30 Dinge, die Filmfreunde zu Neurotikern machen

18.05.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Gesichtsausdruck beim Daily-Soap-Effekt (Abbildung ähnlich)
20th Century Fox
Gesichtsausdruck beim Daily-Soap-Effekt (Abbildung ähnlich)
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Schon mal einen Film abgebrochen, weil Bildformat oder Untertitelschriftart nicht stimmten? Dann könnten die folgenden 30 Störfaktoren vertraut erscheinen. Sie markieren die Schwelle, an der ein Pedant zum Neurotiker wird. V findet: Aus guten Gründen.

M bekommt Besuch von seinem Cinefreund V. Sie trinken und tratschen, nebenbei läuft der Fernseher. M hat sich eines dieser flachen, schicken, teuren Geräte mit fünf nützlichen und fünfzig nutzlosen Funktionen (1) gekauft – einen Smart-TV, der unbedingt Blicke auf sich ziehen möchte (2). Bei V klappt das ausgezeichnet. Er schaut hin. Und unterbricht das Gespräch. Ob M schon einmal vom Daily-Soap-Effekt  (3) gehört habe, fragt V, der hinterher geschoben, aber behelfsmäßig erklärt, dass es sich dabei um das Ergebnis einer künstlichen Zwischenbildberechnung (4) handelt, die mit 24 Bildern pro Sekunde aufgezeichnete Filme vermeintlich flüssiger darstellt. M verneint die Frage und lächelt. Dieses liebevolle Grinsen bringt V an die gefährliche Schwelle zum Neurotiker – ein defensives Instrument, das Filmfreunde wie ihn sofort auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

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Tatsache aber ist auch, dass die Bilder dieses Fernsehers für V eine Ausgeburt der Hässlichkeit sind. Filmfreunde mit vernünftigem ästhetischem Empfinden, meint er, sollten alles daran setzen, die Bildeinstellungen entweder zu ändern oder den Fernseher dahin zurück zu bringen, wo er hergekommen ist. V beginnt innerlich zu verzweifeln. Ein Motionflow-Modus (5), der Kameraarbeit und Lichtsetzung zunichte machen und das auch noch als technischen Fortschritt verkaufen kann, stimmt ihn traurig. M und V wechseln das Thema und haben einen schönen Abend ohne Fernsehen. Der HD-Kult (6), denkt sich V dennoch heimlich, mag Menschen glauben lassen, Vertigo dürfe wie GZSZ aussehen. Doch das ist falsch. Und es wird für ihn auch nicht dadurch richtig, dass Peter Jacksons HFR-Hobbits  (7) im Kino versuchten, diese Hässlichkeit salonfähig zu machen.

Neuer Abend, alte Neurosen. V fährt übers Wochenende zur Familie, wo es fernsehmäßig erst einmal nichts zu beanstanden gibt. Die Röhre von anno dazumal wurde durch ein Gerät ersetzt, das zwar flach und modern ist, aber ohne "atmosphärische" LCD-Wandbestrahlung (8) auskommt. Beim nächtlichen Einschlaf-Zapping ereilt ihn aber doch noch ein Schock. In der augenscheinlichen Annahme, die Generation Flachbildschirm (9) könne nicht mit schwarzen Balken an den Rändern überfordert werden, strahlt der Disney Channel (10) Die Schlümpfe nur auf 16:9 gezoomt aus. Abgeschnittene Schlumpfköpfe und -Beine erinnern V an die Zeit von Pan & Scan  (11), als Filme heimkinogerecht um bis zu 50 Prozent an Bildinformationen erleichtert wurden. Er überprüft, ob dieser Fehler auf die automatische Formatanpassung (12) neuerer Fernsehgeräte zurückzuführen ist. Aber die Einstellungen sind korrekt.

