Überraschungs-Hit: Kneecap ist ein einziger Rausch, der vor filmischer Energie, Musik und Rebellion strotzt

22.01.2025 - 12:55 UhrVor 2 Monaten aktualisiert
Kneecap startet diese Woche im KinoAtlas Film
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Der Kinobesuch von Kneecap überrascht als außergewöhnliches Filmerlebnis, das auch Stunden später noch durch die eigenen Adern summt, vibriert und schreit.

Ich gestehe: Vor allem Michael Fassbender hat mich dazu gebracht, mir Kneecap anzusehen. Am Ende sind es aber nicht seine kurzen Auftritte, sondern die unbändige Energie, die den Film zu einem absoluten Erlebnis macht. Denn hier kommt ein abgedrehtes Werk um die Ecke, dessen Feuereifer Regisseur Rich Peppiatt problemlos auch auf Nicht-Eingeweihte überträgt. An diesem Donnerstag, dem 23. Januar 2025, startet Kneecap in den deutschen Kinos.

Kein schnödes Biopic: Kneecap ist ein etwas anderer Musik-Film

Normalerweise gehören Biopics nicht zu meinem Lieblingsgenre. Zu häufig arbeiten sich die filmisch nacherzählten Biografien berühmter Menschen als Nummernrevue einfach nur an einzelnen Lebensstationen ab. Das wird schnell langweilig, obwohl Ausnahmen wie Rocketman oder zuletzt Better Man mit einem besonderen Dreh gelegentlich versuchen, gegen den Strom zu schwimmen. Auch Kneecap gehört zu den Filmen, die angestaubte Schablonen verwerfen und ihre wahre Geschichte dadurch ungleich einnehmender erzählen.

Belfast, Ende der 2010er Jahre: Obwohl die irische Sprache zunehmend seltener gesprochen wird, haben die Freunde Liam und Naoise sie einst von Naoises Vater Arlo (Michael Fassbender) erlernt. Der predigte ihnen das Irisch-Gälisch als Akt der Rebellion gegen die britischen Besatzer seiner Heimat, musste als Mitglied einer republikanisch-paramilitärischen Organisation vor Jahren jedoch untertauchen. Das Aufbegehren gegen das System haben die zwei nordirischen Jugendlichen sich trotzdem bewahrt.

Ein Lebensstil zwischen Drogen und Partys zwingt Liam unweigerlich in einen Konflikt mit der Polizei. Als er sich nach seiner Festnahme weigert, Englisch mit den Bullen zu reden, zitieren die Gesetzeshüter den nächstbesten Übersetzer herbei: Musiklehrer JJ. Als dieser in Liams Notizbuch voller Songtexte schaut, erkennt er das Talent des Jungen und eine unerwartete Zusammenarbeit beginnt. Das Rap-Trio Kneecap wird geboren, das die irische Sprache durch ihre Musik wieder zunehmend populär macht.

Laut, frech und rebellisch: Kneecap entwickelt einen fieberhaften Sog

Benannt nach der berüchtigten Foltermethode des "Kneecapping", dem Schießen ins Knie, gibt schon der Band-Name Kneecap die Marschrichtung der rebellischen Hip-Hopper vor. Wie ein unerlaubter Rausch aus Farben, Klängen und Bewegungen zieht der schnell geschnittene Film in seine Handlung hinein. Man muss nicht einmal all ihre grenzüberschreitenden Aktionen gutheißen, um den auf Krawall gebürsteten Männern willentlich in ihr Lebensabenteuer und ihren musikalischen Durchbruch zu folgen.

Während der nordirisch-englische Konflikt eine starke Rolle spielt, wartet Kneecap zwischen Waffen und Mikrophonen aber auch mit erstaunlich viel Humor auf. Statt schwerer Unterhaltung vibriert die Tragikomödie nur so vor aufgeputscht-euphorischen Schwingungen, die einen zuverlässig mitreißen und sich selbst nicht immer zu ernst nehmen.

Die unglaublichste Erkenntnis traf mich persönlich erst nach dem Filmgenuss: Das Musik-Trio spielt sich in Kneecap selbst – und das absolut fantastisch! Beim Schauen hätte ich es nie für möglich gehalten, hier keine "professionellen Schauspieler" vor mir zu haben. Dass ihre Aufstiegsgeschichte keine zehn Jahre zurückliegt, ermöglichte es Naoise Ó Cairealláin und Liam Óg Ó Hannaidh gerade noch als Jugendliche durchzugehen. Insbesondere JJ Ó Dochartaigh, der sich vom braven Lehrer zum über die Stränge schlagenden DJ wandelt, bringt dabei so viel Spaß und emotionale Wucht mit, dass es fast unmöglich scheint, dass er nie eine Schauspielschule betreten hat.

Kneecap: Der ideale Film, um aus den eigenen Filmvorlieben auszubrechen

Genau wie die rotzigen Rapper, die sich in kein System zwängen lassen wollen, bietet auch Kneecap als Kinobesuch die Chance, die eigenen Horizonte auszuloten. Interessiere ich mich sonst für Hip-Hop? Nicht wirklich. Spreche ich Irisch? Kein Wort. Habe ich das Filmerlebnis von Kneecap trotzdem genossen? Definitiv!

Anfangs geht es einem vielleicht ein bisschen wie DJ Próvai: Man möchte sich im dunklen Kinosaal verstecken, bevor die radikalen Ansichten der Band die eigenen Werte in Brand stecken. Deshalb verbirgt auch der gutbürgerliche Lehrer seine Identität bei den Auftritten hinter einer Sturmmaske.

Es ist allerdings eine handgestrickte Sturmmaske in den bunten Farben der irischen Flagge. Hinter der Radikalität schimmert also immer auch Liebe zur Herkunft und zum eigenen künstlerischen Handwerk durch und so umarmt Kneecap zugleich seine Widersprüche.

Warum sollte ich also nicht ebenfalls ein paar Menschen bei ihren Drogen-, Musik- und politischen Eskapaden bestaunen, deren Wege ich im echten Leben niemals kreuzen würde? Hier wartet eine bewusstseinserweiternde Erfahrung – ganz ohne bewusstseinserweiternde Substanzen, zum Preis eines Kinotickets.

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