damit ihre Darstellung auch ernsthaft überzeugen kann. Und José versprach es mir“.
Obwohl das Drehbuch bereits von José Padilha und Rodrigo Pimentel verfasst wurde, setzte der Regisseur noch einen weiteren Mann zusätzlich auf das Skript an: „Wir brauchten unbedingt noch einen absoluten Profi mit an Bord, der unseren Ideen den notwendigen Schliff verleihen konnte. Deswegen wandte ich mich an Bráulio Mantovani, Brasiliens besten Drehbuchautoren und einen der besten weltweit.“ José Padilha gesteht, dass die Zusammenarbeit mit Mantovani, der für sein erstes Buch zu City of God gleich eine Oscar-Nominierung erhielt, ihm in manchen Punkten erst die Augen öffnete. „Ich lernte von Bráulio, dass ich absolut kein Drehbuchautor bin. Ich saß schon seit drei Monaten an einem Treatment, für das er dann nur zwei Wochen benötigte – und seines war wesentlich besser!“
Es ging während der Dreharbeiten auch um das Durchhaltevermögen. Ein knallhartes Boot Camp hatten die Schauspieler durchzustehen. Mit dem früheren Polizisten Pimentel gab es einen unerbittlichen Kritiker am Set, dem auch der kleinste Fehler in Sprache, Mimik oder Bewegung auffiel. Caio Junqueira, der den Neto spielt, erinnert sich: „Man brachte uns wirklich alles bei. Vom theoretischen Überbau der Militärpolizei bis hin zu den einzelnen Kampftechniken. Zwei Wochen lang saßen wir im Nirgendwo mit sechs BOPE-Offizieren, die uns das Schießen und sämtliche Nahkampftechniken beibrachten. Wir marschierten stundenlang in verdreckten Mänteln. Wir aßen Dreck. Wer nicht mehr konnte, war draußen. Das war wie im echten BOPE-Trainingslager.“ „Sie schliffen uns, als ob wir wie sie selbst lebenslang die Uniformen tragen würden. Und als wir in perfekter Aufstellung eine Favela stürmten, war jeder Ellbogen am richtigen Platz“, ergänzt Wagner Moura.
Verständlicherweise reagierte die Militärpolizei ziemlich stark auf den Film und verbot, dass auf ihrem Gelände gedreht werden durfte. „Ich sehe das als eine weitere Ausformung dieser allgegenwärtigen Heuchelei an“, sagt José Padilha dazu. „’Es gibt doch keine Zensur in Brasilien, oder?’, dachte ich mir.“ Am Ende siegten glücklicherweise die etwas toleranteren Polizisten über die strikten Gegner des Filmprojekts und Padilha wurden die Aufnahmen an vielen Originalschauplätzen der BOPE gestattet.
Wirklich gefährlich waren die Drehtage in den Elendsvierteln der Stadt. „Als Polizist verkleidet in den Favelas zu stehen, das war schon heftig“, erinnert sich Junqueira. „Wir mussten immer Jacken mit der Aufschrift „Filmteam“ tragen, sobald die Kameras nicht liefen. Trotzdem beobachteten uns die Dealer und Drogenbosse am Ort ziemlich genau. Dass uns in einem unbedachten Moment innerhalb weniger Minuten sofort das Auto mit den ganzen Waffen darin gestohlen wurde, machte die Situation auch nicht gerade angenehmer.“
Laut einer Studie von Amnesty International (Brasilien auf der Suche nach Sicherheit: Von brennenden Bussen zu gepanzerten Fahrzeugen – 2. Mai 2007) sind mit den schwer bewaffneten Polizeieinsätzen auch die Todesopfer bei diesen Einsätzen sprunghaft angestiegen. In Situationen, die später in offiziellen Berichten als „Widerstand mit Todesfolge“ bezeichnet werden, stieg die Zahl der Getöteten von 300 Opfern 1997 auf 1195 Personen im Jahr 2003 und sank 2005 nur unmerklich auf 1098 Personen. Neben den vielen Erfolgen, die man der brasilianischen Polizei zugutehalten muss, gibt es immer auch noch sehr viele Ausfälle. Möglicherweise kann Tropa de Elite, so zumindest die Hoffnung seiner Produzenten, einen Anlass geben für eine ernst gemeinte Veränderung der derzeitigen Zustände. „Ich drehe Filme, um etwas zu verändern oder wenigstens eine Diskussion anzustoßen“, fasst José Padilha zusammen. „Welchen anderen Grund kann es geben, einen Film zu drehen?“
Mit Material von Senator Film
Tropa de Elite startet am 06. August in den deutschen Kinos.
Hier der Trailer: