„Arthaus-Müll!“
„Style over Substance!“
„Pseudo-...!“ (Bitte selbst ergänzen)
Zugegeben, Erlebniskino erreicht nicht jeden. Manchmal hat man jedoch den Eindruck, wenn Ausdrücke wie oben fallen, der Film hätte dem Rezensenten mit Absicht etwas Böses antun wollen. Mann muss ja solche Filme nicht mögen, ihnen ihre Andersartigkeit allerdings zum Vorwurf zu machen ist äußerst kurios. Egal wie schlecht ich ihn finde, beschimpfe ich einen Disneyfilm ja auch nicht, dass er für die ganze Familie und nicht für mich persönlich gedacht ist.
Im Gegensatz zum konventionellen Erzählkino, bei dem salopp gesagt eine Geschichte in Bildern umgesetzt wurde, geht es im Erlebniskino um etwas anderes. Es geht beispielsweise darum, in eine andere Welt einzutauchen, mit mehreren Sinnen gleichzeitig den Film wahrzunehmen, seinen Verstand zu schärfen, auf seine Assoziationen zu hören, oder ganz banal gesagt, den Film auf sich wirken zu lassen. Sich auf ihn komplett einzulassen. Selbstverständlich sind dies Attribute die auch alle auf konventionelle Hollywoodfilme zutreffen können. Der Fokus ist jedoch eben ein anderer. Und auch wenn viele Gegner etwas anderes behaupten, gibt es natürlich eine Story, aber oft versteckt sich diese gut, dient nur dem Zweck einer Übermittlung von Botschaften oder Emotionen, oder wird durch unkonventionelle Stilmittel erzählt. Der Begriff „Erlebniskino“ ist allerdings auch recht schwammig, denn es passen extrem unterschiedliche Filme hinein. Im Prinzip ist dies ein Obergenre für alle nachfolgenden Kategorien. Der folgende Text stellt einen Versuch dar, Ordnung in das ganze zu bringen, und besser nachvollziehen zu können, warum einige Filme derart kontroverse Reaktionen auslösen. Vielleicht wollte ich aber auch einfach nur mal meine Lieblingsfilme in selbst bemalte Schubladen sortieren.
Der Hybrid-Film
Wir fangen mal ganz harmlos an. Wie der Name schon sagt, lässt sich ein solcher Film irgendwo zwischen Erlebnis- und Erzählkino einordnen, und bietet somit einen guten Einstieg in das “Genre”.
Tipp: “The Cell”
Der Mindfuck-Film
Ganz klar finden wir hier Filme vor, wo der Zuschauer stark
mitarbeiten muss, um irgendetwas zu kapieren. Nicht selten muss der Film öfter
gesehen werden, weil eventuell die Handlung derart verwirrend erzählt wird,
dass man ihr kaum folgen kann, oder einem wichtige Details entgehen.
Zeitreisefilme gehören meistens zu diesem Genre, da die Zeitreise jegliche
Logik von vornherein sprengt. Oft vermischt sich Wahn und Realität zu einem
unzertrennbaren Klumpen. Wer bei solchen Filmen an seiner eigenen Intelligenz zweifelt, kann sich damit trösten, dass auch die größten Fans diese Streifen nicht auf Anhieb verstehen, auch wenn sie meistens gerne etwas anderes behaupten.
Tipp: „12 Monkeys“
Der What-the-fuck?-Film
Beim What-the-fuck?-Film handelt es sich um die Steigerung vom Mindfuck-Film. Hat man beim Mindfuck wenigstens die Chance mit viel Aufmerksamkeit den Film zu knacken, ist beim WTF-Film jeglicher Versuch zum Scheitern verurteilt. Meistens erkennt man diese Filme daran, dass auf Moviepilot diese selten etwas außer 10 oder 0 Punkten bekommen. Die Kommentare variieren zwischen „der größte Scheiß den ich je gesehen habe“ bis hin zu „der geilste Scheiß den ich je gesehen habe“. Immerhin sind sich die Beteiligten in einer Sache einig.
Tipp: „Montana Sacra - Der heilige Berg“
Der Boah-wat-ne-Optik-Film
Wie der Name schon sagt, geht es hier primär um die visuelle
Wahrnehmung. Oft handelt es sich dabei um Filme, die bei Leuten mit Affinität
zu gewissen Substanzen hoch im Kurs stehen. Oder bei Leuten die gewissen
Substanzen mit Skepsis gegenüber stehen, aber auf ihren Kick nicht verzichten
wollen. Andere geben sich dagegen mit einem Kasten Bier zufrieden.
Tipp: „Enter the Void“
Der sinnliche Film
Hier wird mehr als in anderen Filmen darauf geachtet, dass
alle Sinne angeregt werden. Meist geschieht dies durch leitmotivartige Musik,
die stark mit den videoclipartigen Bildern in Symbiose arbeitet. Aber auch mit
Geräuschen und Farben. Ja manchmal sogar mit Gerüchen. Letzteres kann man sich
bei einem guten sinnlichen Film zumindest einreden. Die Stimmung des Films wird
durch all dies verstärkt, und die Story wird stärker „erlebt“. Wer diese Beschreibung als "spirituelles Geschwafel" empfindet, darf dies gerne tun, sollte dann aber den sinnlichen Film lieber meiden.
