Ein besserer Mensch, vielleicht nur für einen Tag

14.01.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Am 21. September 1945 bin ich gestorben...Universum/moviepilot
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Zeitgleich mit Mein Nachbar Totoro produzierte Ghibli einen Film, der kaum anders als sein flauschiger Bruder hätte sein können. Die letzten Glühwürmchen ist ein verstörender, ergreifender, trauriger Film. Denn Glühwürmchen sterben immer zu früh.

Der Kommentar der Woche präsentiert euch jeden Samstag die Worte eines Community-Mitglieds, die euch zum Lachen oder zum Weinen gebracht haben, die ihr unter einem Film, einer Serie, irgendwo auf moviepilot entdeckt habt, und die euch wichtig erschienen. So wichtig, dass eine (oder mitunter sogar mehrere) von euch sie uns mit nur einer kleinen Nachricht vorgeschlagen hat.

Der Kommentar der Woche
Wir beginnen das Jahr mit einem Kommentar der Userwichtelaktion 2013, in dem jp@movies versucht, Die letzten Glühwürmchen zu verarbeiten, einen der verstörendsten, berührendsten, traurigsten, und damit vielleicht auch wichtigsten Filme, den Studio Ghibli jemals produziert hat.

Das habe ich nicht kommen sehen. Mit minimalem Vorwissen bin ich in den Film gestartet, Ghibli, traurig, Japan am Ende des zweiten Weltkriegs. Wie schlimm kann das schon werden? Dann haut einem der erste Satz in den Magen, und von diesem Schlag erholt man sich nicht wieder. Danach kommt es schlimmer, und es gibt vereinzelte Lichtblicke, die nur von kurzer Lebensdauer sind, genau wie die titelgebenden Glühwürmchen. Konkreter auf den Inhalt einzugehen verbietet sich, wenn er die ihm innewohnende Kraft für jene behalten soll, die ihn noch nicht gesehen haben.

Während ich ihn sah, musste ich mehrmals an Mein Nachbar Totoro denken, es drängen sich Parallelen auf, und nach dem Schauen habe ich nachgelesen, dass die Filme tatsächlich gleichzeitig entstanden sind, und es den einen nicht ohne den anderen gegeben hätte. Da hatte ich den nächsten Kloß im Hals. Wenn man diese beiden als Double-Feature denkt, als das sie anfangs gedacht waren, läuft es einem kalt den Rücken hinunter. Dass sich die Animatoren laut imdb zum Teil nicht mehr daran erinnern konnten, an welchem Film sie gearbeitet hatten, lässt einen erahnen, wie ähnlich die Bilder einander sind, wenn man sie aus ihrem Kontext loslöst. Das ist mehr als bemerkenswert. Es gibt tatsächlich austauschbare Szenen in den Filmen, von einem kleinen Mädchen, das herum tollt und spielt zum Beispiel. Nur wenige Szenen verweigern sich dieser Austauschbarkeit, die Mütter in den Krankenhäusern sind da noch das offensichtlichste Beispiel. Es ist diese minimale Verschiebung der - ich nenn es jetzt mal Ghibli-Perspektive, die das Paradies im einen Film zur Hölle des anderen werden lässt, in dem es keine Buskatzen gibt. Isao Takahata zerquetscht einem damit langsam das Herz. Wenn man dann erfährt, dass es auf wahren Begebenheiten beruht, die Akiyuki Nosaka in einem Buch zu verarbeiten versucht hat, dürfte es auch um den Letzten geschehen sein.

Nein, ich werde jetzt nicht von den Kindern schreiben, die in Kriegen am meisten leiden. In diesem Film leiden alle Menschen, und was uns mehr erschrecken sollte, als die Einzelschicksale, ist die gleiche Krankheit, die alle in dem Film befallen hat - der Krieg. Vielleicht mit Ausnahme von der kleinen Seita. Der Horror ist doch, dass der Krieg schleichend aus allen Menschen Monster macht, die stehlen, betrügen und lügen, und zunehmend nur noch an sich selbst und die ihnen am aller-allernächsten Stehenden denkt. Dazu müssen gar keine Brandbomben fallen, das Leben geht einfach immer weiter, und man guckt eben immer öfter zur Seite, und wenn das nicht mehr geht eben nach oben, in den Himmel. Oder man schließt die Augen und ersäuft in der Finsternis, die in einem selber wohnt. Dann macht man lieber weiter, egal was. Auch das ist menschlich. Nicht nur die Geschwister sind allein gelassen, auch der Arzt, der nur noch Diagnosen stellen, aber nicht helfen kann, oder der Polizist, der nicht weiter weiß, und die Verwandtschaft, die selbst ihre eigenen Mäuler nicht mehr zu stopfen weiß - kann man es ihnen übel nehmen, wenn man sich ein paar Sekunden in ihre Lage versetzt? Irgendwann turnt jeder von uns sich selber und den anderen etwas vor. Der Krieg saugt langsam die Lebensenergie und Wärme aus den Menschen, verbrennt sie nicht nur äußerlich, sondern auch im Inneren. Und was ist Krieg anderes, als Kapitalismus in Reinform? Vernichte deine Konkurrenz und friss die Konsumenten, die sich nichts mehr kaufen können, und baue auf ihrer Asche neue Konsumtempel.

