Die beste Fantasy-Serie des Jahres ist nach 2 Staffeln noch immer viel zu unbekannt: Lasst uns das ändern!

09.07.2024 - 15:45 UhrVor 9 Monaten aktualisiert
Interview with the Vampire
AMC
Interview with the Vampire
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Es ist die reinste Schande: Die 2. Staffel der besten Fantasy-Horror-Serie der letzten Jahre ist gerade über die Bühne gegangen – und viel zu wenige von euch haben sie auf dem Schirm.

Kennt ihr das, wenn man sich so richtig einsam mit einer absolut korrekten Meinung fühlt? So geht es mir aktuell, denn während die meisten Serienfans im House of the Dragon-Fieber sind, versuche ich die frohe Kunde einer noch viel besseren blutigen Fantasy-Serie zu verbreiten.

Die Rede ist von der Neuverfilmung des literarischen Horror-Klassikers Interview with the Vampire von Goth-Göttin Anne Rice. Ein Muss nicht nur für Fans schauriger Unterhaltung und Genre-Gays, sondern sämtliche Serienjunkies des guten Geschmacks.

Seit zwei unglaublichen Staffeln liefern Showrunner Rolin Jones und sein Team eine Meisterklasse im anspruchsvollen Adaptieren ab, die sich vor gefeierten Adaptionen wie The Last of Us oder Prestigedramen wie Succession keineswegs verstecken muss. Vor allem Fans der Serie Hannibal, die mit den Murder-Husband-Machenschaften von Dr. Lecter und Will Graham begeisterte, dürfen die blutrünstigen Melodramen der Blutsauger nicht verschlafen.

Interview with the Vampire: Die perfekte Fantasy-Adaption, die sich nicht (und irgendwie doch) an die Vorlage hält

Während die gelungene Filmversion Interview mit einem Vampir von 1994 mit Drehbuch von Rice selbst sehr nah an ihrer Romanvorlage blieb, nimmt sich die neue Serienumsetzung einige Freiheiten. Genau, wie eine selbstbewusste Adaption es im besten Fall tun sollte. Allerdings nicht, um auf Teufel komm raus anders oder progressiver zu sein, sondern weil der US-Sender AMC die Rechte an allen Romanen aus der umfassenden Chronik der Vampire erworben hatte und man mit gesamtwerklicher Voraussicht arbeitet.

Wie in jeder Version wird der Vampir Louis de Pointe de Lac interviewt – diesmal in Gestalt von Game of Thrones-Star Jacob Anderson. Dabei kommt der erste Geniestreich der Serie ins Spiel: Wir befinden uns in der Gegenwart und der Unsterbliche lädt den mittlerweile in die Jahre gekommenen Reporter Daniel Molloy (Eric Bogosian) zu einem zweiten Gesprächsversuch nach Dubai ein. Das erste (kanonische) Interview im San Francisco der 1970er ging für alle Beteiligten nicht gut aus.

Louis berichtet, wie er als Bordellbetreiber im New Orleans des Jahres 1910 die Bekanntschaft des charmanten Franzosen Lestat de Liouncourt machte. Dass dieser ihn als Gefährten wollte, und Louis seinem dunklen Ruf kaum widerstehen kann, ist allein dank des Casts äußerst glaubwürdig: Anderson beweist mit beeindruckender Bandbreite, wie verschenkt er als monotoner Grauwurm in GoT war, und Sam Reid als Lestat ist nichts Geringeres als eine schauspielerische Offenbarung, die dem überlebensgroßen Lieblingscharakter von Anne Rice mehr als gerecht wird.

Dass die gleichgeschlechtliche Beziehung zwischen dem interviewten Vampir und seinem monströsen Macher im ersten Roman (und Film) im Subtext begraben wurde, liegt in Retrospektive am ersten Erzähler. Schaut man sich die späteren Romane der Reihe an, in denen vor allem sein flamboyanter Macher federführend ist, wurde Rice darin genauso explizit wie die Serie es heute ist.

Der Vampir als Metapher für Außenseitertum und Anderssein

Die queere Metapher liegt auf der Hand: Lestat bietet Louis die "dunkle Gabe" an, von der er sich mit nur wenig Gegenwehr verführen lässt, versucht aber weiterhin als normaler Mensch durchzugehen und sträubt sich gegen seine mörderische Natur. Sein Macher auf der anderen Seite steht zu seinem Wesen, empfindet sogar so etwas wie Vampirstolz und fühlt sich gekränkt, dass Louis diesen Kernaspekt von ihm ablehnt. Der "gute Homo", der weder auffallen noch anecken will in der Mehrheitsgesellschaft vs. der Pride-Flagge schwingende Schwule, der mit sich selbst im Reinen ist?

Anne Rice bezeichnete ihre homoerotischen Vampire stets als "perfekte Metapher für Außenseiter:innen". Im Fall der Serie kommt durch die Änderung von Louis' Ethnizität noch eine weitere Ebene des "Otherings" hinzu. Als Schwarzer Mann in den Vereinigten Staaten der Jim-Crow-Gesetze erfährt er automatisch Marginalisierung, die sich durch seine Queerness quasi multipliziert – genau das meinen akademische Aktivist:innen, wenn sie von Intersektionalität sprechen.