Tipp: „Fallen Angels“
Zeitlupenfilme
Hier musste ich eine weitere Unterteilung vornehmen, da die Geschwindigkeiten solcher Filme sehr unterschiedlich sein können. Ja, auch Langsamkeit hat verschiedene Abstufungen. Wir beginnen dabei mit der „schnellsten“ Kategorie und Enden bei Filmen die ein ähnliches Bewegungsmoment wie Kontinentalverschiebungen haben. Dazu gibt es jeweils zwei fiktive Kommentare, die zunächst aus der Perspektive von Speed-Junkies zu verstehen sind, gefolgt von der Perspektive von entspannteren Zeitgenossen.
a) Der chillige Film
Der chillige Film ist eigentlich noch recht konventionell. Er verzichtet lediglich auf 37 Schnitte pro Minute, auf ewiges Rumgeballer, Explosionen und wild umherwirbelnden Kameras. Es wird verstärkt Wert auf Gespräche gelegt, Einstellungen können durchaus etwas länger dauern, und werden durch Musik atmosphärisch untermalt. Das Set bekommt mehr Bedeutung, als einfach bloßes Beiwerk zu sein. Landschaften oder Häuserfassaden geraten in den Mittelpunkt, und es gibt immer wieder Momente im Film, wo man sich zurücklehnen kann, und über das Erlebte nachdenken kann.
Der Speed-Freak:
„Boah, da passiert doch nix! Muss ich wirklich einem Mann fast zwei ganze Stunden (!!!) dabei zusehen, wie dieser mit irgendwelchen Leuten unsinniges Zeug labert? Ich kann diese Kunstfilme nicht ausstehen!“
Der Entspannte:
„Boah, was da in gerade mal knappen zwei Stunden alles für subtile Subkontexte mitschwingen, wie die Streichholzschachteln immer eine andere Farbe haben, wie die Musik einen mitnimmt, was es für unzählige Nuancen zu entdecken gibt! Das ist Kino! Leider habe ich mich etwa ab der Hälfte in meinen eigenen Gedanken verloren, daher weiß ich nicht genau, worauf das ganze hinaus wollte, und muss den unbedingt nochmal sehen.“
Tipp: „The Limits of Control“
b) Der viskose Film
Hier wird der Zuschauer schon eher auf die Probe gestellt. Finden sich beim chilligen Film wenigstens hin und wieder Momente vor, bei denen man dann doch das Gefühl hat einen aufwühlenden Action-Streifen zu sehen, ist der viskose Film Konsequenter. Ein Schnitt darf frühestens nach 37 Sekunden kommen. Die Handlung passt komplett auf den Klappentext der DVD. Eine auf den Boden fallende Stehlampe kann hier schon mal als Höhepunkt empfunden werden.
Der Speed-Freak:
“Habe nach 30 Minuten ausgemacht. Wenn ich sehen will, wie die Bäume rascheln, kann ich auch in den Wald gehen!“
Der Entspannte:
„Es hat höchstens 30 Minuten gedauert, und ich dachte ich bin im Wald.“
Tipp: „Once Upon a Time in Anatolia“
c) Der Stillstand-Film
Jetzt wirds Hardcore. Kennt jemand Sunn o)))? Stellt Euch diese Band mal als Film vor. Ein paradoxer Vergleich wenn man bedenkt, dass solche Filme sich selten Musik bedienen, da diese den Zuschauer zu sehr beeinflussen könnte etwas Bestimmtes zu fühlen, anstatt den leeren Raum von alleine zu füllen. Falls jemand im Film zufällig ein Instrument spielt, ist das etwas anderes. Dies gilt dann nämlich als Geräusch. Und Geräusche sind im Stillstand-Film wichtig! Egal ob es sich dabei um ein Akkordeon, Fußschritte auf Kies oder um blökende Kühe handelt. Um sicher zu sein, dass der Zuschauer auch sonst nicht zu viele Impulse bekommt, wird der Film auch noch sämtlicher Farben beraubt. Die Handlung ist meistens bereits im Titel komplett zusammengefasst. Der ganze Film darf dabei nicht mehr als 37 Schnitte haben. Egal wie lang er ist. Und Länge wird hier in einem unkonventionellen Maßstab gemessen..
Der Speed-Freak:
“-“ (guckt sowas erst gar nicht)
Der Entspannte:
“-“ (ist nach 7 Stunden derart gerädert, dass selbst er mal seine Klappe hält)
Tipp für die ganz Harten: „Satanstango“
Der Antifilm
So ein wenig wie Zwölftonmusik. Die Dekonstruktion jeglicher filmischer Konventionen ist sicherlich eine interessante Sache. Wenn aber rein gar nichts mehr übrig bleibt, woran man sich festhalten kann, kommt sowas wie „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ raus.
Tipp: Sich ein starkes Nervenkostüm anlegen.
Der verstörende Film
Im Prinzip sind dies Filme für masochistisch veranlagte Menschen, die ähnlich Horror-Film Liebhabern es mögen, wenn sie nach dem Film tagelang völlig durch den Wind sind. Ich hatte da auch meine Phase...
Tipp: „Ken Park“
Der verstörende What-the-fuck?-Film
Ja, irgendwie musste ich David Lynch hier halt reinbekommen...