Warum Dokumentarfilme mit Vorsicht zu genießen sind

18.11.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Michael Moore und Fahrenheit 9/11
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Michael Moore und Fahrenheit 9/11
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Dokumentarfilme werden gern als realistische Abbilder des Gezeigten angesehen und ihre Regisseure erheben den Anspruch der Authentizität. Doch dahinter steckt eine Gefahr, die oft außer Acht gelassen wird. Gibt es überhaupt eine reine Dokumentation?

Der Dokumentarfilm ist per Definition eine Ansammlung von einzelnen Einstellungen, die Momente aus dem Leben aufgreifen und diese wahrheitsgetreu und authentisch wiedergeben. Die einzigen Filme, die diesem Anspruch zu einhundert Prozent entsprechen können, sind die ersten bewegten Bilder der Gebrüder Auguste Lumière und Louis Lumière. Sie postierten an diversen Orten ihre Kamera und nahmen alles auf, was sich vor ihrer Linse abspielte. Das war dann nicht mehr als ein einfahrender Zug (Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat), ein anlegendes Boot oder Arbeiter verlassen die Lumière-Werke. Letzterer gilt wohl als das berühmteste Beispiel, doch auch die Anekdote um den einfahrenden Zug, bei welchem die Kinozuschauer mangels Erfahrung hinter ihren Sesseln in Deckung gingen, ist weithin bekannt.

Die Liste der Dokumentarfilme geht gegen unendlich. So ist ein alles umfassender Blick auf diese Filmgattung unmöglich. Im Sinne der Frage nach der Möglichkeit der reinen Dokumentation und nach dem Grund des Erfolgs von populären Beispielen, wie die Beiträge von Michael Moore oder neuerdings von The Act of Killing, soll das Thema umrissen werden. Große Erkenntnisse werden hier nicht entstehen. Es geht viel mehr um eine Sensibilisierung im Umgang mit Dokus. The Act of Killing ist preisgekrönt und erreicht bei IMDb einen Durchschnittswert von 8,0, auf RottenTomatoes sogar 8,8. Doch der Schein kann trügen. Fernab der beachtenswerten Idee bleibt die Frage, wer das grausame Thema huldigt und wer den Film per se. Dieser Film ist keine reine Dokumentation. Gleichwohl ist das kaum ein Film.

Gibt es einen reinen Dokumentarfilm?
Die direkte Antwort auf die Frage soll nicht den restlichen Text unnötig machen, sondern für weitere Erläuterungen ausschlaggebend sein. Nein, es gibt keinen reinen Dokumentarfilm. Wie oben bereits beschrieben, erhebt der Dokumentarfilm den Anspruch der Authentizität. Doch die wirklichkeitsgetreue Darstellung wird durch die Anwesenheit von Kamera und Regisseur, dessen Regie-Anweisungen und dem jeweiligen Blickwinkel der Kamera aufgehoben, denn sie beeinflussen das Geschehen. Der Grad der Manipulation variiert zwar von Film zu Film, ist aber auch gar nicht das entscheidende Merkmal bei der Dokumentation. Was zählt, ist die Transparenz. Und das bedeutet nicht einfach die bloße Zurschaustellung der zu filmenden Umstände, sondern auch die Schaffung eines Deutungsraumes für den Zuschauer. Dies bedeutet, dass der Regisseur die Beeinflussung durch sämtliche Faktoren, die den Dreh umschreiben, transparent machen sollte, um den Zuschauer mit der Möglichkeit auszustatten, die Authentizität selbst beurteilen zu können. Was zählt ist demnach neben der Sachlichkeit auch deren Charakterisierung.

Vorreiter der Filmgattung Dokumentarfilm, welcher diese als solche klassifizierte, war der sowjetische Filmemacher Dziga Vertov. Dieser lehnte inszenierte Fiktion, bei der Schauspieler zum Einsatz kommen, kategorisch ab. Es wäre seiner Meinung nach die bürgerliche Unterhaltungskunst, die das Potenzial des neuen Mediums nicht ausschöpft. Das Revolutionäre am Film war vielmehr die Möglichkeit, die Welt sowohl in ihrer Gesamtheit, als auch in ihren einzelnen Strukturen objektiv abbilden zu können. Der Regisseur, welcher mit Der Mann mit der Kamera wohl sein bekanntestes Werk drehte, sprach sich vor allem für die Montage als einzig wahre Technik zur Wirklichkeitsbeschreibung aus. Sein Kollege Sergei M. Eisenstein (Panzerkreuzer Potemkin) sah dies anders, ginge es bei einem guten Film doch um die Wahrheit, nicht die Wirklichkeit.

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