Vielleicht ist Regisseur Dan Gilroy der Bertolt Brecht von Hollywood, zumindest sein Debütfilm Nightcrawler - Jede Nacht hat ihren Preis kann es mit Brechts Dramen – besonders mit der
„Heiligen Johanna der Schlachthöfe" – aufnehmen. Nach The Wolf of Wall Street, Margin Call und Killing Them Softly läuft nun erneut ein kapitalismuskritischer Film in den Kinos, der es in sich hat. Nightcrawler geht sogar noch einen erheblichen Schritt weiter und macht an einem prägnanten
Beispiel fest, wie der Kapitalismus funktioniert und warum er letztlich tödlich ist. So klar, bestechend
und furios inszeniert gab es das noch nie und man sollte sich davor hüten, das Werk als einen Film
über einen Psychopathen zu verstehen.
Auch ist dies keine beißende Mediensatire, wie viele Kritiker
meinten, sondern in erster Linie geht es Dan Gilroy darum, zu zeigen, wie Angebot und Nachfrage
unser ganzes Leben bestimmen. Jake Gyllenhaal, einer der besten Schauspieler seiner Generation, ist
ein Künstler der Verwandlung: Er spielt die amoralische Figur Lou mit einer eiskalten Abgründigkeit.
Doch wir haben es hier nicht mit einem psychologisch hergeleiteten Charakter zu tun, sondern
vielmehr mit der Personifikation des Systems, das wir Kapitalismus nennen. Lou hatte alle Gesetze
der Ökonomie aufrichtig studiert, BWL-Online-Kurse absolviert, Ratgeberliteratur konsultiert und sich
ganz und gar die Coaching- und Managmentsprache angeeignet, um nun – mit was auch immer – ein
erfolgreicher Unternehmer zu werden. Lou ist eine Mischung aus Norman Bates (der selbst kein
guter Geschäftsmann war und abgeschnitten von der Autobahn und damit vom Geldstrom ein Motel
betrieb) und dem Photographen aus Blow Up (der als kalte Persona schon genügend Amoral für
das Geschäft mitbrachte).
Von Alfred Hitchcock und Michelangelo Antonioni ausgehend, überführt Gilroy den
Voyeurismus-Diskurs in den Kapitalismus-Diskurs. Ein genialer Einfall und ein genialer Film! Mehr
dazu erfahrt ihr im Video.
Wolfgang M. Schmitt jun. analysiert in seinem Videoblog DIE FILMANALYSE mal ideologiekritisch, mal kulturwissenschaftlich und häufig polemisch populäre Filme der Gegenwart und der Vergangenheit.