Altered Carbon - Künstliche Unsterblichkeit in Zeiten des Cyberpunks

02.02.2018 - 09:45 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
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In Altered Carbon - Das Unsterblichkeitsprogramm ist der Mensch nicht länger an seinen Körper gebunden, sondern kann sich am Rausch des Lebens bis in alle Ewigkeit ergötzen.

Im vergangenen Jahr eroberten mit Ghost in the Shell und Blade Runner 2049 gleich zwei hochwertige Produktion die große Leinwand. Der Cyberpunk konnte an den Kinokassen jedoch nicht überzeugen. Weder Scarlett Johansson mit ihrer Star-Power noch der Doppelschlag von Harrison Ford und Ryan Gosling konnten die Menschen dazu bewegen, sich in die neondurchfluteten Zukunftsvisionen zu begeben, nicht einmal mittels Nostalgie und einem Kultfilm im Rücken. Netflix, jener Ort, an dem das vermeintlich aus dem Kino Vertriebene zu neuem Leben erwacht, will sich von den jüngsten Erfahrungen jedoch nicht einschüchtern lassen und trumpft 2018 gleich mit zwei vielversprechenden Produktionen auf, die sich dem Cyberpunk verschrieben haben. Auf der einen Seite wäre da Mute, der lang erwartete, neue Film von Duncan Jones, auf der anderen Seite die Science-Fiction-Serie Altered Carbon - Das Unsterblichkeitsprogramm.

Basierend auf der gleichnamigen Romanvorlage von Richard K. Morgan offenbart sich Altered Carbon dabei als aufregendes Unterfangen, das selbst im Angesicht der vergangenen Netflix-Produktionen noch ein Stück ehrgeiziger wirkt. Zwar sind hier keine visionären Kräfte beteiligte wie etwa bei der eigenwilligen Science-Fiction-Serie Sense8, die tragischerweise nach zwei Staffeln eingestellt wurde und nun mit einem abendfüllendem Finale endgültig ihren Abschluss findet. Serienschöpferin Laeta Kalogridis hat dennoch einiges vor. Nachdem sie sich als Drehbuchautorin im Abspann von Filmen wie Terminator: Genisys und dem kommenden Alita: Battle Angel verewigt hat, konnte sie unter anderem als Produzentin von Avatar - Aufbruch nach Pandora reichlich Erfahrungen mit filmischen Zukunftswelten sammeln. So dominieren in Altered Carbon vorerst gar nicht die Figuren, sondern ein ausgestellter Cyberpunk-Kosmos mit all seinen mal mehr, mal weniger vertrauten Bestandteilen.

Altered Carbon

Altered Carbon taucht ein - in die Unendlichkeit. Der Menschheit ist es gelungen, ihren eigenen Tod zu überwinden, da der Geist fortan nicht mehr auf seine sterbliche Hülle angewiesen ist. Stattdessen kann er - dank technischen Innovationen - in digitalisierter Form von einem Körper in den nächsten transferiert werden. Auf den sogenannten Stacks lagern all die Erinnerungen und Gefühle, ehe sie in einem Sleeve in die Wirbelsäule eingesetzt werden. Plötzlich spielen Herkunft und Geschlecht keine Rolle mehr: Im Körper einer alternden Witwe kann der junge Geist eines tragisch ums Leben gekommenen Kindes erwachen, während sich unser Held der Geschichte entgegen seiner asiatischen Abstammung mit den Augen von Joel Kinnaman zu erkennen gibt. Takeshi Kovacs ist sein Name. Ein Revolutionär, der vor langer Zeit versuchte, exakt jenes System zu verhindern, das ihn nun aus dem tiefen Winterschlaf holt und zu neuem Leben erweckt. Jahrhunderte sind vergangen seit Kovacs zum letzten Mal seine echten Augen geöffnet hat, bevor er von unzähligen Geschosse in seine Einzelteile zerlegt wurde.