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Der Disney Channel, muss V lernen, zeigt wahrhaftig jede Nacht lediglich einen Rumpf dessen, was einmal Die Schlümpfe waren, und nennt das in einer Pressemitteilung  auch noch euphemistisch "digital überarbeitete Version" (13). V hatte irrtümlicherweise geglaubt, diese dunkle Phase des Heimkinos sei überwunden. Tatsächlich aber wurde sie lediglich von einer anderen dunklen abgelöst: Statt das einst neue Breit- aufs alte Vollbild zu zoomen, wie es zum cinephilen Leidwesen in den 1980er und 1990er Jahren Usus war, muss das alte Voll- nun eben neuen Breitbildansprüchen (14) genügen. Schließlich wollen Menschen sehen, wofür sie bezahlt haben, und das ist nicht ein halbes, sondern ein ganzes Bild. V überlegt, zornige Twitter-Rants @Disney abzusetzen, findet das aber auf unangemessene Art nerdig. Er schläft stattdessen ein und träumt einen wunderbaren Traum in Academy Ratio .

Zu Hause angekommen, erfreut ihn sein Briefkasten mit der vom Zoll (15) ausnahmsweise nicht beanstandeten Blu-ray eines bösen importierten Films, die er sogleich in den Player legt. Leider währt das Vergnügen nicht lang. Anders als manch unabhängiges Label, das viel Liebe in die Veröffentlichung obskurer Filme steckt, wollte der millionenschwere Major-Verleih dieses Exemplars offenbar kein Geld für eine vernünftige Untertitelung ausgeben. Falsche Schriftart (16) und –Größe (17) sowie eine eklatante Differenz zwischen Gesprochenem und Geschriebenem (18) zwingen den O-Ton-Fetischisten V zur raschen Betätigung der Stopptaste. Immerhin: Von der digital noise reduction  (19) genannten Unart, Filme ihres natürlichen Filmkorns zu berauben und Menschen für ein angeblich geschmeidigeres Bild gegen Wachsfiguren zu ersetzen, blieb diese Blu-ray verschont.

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Das Telefon klingelt im richtigen Moment. "Hallo, M hier", als hätte er geahnt, dass V unbedingt ins reale Leben zurückgeholt werden muss. M findet tröstende Worte und empfiehlt seinem Freund, den betreffenden Film einfach auf Netflix (20) zu schauen. V lacht, weil er das für einen wirklich guten Witz hält. Er erinnert sich kurz an das Gespräch zweier in der U-Bahn sitzender Menschen, die meinten, man brauche keine Videotheken mehr, weil sich mittlerweile alles streamen lasse. Ein Hoch aufs Videothekensterben (22) und die beeindruckende Auswahl deutscher Video-on-Demand-Dienste (23)! Am Telefon testet M derweil, ob V noch Pedant oder doch schon Neurotiker ist. Er lenkt das Gespräch hintersinnig auf Feelgood-Kino (24), Superhelden (25) und den Trailer zu Monsieur Chocolat. V durchschaut das, nimmt seine abschließende Einladung zum Filmabend aber trotzdem an.

Die Auswahl überlässt V wieder einmal M. Er hält seine Selbstverpflichtung (26), offen für alles zu sein, für etwas Besonderes, über das M zu Recht Witze macht. Dass V oft einen abstrakten Druck (27) verspürt, selbst ausgewählte Filme vorzuführen, als wären es seine eigenen, käme andernfalls erschwerend hinzu. M weiß nicht nur von seinem Freund, sondern auch aus eigenen Erfahrungen mit Internetforen, dass Filmfreunde ständig ungefragt ihren Geschmack rechtfertigen wollen (28). Gemeinsam schauen sie einen Film in gedämpfter Lautstärke (29), weil Nachbarn durchs Zimmer bebenden DTS-Ton überraschenderweise nicht für etwas Sinnliches halten. Der Film heißt Cinemania und handelt von Menschen, die ihr Leben im Kino verbringen. Wenn das Neurotiker sind, denkt sich V, möchte er doch lieber Pedant bleiben. Und hält das für eine beruhigende cinemenschliche Lüge (30).

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