Angelina Jolie macht sich rar, obwohl man das vielleicht nicht bemerkt. In den Nachrichten, oder besser "Nachrichten", ist die Oscar-Preisträgerin seit Jahren omnipräsent. Einer dieser Mega-Stars, die man in Leben und Überschriften für selbstverständlich hinnimmt. In gewisser Weise ist das ein Trugschluss.
Wie selten wir die Schauspielerin Angelina Jolie zu Gesicht bekommen, wird einem erst richtig gewahr, wenn ein neuer Film mit ihr erscheint. Seit den 2010ern hat sie es sich zur Angewohnheit gemacht, drei bis vier Jahre zwischen Projekten verstreichen zu lassen. Nun neigt sich eine dieser Pausen dem Ende – dank Maria Callas.
Realität und Halluzination verschwimmen in dem Film über Maria Callas
In Maria spielt Jolie die in New York geborene griechische Sopranistin und wohl berühmteste Operndiva überhaupt. Regisseur Pablo Larraín schließt damit nach Jackie und Spencer seine Trilogie über weibliche Ikonen in Lebenskrisen ab. Die drei Filmtitel geben das Programm vor: Was ist die Essenz der Persönlichkeiten hinter den berühmten "Marken" Kennedy oder Diana? Nach dem Motto: Wir kennen die Callas, aber wer war Maria? Das ist kein innovativer Ansatz, aber ein ganz und gar konventionelles Biopic hat Larraín nicht im Sinn.
Maria Callas (Jolie) verlebt die letzte Woche ihres Lebens in einem weitläufigen Pariser Apartment, gemeinsam mit ihrem treuen Butler Ferruccio (Pierfrancesco Favino), ihrem Hausmädchen Bruna (Alba Rohrwacher), einer Menge Pillen und Halluzinationen. Da kippen die Spaziergänge durch die Stadt der Liebe in Opernauftritte vergangener Tage um und Besuche in Restaurants wecken 30 Jahre alte Erinnerungen auf.
Die Stadt verwandelt sich sogar in eine Bühne für Madame Butterfly, mit Kostümen, Chor und allem drum und dran. Realität und Einbildung gehen in der Rückschau ihres Lebens ineinander über. Die Musik quillt aus jeder Ecke, obwohl Maria die Stimme ihrer großen Tage längst verloren hat.
Peaky Blinders-Schöpfer Steven Knight schneiderte Angelina Jolie ein ambitioniertes Biopic auf den Leib
Oder wie ein Doktor ihr einmal mitteilt: Ihre "Stimme sei jetzt im Himmel". Maria steckt voller Dialoge dieser Art, bei denen man nicht weiß, ob man mitschreiben oder zu einem Häufchen peinlicher Berührung zusammen schrumpeln soll.
Das Drehbuch von Peaky Blinders-Schöpfer und Spencer-Autor Steven Knight ahmt in mehreren Akten eine große Opern-Tragödie nach. Die Heldin besitzt das nötige Maß dafür, sucht sie mit ihren letzten Atemzügen doch nach sich selbst. Große Gesten sind daher ein Muss und der Drang danach wirkt hin und wieder ermüdend und bisweilen auch leer. Das haben alle drei Ikonen-Filme von Pablo Larraín an sich, allerdings in variierendem Maß.
Jackie überraschte mit einer grotesken Schauspielentgleisung Natalie Portmans, deren Annäherung an die Titelheldin am Chanel-Anzug abprallte. Die wesentlich fähigere Kristen Stewart bewahrte Spencer vor einem ähnlichen Schicksal. Dank ihrer Spontaneität und Präzision machte sie aus dem Klischee des Vögelchens im royalen Käfig einen greifbaren Menschen. In Maria wird das Zusammenspiel von Ikone und Schauspielerin weiter getrieben.
Mit den ersten Aufnahmen rückt der Film sich selbst in den Vordergrund. In schwarz-weißer Großaufnahme öffnet Angelina Jolie ihren Mund und die Stimme von Maria Callas schallt uns entgegen. Diese verschiedenen Ebenen muss man erstmal zusammenführen und gerade zu Beginn bereitet dies Mühe.
Andererseits gehört der Widerspruch zum musikalischen Grundprinzip von Maria. In Rückblenden zu Callas' großen Tagen wird vor allem das Original in die Abmischung gespielt, in der Filmgegenwart der älteren, vereinsamten und kranken Diva wird der Anteil von Angelina Jolies Stimme erhöht. So lautet zumindest die Erklärung des Regisseurs bei Vanity Fair .
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Einerseits verstärkt das den gekünstelten Eindruck des Films, denn eine der berühmtesten Opernstimmen überhaupt ist einer Schauspielerin noch schwerer abzukaufen als die eines Rockstars oder einer Popsängerin. Das haben anspruchsvolle Arien an sich.
Gleichzeitig verstärkt der zweigleisige Gesang den Kontrast zur realen Maria der Filmgegenwart. Je zerbrechlicher Maria klingt, desto echter erscheint Jolies musikalische Darbietung. So lässt sich die Maria hinter der "Callas" entdecken. Daran trägt vor allem die beeindruckende Angelina Jolie Anteil, die jede noch so gestelzte Dialogpassage über die Lippen bringt, als wäre sie ihr gerade in den Sinn gekommen.
Jolie muss sich nicht sichtbar verbiegen für die Rolle einer Diva, die ganz genau weiß, wie überlebensgroß sie von ihrem Gegenüber wahrgenommen wird. Diese natürliche Erhabenheit gelang ihr selbst in einem Film wie Wanted, wobei die Parallelen zwischen Timur Bekmambetov und Pablo Larraín an dieser Stelle enden.
Es ist nämlich gar nicht so leicht einen Star zu spielen, selbst wenn man Natalie Portman oder eben Angelina Jolie heißt. In Maria beweist Angelina Jolie ihre schauspielerische Größe also gleich mehrfach – nur wird der Film ihrer einfühlsamen Reise unter die Haut von Maria Callas nicht immer gerecht.
Maria läuft im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig. Der Film kommt am 6. Februar 2025 in die deutschen Kinos.