1941 - Das berühmteste Wort der Filmgeschichte

13.09.2011 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Der Klassiker schlechthin: Citizen Kane
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Der Klassiker schlechthin: Citizen Kane
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Schon zum zweiten Mal versetzen wir uns in der neuen Rubrik Markante Momente in längst vergangene Zeiten und widmen unsere Aufmerksamkeit dem Klassiker schlechthin: Citizen Kane.

Los Angeles, 1941: Wir befinden uns mitten in der Phase des Klassischen Hollywoods, in der Blütezeit des Studiosystems. MGM, Paramount und Fox hätscheln ihre Stammregisseure und Lieblingsstars, bauen Images auf, konstruieren aufwendige, doch leblose Kulissen, bannen Träume auf Filmstreifen, führen den Hays-Code ein und beginnen langsam, aber sicher, sich in ihren eingespielten Strukturen festzufahren. In diese Zeit gehört die Aufmerksamkeit einem Mann mit folgendem Standpunkt: „Das Kino ist noch sehr jung, und es wäre einfach lächerlich, wenn es einem nicht gelänge, ihm ein paar neue Seiten abzugewinnen.“

Orson Welles ließ diesen Ausspruch zu seiner Maxime werden, die er in einem Film ganz besonders durchsetzte. Dafür wurde er beileibe nicht sofort mit Lob und Anerkennung überschüttet. Ganz im Gegenteil – der Streifen floppte an den Kinokassen kläglich. Heute gilt er aber als der Meilenstein des Kinos schlechthin und belegt in Bestenlisten der renommierten Fachzeitschriften regelmäßig Platz Eins. Vor unglaublichen 70 Jahren feierte er seine Premiere und büßte im Laufe der Zeit kein einziges Quäntchen seines Wertes ein. Von welchem Film die Rede ist? Von Citizen Kane.

Von zerbrechenden Ehen, blutigen Händen und anderen Innovationen
Natürlich ist es nicht so, als hätte Orson Welles die Kunst des Filmemachens eigens erfunden. Viele Innovationen im technischen, stilistischen oder auch narrativen Bereich entstanden im Laufe der Jahre während der Arbeit vieler Regisseure. Tatsache ist aber, dass niemand vor Orson Welles es verstand, Neuerungen so konsequent zu konzipieren und durchzuziehen, dass am Ende ein Resultat stand, welches bahnbrechende Revolutionen mit zuschauerfreundlicher Unterhaltung verband. Beispiele gefällig?

Schon John Ford hatte in seinem 1939 erschienenen Film Höllenfahrt nach Santa Fé mit John Wayne extreme Auf- und Untersichten eingeführt. Orson Welles, mitten in seiner exzessiven Vorbereitungshölle steckend, schaute sich den Western während der Dreharbeiten zu Citizen Kane ganze vierzig Male an und perfektionierte das Verfahren. Der Zeitungsmagnat Kane wirkt, fast vom Boden aus gefilmt, geradezu mächtig gewaltig, während seine Geliebte, die mittelmäßig begabte Operndiva Susan Alexander aus der Vogelperspektive jämmerlich klein und elend erscheint.

Auch der Point-of-View-Shot ist in Citizen Kane ein stilprägendes Element. Bereits zehn Jahre vorher war Dr. Jekyll und Mr. Hyde von Rouben Mamoulian einer der ersten Filme, die nach diesem Prinzip arbeiteten.

Der Match Cut (bei uns Parallelmontage genannt) sorgt in Citizen Kane immer wieder für aufsehenerregende Überleitungen. Doch auch hier haben wir es nicht direkt mit einer Neuerung zu tun. Zehn Jahre vor Orson Welles verwendete Fritz Lang in M – Eine Stadt sucht einen Mörder den Match Cut, um eine Assoziation zwischen zwei verschiedenen Diskussionen herzustellen. Bei dem ungewöhnlichen Schnitt bleibt es in Citizen Kane jedoch nicht. Orson Welles stellt mithilfe vieler Rückblenden und Zeitsprüngen innerhalb einzelner Szenen die gesamte Chronologie der Dramaturgie auf den Kopf. So zeigt er beispielsweise den Verfall der ersten Ehe Charles Foster Kanes einzig und allein durch eine Einstellung des am Esstisch sitzenden Ehepaares.

