Community

Tagebuch eines sklavischen Berlinalegängers

09.02.2015 - 01:14 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Léa Seydoux in "Tagebuch einer Kammerzofe"
Carole Béthuel
Léa Seydoux in "Tagebuch einer Kammerzofe"
6
13
Heute gab es "nur" 3 Filme für mich. Natürlich alle wieder grundverschieden und aus unterschiedlichen Ländern, Berlinale-Sektionen und Filmgenres. Dabei ragte die Kammerzofe heraus. Leider muss ich heute jedoch auch meinen ersten Verriss schreiben.

Nachdem ich gestern erst sehr spät mit dem Schreiben fertig wurde und mir aufgrund fehlender Konzentration das Schreiben etwas schwerer fiel und ich auch diverse Tippfehler einbaute (aus einer "weiblichen Hauptfigur" wurde beispielsweise eine "weibliche Hautfigur"), war ich sehr froh, heute nur drei Filme vor mir zu haben und keine Spätvorführung zu besuchen. So bin ich heute halbwegs fit und kann gleich munter loslegen. Wenn ich jedoch an den letzten Film denke, ist es mit dem munter nicht mehr weit her. Aber am besten der Reihe nach. Ich lege erstmal mit dem für mich stärksten Film des Tages los.

Meine "Frauenfestspiele" gehen weiter

In Tagebuch einer Kammerzofe (Journal d'une femme de chambre) steht erneut eine äußerst interessante Frauenfigur im Zentrum, die erneut völlig anders ist als alles bisher Gesehene. Benoît Jacquots Film ist bereits die dritte, mir bekannte Verfilmung des wunderbaren Romanes von Octave Mirbeau um das Schicksal der Kammerzofe Célestine. Der Regisseur des großartigen Filmes Villa Amalia tritt dabei in wirklich riesige Fußstapfen. Haben sich doch bereits Jean Renoir (1946) und Luis Buñuel (1964) mit dem Stoff beschäftigt. Aber Jacquot steht hier den beiden Meistern in nichts nach. Dies hätte ich eigentlich vorher nicht erwartet. Und noch viel mehr: Jacquot katapultiert gekonnt die Gesellschaftssatire und Kritik des Romanes an der Bourgeoisie in ein modernes Filmgewand, ohne es seiner Zeit zu entreißen. Er kann der Geschichte sogar neue Seiten abgewinnen. Zunächst hatte ich die Befürchtung, der Film erzählt die bekannte Geschichte einfach nach oder macht daraus einfach ein Sittengemälde oder gar einen Kostümfilm. Doch glücklicherweise legte sich diese Angst bei mir nach vielleicht 30 Minuten. Und je länger der Film ging, desto begeisterter wurde ich. Jacquot näherte sich dem Stoff auf ähnliche Weise wie zuvor der grandiose Buñuel. Am Ende fühlte ich mich jedoch fast eher in einen Claude-Chabrol-Film aus den 60er oder 70er Jahren versetzt. So bissig und bitterböse geht er mit dem Thema des Einflusses der oberflächlich betrachtet, schwächeren Bediensteten in einer (vielmehr sogar umgekehrten) Machtkonstellation um, dass ich vor Freunde und Begeisterung hätte jubeln wollen.

Der vielleicht einzige Punkt, in dem mir dieser Film hier im Vergleich zu Buñuels Werk unterlegen erscheint, liegt in der Hauptdarstellerin. Dies ist jedoch zugegebenermaßen etwas unfair von mir. Léa Seydoux setzt Célestine grandios um, was sich hauptsächlich mit ihrem selbstbewussten und sogar herablassenden Auftreten auszeichnet. Sie lässt dadurch den Film wirklich modern erscheinen, obwohl er vor über 100 Jahren spielt. Allerdings würde ich ihr trotz allem jederzeit die unbeschreibliche Jeanne Moreau vorziehen. Aber ich muss mir wohl eingestehen, dass Jeanne in dieser Neuverfilmung auch nicht besser hätte sein können.

