92 Minuten pure Anspannung: Heldin verfilmt eines der wichtigsten Themen unserer Zeit so, dass man keine Sekunde wegschauen kann

17.02.2025 - 22:00 Uhr
Wie gut ist Heldin mit Leonie Benesch?
Tobis
Wie gut ist Heldin mit Leonie Benesch?
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Der Alltag einer Pflegefachkraft schaut sich wie ein nervenaufreibender Thriller im Drama Heldin mit Leonie Benesch. Warum das sehenswert ist, erklärt dieser Artikel.

Heldin ist knapp über 90 Minuten lang und Leonie Benesch taucht in so gut wie jeder Minute auf. Fast könnte man denken, die Schauspielerin aus Das Lehrerzimmer und Babylon Berlin sei mit der Kamera verschmolzen, so eng folgt der Film ihrer Figur Floria bei der Arbeit in einem Krankenhaus. Sie zeigt, wie sie Ampullen mit Schmerzmitteln köpft und es in Spritzen einsaugt; wie sie Häkchen auf ihrer Checkliste einträgt, während sie von einem ins nächste Patientenzimmer hastet; und wie sie sich die Hände desinfiziert, methodisch, mit den gleichen, über die Jahre perfektionierten Pumpbewegungen auf dem Spender.

Das alles wird in Heldin mit einer Aufmerksamkeit dokumentiert, als wäre Floria eine Zauberkünstlerin, die ihr Meisterstück vollführt. Nur tut sie das jeden Tag. Der Filmtitel deutet es nämlich schon an: Wir sollen die Heldin in Heldin ausnahmsweise mit solchen Augen sehen.

Heldin greift eines der wichtigsten Themen unserer Zeit auf

Heldin startet Ende des Monats in den deutschen Kinos und legte bei der 75. Berlinale einen Zwischenstopp ein. Das Thema Pflegenotstand bewegt auch diese Festivalausgabe. In der brasilianischen Zukunftsvision The Blue Trail werden Rentner zwecks Produktivitätssteigerung der Jugend in Lager gesteckt. Im Panorama-Film Zikaden von Ina Weisse hadert Nina Hoss mit der wachsenden Hilflosigkeit ihrer Filmeltern. Der ebenfalls im Panorama beheimatete Home Sweet Home könnte glatt als dänisches Gegenbild zu Heldin gesehen werden. Darin wird der Alltag einer Seniorenpflegerin gezeigt, die von ihrem Job beinahe aufgefressen wird.

Schaut euch den Trailer für Heldin an:

Heldin - Trailer (Deutsch) HD
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Der Handlungsspielraum von Heldin hebt den Film schon von den anderen ab: Erzählt wird "nur" eine Spätschicht in einem Schweizer Krankenhaus. Floria kommt zur Arbeit, arbeitet und fährt nach Hause. Das Privatleben bleibt in Andeutungen versteckt. Mit Enthusiasmus und neuen Sneakern taucht sie auf der Station auf, holt sich Updates zu allen Patient:innen, die sie in den folgenden Stunden besuchen muss. Los geht's.

Stück für Stück wird die Spannung angezogen

Heldin spielt sich nicht in Echtzeit ab, aber dank der komprimierten Erzählweise fühlt sich der Film schon bald so an. Die Story folgt im Wesentlichen den Patient:innen, die Floria bis zum Feierabend "abhaken" muss, wird aber wiederholt unterbrochen. Ein Patient muss von einem Stockwerk ins andere, sonst fällt er aus dem Zeitfenster für eine OP, ein anderer hat einen MRT-Termin, kann sich aber nicht vom Handy lösen. Wieder andere benötigen Schmerzmittel, Hilfe beim Essen oder schlicht zwei Minuten mit einem Menschen, der mehr in ihnen wahrnimmt als ihre Diagnose. Floria jongliert Medikamente, Thermometer, Spritzen und wechselt in Sekundenschnelle von der bewundernswerten Organisatorin zur einfühlsamen Trösterin.

Floria bewegt sich die meiste Zeit souverän durch das Wirrwarr an Aufgaben, doch mit wachsender Laufzeit nimmt der Druck zu. Die kleinen Probleme am Rande spitzen sich plötzlich zu ausgemachten Krisen zu. Stück für Stück entwickelt Heldin eine solche Anspannung, dass es an den Nerven zerrt. Dann kann man den schmalen Grat zwischen Florias Durchhaltevermögen und dem drohenden Zusammenbruch förmlich mit den Händen greifen.

Das Konzept des Films ist die halbe Miete sowohl für ein fesselndes Drama als auch, was die Sensibilisierung dafür angeht, wie Gesellschaften (ob in der Schweiz, Deutschland oder anderswo) die Arbeit von Pflegekräften wertschätzen. Für alles Weitere sorgt Leonie Benesch.

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Wenn Benesch auftritt, stehen die Chancen gut, dass ihre Figuren unter Strom stehen und diese Energie über die Leinwand oder den Fernseher hinweg auf die Zuschauenden übertragen wird. Das gelang ihr in ihrer tragischen Nebenrolle in Babylon Berlin, als idealistische Lehrerin in Das Lehrerzimmer und zuletzt als nervöse Übersetzerin im Tatsachen-Thriller September 5.

Verlangt das Drehbuch nach einer nervlichen Zerreißprobe, genügt ein Blick in ihre Augen, um ihr den innerlichen Kraftakt ihrer Heldin abzukaufen. Besser noch: Mit ihren großen, klaren Augen fordert sie fast automatisch die Empathie der Zuschauenden ein – noch bevor man es merkt, wird man hinabgezogen in den Gefühlsstrudel ihrer jeweiligen Figur. Wegschauen ist unmöglich. Wo Kolleg:innen auf Ticks oder sonstige exaltierte Gesten zurückgreifen würden, arbeitet Benesch fast selbst wie eine Leinwand innerhalb der Leinwand.

Wie ihr das gelingt, kann man in Heldin von Regisseurin Petra Volpe erneut bewundern, der sich in einigen Momenten zur extrem intensiven und immersiven Kinoerfahrung mausert. Bisweilen fühlt sich der Film sogar wie eine Dokumentation an, so hautnah und lebensecht bewegt er sich durch das Krankenhaus. Dieser Effekt wird leider gegen Ende von einigen Drehbuchentscheidungen vermindert, die dem Film, Floria und ihren Patient:innen eine allzu runde, saubere Geschichte verpassen.

Wenn jedoch die Arbeit für sich spricht – und das geschieht im Gros der Laufzeit – dann findet Heldin und vor allem Leonie Benesch zu einer Größe, die dem viel zu selten thematisierten Berufsstand gerecht wird.

Heldin wurde bei der Berlinale in der Sektion Berlinale Special Gala gezeigt. Der Film startet am 27. Februar 2025 in den deutschen Kinos.

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