Wir schauen Hannibal - Staffel 3, Folge 4

27.06.2015 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Aperitivo
NBC
Aperitivo
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Aperitivo ist einer der größten Überraschungen, die Hannibal uns bis jetzt beschert hat. Nicht nur, weil der titelgebende Kannibale gar keinen Auftritt hat, sondern auch, weil hier plötzlich geradliniges Storytelling betrieben wird.

Hannibal beeindruckt uns ja gerne mit ungewöhnlichen Entscheidungen, aber damit hat wohl niemand gerechnet: eine ganzr Episode ohne den titelgebenden Charakter. Mads Mikkelsen und Gillian Anderson haben mal eine Folge Pause gemacht, damit dieses narrative Kuddelmuddel endlich seine Linie finden kann und wir nach vier Folgen sogar langsam einige potentielle Storylines für den Rest der Staffel ausmachen können. Dementsprechend treffend trägt diese Episode auch den Titel Aperitivo und ist tatsächlich ideal, um sich so richtig auf das Kommende einzustimmen: Alle Figuren werden klar zugeordnet, es deuten sich Ziele und Wünsche an, Ambitionen und Ängst - diese Serie gab sich selten so klar wie in dieser Folge und das ist zur Abwechslung auch gut so.

Das Massaker am Ende der zweiten Staffel ist wohl das Beste, was passieren konnte, denn alle Beteiligten kommen als völlig neue, bessere Charaktere da raus. Das ist vor allem für Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas) von Vorteil, denn ihre Transformation machte sie vom langweiligen, lieblos ausgearbeiteten Side-Kick zwischen Hannibal und Will (Hugh Dancy) zu einem eiskalten Racheengel, der nicht nur eine sehr einnehmende Präsenz hat, sondern plötzlich höchst interessant ist und sogar am laufenden Band grandiose Zeilen bekommt ("I always enjoyed the word defenestration. Now I get to use it in casual conversation"). Ihre Veränderung wurzelt natürlich ganz einfach darin, dass die Geschehnisse im Haus sie auf ewig mental vernarbt und sie in die Rachsucht getrieben haben. "I don't need religion in order to believe in Old Testament revenge" lässt sie Mason Verger (Joe Anderson) wissen und ihr gesamtes Auftreten eliminiert jegliche Zweifel, die der Zuschauer an ihrer Aufrichtigkeit haben könnte. Ein empathieloser Blick, eine ungewohnt selbstsichere, sehr bestimmte Art zu sprechen ("Would you like me to call a nurse?") und das alles nach außen getragen durch Femme fatale-Look, wie er im Buche steht. Diese neue Alana Bloom lässt sich von niemandem mehr etwas sagen.

Jack (Laurence Fishburne) hat sicherlich keine derartige Wandlung durchmachen müssen, doch der selbe ist er definitiv nicht mehr. Allerdings muss er auch mit noch mehr persönlichen Problemen kämpfen, als nur mit der Heilung der physischen Wunden. Seine Ehefrau Bella (Gina Torres) hat den Kampf gegen den Krebs endgültig verloren, was für Jack natürlich dramatischer ist, als jede Wendung im Hannibal-Fall. Jack Crawford Privatleben wurde in Hannibal schon des öfteren angesprochen, doch erst in Aperitivo bekommt es so richtig Gewicht. Der Tod von Bella an sich, sowie ihre Beerdigung und Jacks Fantasie, auf seiner Hochzeit zu sein, der Entschluss, die Aussicht aus dem Fenster zu ändern, weil alles andere nicht richtig wäre - Jack wird viel Platz eingeräumt, was sich bezahlt macht. Seine Geschichte ist in dieser Episode berührender als je zuvor und vor allem macht sie ihn zu einem vollständigen Charakter. Trotz der vorangegangenen Versuche, seine Figur vielseitig zu etablieren, hatte ich erst mit den Ereignissen dieser Folge das Gefühl, eine Verbundenheit zu ihm zu haben. Da wartet noch sehr viel mehr auf uns: Es ist offensichtlich, dass Jack die Jagd auf Hannibal nicht aufgeben wird, doch er sieht sich dabei wie so viele Figuren in dieser Serie mit dem Problem der Vergebung konfrontiert. Will hat ihn hintergangen, doch Jack macht den Eindruck, als wäre er bereit, trotz alledem darauf aufzubauen. Will gibt ihm keine Gelegenheit dazu und verschwindet sofort doch wir wissen bereits, dass Jack ihn nicht in Ruhe lassen wird.