Obwohl mir Villa Amalia von 2009 (mit Isabelle Huppert und Jean-Hugues Anglade in den Hauptrollen) so unglaublich gut gefallen hatte (9,5 Punkte sprechen wohl für sich), ist Tagebuch einer Kammerzofe erst der zweite Film von Benoît Jacquot, den ich gesehen habe. Daran muss sich wohl schnellstmöglich etwas ändern und ich sollte mir seine Filmographie mal etwas genauer anschauen.

Etwas überrascht hat mich, im Abspann die Namen der Dardenne-Brüder (Jean-Pierre und Luc) unter den Produzenten zu finden. Mich würde brennend interessieren, wie es zu dieser Zusammenarbeit mit dem belgischen Geschwisterpaar kam?

Mal etwas Entspannteres

Eigentlich hätte ich als nächstes gerne The Look of Silence von Joshua Oppenheimer gesehen, der vor zwei Jahren mit The Act of Killing sensationell einschlug und den Panorama-Publikumspreis für den besten Dokumentarfilm gewinnen konnte. Leider ist dies der bisher einzige Film bei dieser Berlinale, für den ich an keine Karte kam. So musste ein Alternativfilm her und meine Wahl fiel auf Fish Tail (Rabo de Peixe) aus Portugal.

Regisseur Joaquim Pinto dreht seit 1988 Dokumentarfilme. Seit 1996 arbeitet er mit Ko-Regisseur Nuno Leonel zusammen. Zwischen 1998 und 2002 begleiteten die beiden mehrere Fischer auf den Azoren mit ihrer Kamera. Ursprünglich sollten sie für eine Fernsehdokumentation Material sammeln, waren jedoch mit dem Umgang des Fernsehsenders damit vollkommen unzufrieden. Nun haben sie es erneut gesichtet, bearbeitet und zu einem dokumentarischen Essayfilm zusammengefügt. Die Stärken des Filmes liegen ganz sicher nicht in den Bildern. Diese sind manchmal verwackelt, oft unscharf und immer grobkörnig. Stören tut dies jedoch nicht. Der Film bearbeitet eine Reihe an Themen wie die Arbeitsbedingungen, die Gefahren, Angst vor der Zukunft und nicht zuletzt gesellschaftliche Veränderungen. Am wichtigsten ist es den Filmemachern allerdings, von ihrer Freundschaft zu den Fischern zu berichten. Fish Tail ist immer dann am stärksten, wenn er ein wundervoll herzliches Mitgefühl für einen Menschenschlag vermittelt, der nicht einmal in seiner Heimat wirklich wertgeschätzt wird. Das Fischereigeschäft hat für die kleinen Leute kaum Zukunft. Aufgrund einer gewissen Alternativlosigkeit klammern sie sich natürlich trotz aller hochtechnologischer Konkurrenz an ihren Lebensstil. Der Film hat zwischendurch sicherlich mal seine Längen oder Schwächen, aber es lassen sich auch sehr schöne Momente entdecken, beispielsweise wenn ein Fischer, der tatsächlich nicht schwimmen kann, dies erlernen möchte. Auch nach dem Film blieb es sehr interessant. Einer der Fischer, Pedro, war zusammen mit Joaquim Pinto auf der Bühne und konnte von seinem heutigen Leben berichten.

Es hätte so gut werden können, aber...

In meinen bisherigen 10 Berlinale-Filmen hat sich bis hierher noch kein Land gedoppelt. Ich sah Filme aus Spanien, Deutschland, Südkorea, Chile, USA, Türkei, Niederlande, Kanada, Frankreich und Portugal. Mit Ode to My Father (Gukje Shijang) von Youn Jk (der Vorname lautet eigentlich Je-kyun) sollte nun mein zweites koreanisches Werk an die Reihe kommen. Außerdem ist er mein erster Film im Panorama, der dritten großen Berlinale-Sektion. Hier werden hauptsächlich Filme etablierter Regisseure gezeigt, die auch durchaus hohe Budgets zur Verfügung haben. So auch hier.