Charakteristisch für Citizen Kane ist zudem die eindrucksvolle Staffelung des Raumes. Dieses Verfahren, auch als Blocking bezeichnet, kommt ursprünglich aus dem Theater und wird von Orson Welles benutzt, um deutlich die Figurenhierarchien in einzelnen Szenen zu zeigen. Überhaupt hat es vor ihm noch niemand geschafft, in der beengten Kadrage der Kamera das Gespräch zwischen drei Menschen in einem Haus und gleichzeitig das spielende Kind davor zu zeigen.

Im Allgemeinen bemüht sich Orson Welles in Citizen Kane um größtmögliche Authentizität, wirkt gleichzeitig aber nie bemüht. Er lässt das Leben des Charles Foster Kane in wochenschauartigen Rückblenden, unterfüttert von Handkamera-Aufnahmen und dokumentarischen Ausschnitten, Revue passieren; er lässt – für damalige Zeiten ebenfalls ungewöhnlich – die immer gleichen Schauspieler ihre alternden Rollen darstellen und legt deswegen viel Wert auf die Maske, er tariert erste Varianten des späteren method acting aus und schlägt sich die Hände in einer Randalierszene tatsächlich blutig.

Menschliches Drama und Legendenbildung
Und nun die Preisfrage: Wieso hat weder Dr. Jekyll und Mr. Hyde, noch Höllenfahrt nach Santa Fé, noch M – Eine Stadt sucht einen Mörder je den Status des besten Filmes in einer Ranking-Liste erhalten? Wieso Citizen Kane? Bei der Wirkung eines Films geht es viel um den ersten Eindruck, um Atmosphäre, um ein Gefühl. Wir werden also nie mit hundertprozentiger Sicherheit und Objektivität bestätigen können, dass Citizen Kane der beste Film aller Zeiten ist. In seiner Unwahrscheinlichkeit ist dieser Anspruch fast so unerfüllbar wie die Wahl eines persönlichen Lieblingsfilms. Citizen Kane steht jedoch tatsächlich hoch im Kurs. Nicht nur liefert er gute Unterhaltung sondern beeinflusste auch noch maßgeblich die Zukunft seines Mediums, jenseits von platten Remakes. Der Rechtsstreit mit dem Verleger William Randolph Hearst, der sich in dem Film wiedererkannte und fortwährend dagegen wetterte, garantierte noch den zusätzlichen Hauch menschlichen Dramas, der die Legendenbildung perfekt abrundete. Er brachte uns wertvolle Innovationen, Spannungsmomente, Emotionen, eindrucksvolle Bilder, allen möglichen technischen und stilistischen Schnickschnack und – nicht zu vergessen – das bekannteste Wort der Filmgeschichte.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1941 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
05.01.1941 – Hayao Miyazaki, Macher von Chihiros Reise ins Zauberland, Gründer von Ghibli
14.01.1941 – Faye Dunaway, Schauspielerin aus Bonnie und Clyde
22.03.1941 – Bruno Ganz, Hitler-Darsteller aus Der Untergang

Drei Filmleute, die gestorben sind
30.04. 1941 – Edwin S. Porter, Filmpionier mit Der große Eisenbahnraub
27.05. 1941 – Hans Karl Gottschalk, Kameramann in Triumph des Willens von Leni Riefenstahl
15.07. 1941 – Walter Ruttmann, Regisseur von Berlin: Die Sinfonie der Großstadt

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Coppa Mussolini – Ohm Krüger von Hans Steinhoff (Bester ausländischer Film)
Oscar – Rebecca von Alfred Hitchcock (Bester Film)

Drei Ereignisse der deutschen Filmwelt
07.03.1941 – Polnisches Exekutionskommando erschießt Schauspieler Igo Sym wegen Mitarbeit am antipolnischen Propagandafilm Heimkehr
31.10.1941 – Premiere des 1. deutschen Farbfilms: Frauen sind doch die besseren Diplomaten
16.12.1941 – Premiere von Quax, der Bruchpilot mit Heinz Rühmann

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
10.04.1941 – Uraufführung des Stückes Mutter Courage und ihre Kinder von Bertolt Brecht
12.05.1941 – Konrad Zuse stellt die Rechenmaschine Z3 vor
01.09.1941 – Das Tragen des „Judensterns“ wird in Deutschland für alle Juden verbindlich

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