Hilfe dabei bekommt er vielleicht von dem doch gar nicht so toten Dr. Frederick Chilton (Raúl Esparza), der seine Zeit jetzt damit verbringt, Hannibals Opfer einzeln aufzusuchen, was vor allem in Kontakt mit Mason Verger zu einem ganz klassisch verstörenden führt - "I'll show you mine if you'll show me yours" fordert Mason in gewohnt psychopathischer Manier auf und Chilton geht widerstandslos darauf ein. Daraufhin folgt ein Striptease nach Hannibal-Art, beide Opfer von Dr. Lecter stellen ihre Narben zur Schau, fast schon, als wären sie Trophäen. Überhaupt wird in dieser Episode ein romantischer Schleier auf die Verknüpfungen all dieser Figuren gelegt, die allesamt das selbe Schicksal teilen und von Hannibal sowohl mental als auch körperlich übel zugerichtet wurden. Insofern ist Hannibals Präsenz bezeichnenderweise selten so stark zu spüren wie in dieser Folge, in der wir ihn faktisch gar nicht sehen. Das ist ein cleverer Kniff, den sich Bryan Fuller und seine Autoren hier überlegt haben, den es macht große Lust auf die restlichen zwei Drittel dieser Staffel, jetzt wo alle beteiligten Figurenparteien an ihre Position gebracht wurden und wir gespannt dabei zu sehen dürfen, was sich zwischen ihnen für eine Dynamik entwickelt.

Besonders spannend dürfte in dem Zusammenhang die Rolle von Mason Verger und seiner Schwester Margot (Katherine Isabelle) sein. Mason möchte ähnlich wie Alana offenbar Rache, jetzt wo er sich nach seiner Behandlung als eine Art religiöse Instanz sieht. Es ist eine sehr spaßige Herangehensweise an seinen neuen Charakter, sodass es auch gar nicht so schlimm ist, dass Michael Pitt hier durch Joe Anderson ersetzt wurde - zumindest nicht so schlimm, wie anfangs befürchtet. Margot befindet sich momentan noch in einer eher passiven Position an der Seite ihres Bruders, doch allzu lange wird sie ihre Abneigung ihm gegenüber nicht verstecken können. Da wartet womöglich eine Teamarbeit mit Alana auf uns, was ziemlich zu begrüßen wäre.

"The optimist thinks we live in the best world possible. The pessimist believes that this is true."

Notizen am Rande:

- Die meisten werden es schon wissen, aber hier nochmal offiziell: NBC wird Hannibal nach dieser Staffel nicht weiter ausstrahlen. Dennoch heißt es erst einmal Ruhe bewahren, denn die Chancen stehen nicht so schlecht, dass ein Streamingservice wie Amazon oder gar Netflix mit der vierten Staffel weiter machen.

- Bilde ich mir das ein, oder wird in dieser Serie voller homoerotischen Verhältnissen ein homoerotisches Verhältnis angedeutet? Ich könnte schwören, dass Alana und Margot miteinander geflirtet haben. Hoffen wir mal.

- Das Massaker war wirklich für alle das Beste. Wir haben jetzt nicht nur Alana als deutlich stärkere Figur, sondern den blutverschmierten Geist von Abigail, dessen Präsenz immer herzzereißend ist.

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