Ode to My Father ist Hochglanzkino, das sich in erster Linie an das koreanische Mainstream-Publikum richtet. Man hat einen beliebten Regisseur und große Stars in den Hauptrollen, die hier auch tatsächlich gute Schauspielleistungen abliefern. Der Humor ist jedoch ganz sicher Geschmacksache. Wer auf emotionale Überhöhung (Achterbahnfahrt der Gefühle) und oberflächliche Unterhaltung mit einem Anstrich von Ernsthaftigkeit steht, soll sich das gerne anschauen. Zwischendurch begegnet die Hauptfigur auch berühmten, koreanischen Persönlichkeiten, wie dem Hyundai-Gründer Chung Ju-yung , einem beliebten Sänger oder einem erfolgreichen Ringer. Lange bevor diese wirklich erfolgreich oder berühmt waren. In Korea wird das Ganze bestimmt ein großer Erfolg sein. Mein Fall ist das nicht.

Was den Film aber wirklich zu einem Ärgernis für mich macht, ist etwas völlig anderes. Wenn man sich die Handlung grob anschaut, erwartet man eigentlich einen wirklich guten Film. So ging es mir zumindest. Die Geschichte eines Mannes vom Koreakrieg bis heute. Klingt doch wirklich super interessant, möchte man meinen. Youn erzählt von einem exemplarischen Einzelleben als Schablone für die koreanische Geschichte. Dazu wählte der Regisseur vier entscheidenden Ereignisse: den Koreakrieg, die staatlich veranlasste Ausreise von Arbeitskräften nach Deutschland (Bergarbeiter und Krankenschwestern), um Geld ins Land zu bekommen, den Einsatz im Vietnamkrieg sowie die hochemotionalen Familienzusammenführungen im Jahre 1983. Naja, okay. Ich will dem Film keinesfalls Geschichtsrevisionismus vorwerfen, schließlich zeigt er ja (soweit ich das einschätzen kann) auch nichts Falsches. Er lässt hingegen relevante Dinge einfach aus. Alles was man sieht, zielt darauf ab, hervorzuheben, dass es Korea heute hervorragend geht. Es fängt mit dem Koreakrieg an. Gezeigt wird hier die dramatische Evakuierung von Tausenden von armen Koreanern in Hungnam vor den Chinesen durch die Amerikaner. Die SS Meredith Victory  rettete hier tatsächlich um die 14.000 Flüchtlinge. Eine Beteiligung von nordkoreanischen Streitkräften in diesem Krieg findet hier aber merkwürdigerweise keinen Platz. Noch viel schlimmer ist jedoch das Ausblenden der Militärdiktatur, die 1961 die Macht in Südkorea ergriff. Im Grunde wurde erst 1981 das Kriegsrecht zurückgenommen. Ein wirtschaftlicher Aufschwung erfolgt erst danach. Aber ein solch wichtiges Kapitel südkoreanischer Geschichte wird einfach nicht erwähnt. Lieber zeigt man (die wirklich bewegenden) Familienzusammenführungen im Jahre 1983. Es ist doch alles so schön. Uns geht es so gut. Es lebe Korea! Ich fürchte, den Vorwurf einer allzu nationalistischen Denkweise, muss sich der Film gefallen lassen. Ich will jetzt an dieser Stelle keine politische Diskussion vom Zaun brechen, ob Nationalismus an sich etwas Schlechtes ist, aber es hat nach meinem Dafürhalten nichts in einem Film und schon gar nicht in kommerzieller Unterhaltung zu suchen.

Komme ich zum Abschluss lieber noch zu einem etwas schöneren Aspekt. Natürlich waren zum Film eine große Gruppe von Crewmitgliedern anwesend. Doch das Highlight war die weibliche Hauptdarstellerin Yunjin Kim, die ich seit dem hierzulande relativ unbekannten Film Heimliche Liebe aus dem Jahre 2002 wirklich sehr mag. Die in Seoul geborene, amerikanische Schauspielerin ist bei vielen jedoch für andere Filme (z.B. Shiri) und für ihre Beteiligung an der TV-Serie Lost bekannt und in Korea ein großer Star. Als sie den Saal betrat, brandete unter den koreanischen Gästen spontan Beifall auf.

Ich hoffe, dass ich morgen kein schlechtes Händchen mit meiner Filmauswahl haben werde. Ich freue mich beispielsweise auf meinen ersten Film in der Forumsretrospektive zum Japaner Kon Ichikawa sowie auf den neuesten Film von Marco Berger.

Tageszusammenfassung


Meine bisherigen Blogeinträge zur Berlinale:


Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News