Bevor er jedoch all die Fragen formulieren kann, die ihm durch den Kopf schwirren, bekommt er Einblick in die ewigen Häuserschluchten einer im Dunst des Regens erstickenden Stadt. Unten am Boden sammeln sich im grellen, künstlichen Licht die Massen, während oben über den Wolken die wenigen Glücklichen das echte Sonnenlicht genießen könnten und ein Stück des strahlend blauen Himmels im Paradies abbekommen, das ihnen mit der Aussicht auf ewiges Leben versprochen wurde. Die Wahrheit - und das betont Altered Carbon leider viel zu oft in plumpen Sequenzen - sieht für die meisten Menschen allerdings ganz anders aus: Sie suhlen sich im Unglück einer Welt, die Maß und Norm vergessen hat. Wo selbst das Leben nach Belieben (und Vermögen) verlängert werden kann, herrscht kein Gleichgewicht mehr.

Wenn Kovacs (mit pinkem Einhorn-Rucksack!) von einer Station zur nächsten stolpert und somit eigentlich tiefer in dieses triefend nasse Labyrinths des Elends eindringen sollte, entpuppt sich Altered Carbon als ideenlose Ausführung, die unbefriedigend ihren großen Vorbildern nacheifert, aber niemals hinter das Geheimnis kommt, wie all die verschlängelten Gassen dieser Dystopie zum Leben erweckt werden können. Trotz ambitioniertem Produktionsdesign ragen die Kulissen bloß verloren aus dem Hintergrund, während unmittelbar vor der Kamera jeder Gedanke ausformuliert wird, ohne die Tiefe von den eingangs erwähnten Werken zu erreichen. Gerade Ghost in the Shell verblüffte mit seiner meditativen Ruhe, in der sich die angesprochenen Themen rund um Körper und Geist über die endlos träumenden Bilder entfalten. Altered Carbon dagegen weiß wenig mit dieser versteckten, transzendenten Ebene anzufangen und muss stets die Bewegung provozieren, um in Gang zu bleiben.

Altred Carbon

Wenn die Entwicklung der Geschichte aber erst einmal Fortschritte macht, ist das unbeholfene Worldbuilding fast vergessen. Kovacs bekommt es mit einem kniffligen Fall zu tun, der ihn ins dreckige Unterbewusstsein dieser verdorbenen wie blutrünstigen Welt führt, wo sich all die düsteren Geheimnisse dieser verkommenen Gesellschaft verstecken. Auch Laurence Bancroft (James Purefoy), seines Zeichens ein Meth, der sich mittels Kopien seiner selbst seit einer gefühlten Ewigkeit am Leben hält und in erster Linie dafür verantwortlich ist, dass Kovacs aus der Gefriertruhe aufgetaut wurde, besitzt einige dieser Geheimnisse - vielleicht sogar mehr, als er sich selbst eingestehen will. Sein waghalsiger Plan gestaltet sich nämlich wie folgt: Kovacs soll den Mord an seiner eigenen Person aufklären. Dabei ist Bancroft allerdings nur bedingt geneigt, mit seinem privaten Ermittler zu kooperieren und Altered Carbon verbindet gekonnt die Gegebenheiten dieses faszinierenden Zukunftsentwurfs mit der unheimlichen Bedrohlichkeit eines Film noir.

In diesen Momenten schöpft Altered Carbon mit aller Kraft aus einem Fluss strömender Spannung und stellt eine mitreißende Verschwörung in Aussicht, die vor allem im Zusammenspiel mit all den existenzphilosophischen Gedankenspielen für Gänsehaut sorgt. An der Grenze des Grenzenlosen fehlt der Serie jedoch die Durchschlagkraft, um sich endgültig in das packende Epos zu verwandeln, das drohend wie verlockend am Horizont erscheint. Zu oft werden die großen Versprechen der Cyberpunk-Welt und ihrer brutalen Abgründe aber bloß bedingt eingelöst, wodurch ein gewisser Hunger entsteht, der nie vollends gestillt werden kann. Es verhält sich ein bisschen so wie mit den Körpern, die nach Verbrauch gewechselt werden, wie sich eine Schlange ihrer Haut entledigt. Altered Carbon rutscht ebenfalls von einer Episode in die nächste, was zunächst ganz geschmeidig und unterhaltsam vonstattengeht, allerdings kein Bewusstsein für das Hinterlassene besitzt.

Die 1. Staffel von Altered Carbon - Das Unsterblichkeitsprogramm ist seit dem 02.02.2018 komplett auf Netflix verfügbar. Als Grundlage für den Serien-Check dienten die ersten fünf Episoden.

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