Wenn die menschliche Wärme in einem erlischt, wofür leben wir dann noch? Nach diesem Film habe ich mein Kind und meine Frau einen Moment länger und fester an mich gedrückt, als noch gestern. Das ist schön, ja, und es zeigt, was ein Film bewirken kann, aber wichtiger als das ist die Erkenntnis, dass das allein nicht reicht; denn wenn uns nicht alle Menschen gleichermaßen wichtig sind, spendet eine Umarmung nur noch halb so viel Wärme. Ich glaube, was einen in diesem Film mit so traurig macht ist, dass es einem zurecht das Vertrauen in die Familie als Hort der Sicherheit raubt; nicht nur jene Keimzelle “Mutter, Vater, Kind”, sondern selbst die erweiterte Großfamilie taugt viel weniger, als ihr Ruf. Man kann sich nicht darauf verlassen, und ebenso wenig auf den Staat und seine Rationierung, während Väter an der Front und Mütter daheim sterben. Wenn die Eltern als Schutzfunktion ausfallen, was bleibt den Kindern dann? Die Pateneltern springen ein? Der Staat? Die Kirche? Die Wirtschaft? Blut mag dicker als Wasser sein, aber wenn es gerinnt, verklumpt es, und es bleibt einem das Herz stehen. Wem das Salz in den Tränen anderer nicht Grund genug ist, über den eigenen Schatten zu springen, was sagt das über uns aus? Wollen wir so leben?

“Die Würde des Menschen ist unantastbar. Man beachte den Konjunktiv.” (Matthias Deutschmann)

Das Grundgesetz steht nur auf dem Papier, und das ist geduldig. Was bleibt sind Lippenbekenntnisse, denen selten Taten folgen. Dabei macht Altruismus glücklich. Wenn wir es als Gemeinschaft nicht schaffen, nachhaltig füreinander da zu sein, haben wir versagt. Es ist an der Zeit unsere Gesellschaft auf ihre “Krisentauglichkeit” zu prüfen, jetzt, wo schon wieder eine Krise die nächste jagt, und angebliche Gegenmaßnahmen als alternativlos gelten, wird darauf gebaut das jeder sich selbst der Nächste ist. Wo “Jeder nur ein Kreuz!” hat, ist keine funktionierende Demokratie am Werk, sondern Monty Python im Leben des Brian. Es ist utopisch anzunehmen, dass wir Menschen als Ganzes umdenken, schließlich lebt es sich recht gut, wenn man Geld hat, das für einen arbeiten geht. Bis es nichts mehr gibt, was man damit kaufen kann. Dann können wir eben zunächst kleiner denken, europäischer vielleicht, oder sagen wir gleich gallischer, wie Asterix und Obelix in ihrem unbeugsamen Dorf. Lasst das Bild mal sacken.

Bevor ich DIE LETZEN GLÜHWÜRMCHEN gesehen habe, war ich ein schlechterer Mensch, und wenigstens für die nächsten Tage bin ich wieder offener, feinfühliger für die Bedürfnisse meiner Mitmenschen. Das reicht aber nicht. Wenn wir uns nicht beständig daran erinnern, dass die Natur keine Gerechtigkeit kennt, sondern nur wir selbst, dann nimmt sie ab. Gerechtigkeit drückt sich tagtäglich in unserem Handeln aus, anders käme sie überhaupt nicht in diese Welt. Sicher ist das anstrengend, aber was haben wir denn besseres zu tun? Uns für Ungerechtigkeit einsetzen? Wenn wir das begreifen, dann gibt es keinen Mangel mehr an äußeren “Feinden” geben, denen wir täglich entgegen treten könnten, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, entweder man will dass die Welt ein besserer Ort wird, oder man ist ein Arschloch* :)

* Das ist ein Remix von Volker Pisers (“Entweder man ist für Mindestlohn, oder man ist ein Arschloch!”)

Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.

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