Seine Vampirnatur macht Lous aber nicht nur zum ultimativen Außenseiter, sondern ist gleichzeitig eine Chance der Ermächtigung. Schließlich kommt mit dem Durst nach Blut die ein oder andere übernatürliche Fähigkeit hinzu. Dass dieses Empowerment durch einen weißen Vampir-Daddy vonstatten geht, kann man natürlich als problematisch lesen, was dem schnippischen Reporter Molloy keineswegs entgeht. In Momenten wie diesen fühlt man sich in Interview with the Vampire unheimlich gut aufgehoben, denn offenbar wissen die Verantwortlichen um die komplizierten Implikationen ihrer vielschichtigen Erzählung.

Gleichzeitig wird nie vergessen, dass dies eine blutrünstige Horror-Geschichte über Monster ist, die uns die schlimmsten Aspekte unseres menschlichen Daseins und die toxischsten Beziehungskonstellationen mit Blutsoße auftischt. Bad gays doing bad shit. Aber genau das macht Interview with the Vampire so emotional aufrichtig, manchmal grenzwertig, sehr oft herzzerschmetternd und so gottverdammt juicy, dass man sich dran laben möchte wie eine Fruchtfledermaus an einem Obstkorb.

The Odyssey of Recollection: Erinnerungen als Monster

Die ersten beiden Staffeln von Interview with the Vampire decken das erste Buch der Vampirchroniken mit eben diesem Titel ab. Louis und Lestat erschaffen im Laufe der Handlung ihre gemeinsame Vampirtochter Claudia (erst die sehr gute Bailey Bass, dann die noch bessere Delainey Hayles), die sich und ihren Daddy Lou irgendwann aus den Fängen von Uncle Les befreien möchte.

Es dauert aber nicht lange, bis dem erfahrenen Journalisten Daniel einige Ungereimtheiten auffallen. Nicht nur, was Plot Holes in Louis Biografie betrifft, sondern weil sich das heutige Interview ganz anders anhört als das Gespräch in den 70ern. Wie verlässlich Louis als Erzähler ist und wie subjektiv seine Erzählung eingefärbt ist, bleibt eine konstante Frage, die unbequem über dem journalistischen Unterfangen schwebt. Mit hinzukommenden Perspektiven wird die Serie zuweilen zu Rashomon mit Blutsaugern.

Als wäre das nicht verworren genug, wird kurz vor dem 2. Akt eine weitere Hauptfigur enthüllt, die Fans der Romanreihe für jede Menge DRAMA und telepathische Manipulationsfähigkeiten kennen. Das Motto der 2. Staffel lautet aber nicht nur deshalb "Memory is the monster". Es geht auch um die Bewältigung der eigenen Vergangenheit und die Geschichten, die wir uns selbst über uns selbst erzählen, um durch den Tag beziehungsweise die Nacht zu kommen. "Sind wir die Summe unserer schlimmsten Erinnerungen?"

Wegen all dieser Qualitäten schaffte es die 2. Staffel von Interview with the Vampire jüngst in unsere Liste mit den 20 besten Serien der ersten 2024-Hälfte, die auch im dazugehörigen Streamgestöber-Podcast besprochen wurden. Da sind wir aber nicht die einzigen: Bei Metacritic  haben die Blutsauger einen Score von 82, bei Rotten Tomatoes  sogar saftige 98 Prozent.

Hier noch der Comic-Con-Trailer zur Serie:

Interview With the Vampire - S01 Comic-Con Trailer (English) HD
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Wo kann man die Serie Interview mit einem Vampir streamen?

Ich könnte noch aberwitzig viele Absätze darauf verwenden, meinen schriftförmlichen Sabber über die opulente Ausstattung, die zum Schreien schönen Kostüme, New Orleans, Dubai und Paris als atemberaubende Settings, die großartig-garstigen Gore-Effekte und vor allem die unbezahlbare Chemie zwischen Louis-Darsteller Jacob Anderson und seinem Co-Star Sam Reid (aka Jam Reiderson) zu verteilen. Stattdessen empfehle ich euch, selbst einmal in die Serie hineinzuschauen, um sprichwörtlich Blut zu lecken.

Das mit 2 Staffeln und 15 Episoden vorliegende Ergebnis spricht für sich und ist hierzulande bei MagentaTV beheimatet. Und das beste: Kurz vor dem 2. Staffelfinale wurde letzte Woche bestätigt, dass es eine 3. Season geben wird, die sich die Fortsetzungsromane Der Fürst der Finsternis und Die Königin der Verdammten vorknöpfen wird. Wir Fans müssen also nicht auf Rockstar-Lestat oder OG-Vampirin Akasha verzichten.

Bis dahin wird die Serie (in den USA zumindest) zusätzlich auf Netflix veröffentlicht, sodass die bisher unter dem Radar fliegenden Vampire bis zu den relevanten Emmy Awards hoffentlich etwas mehr verdiente Aufmerksamkeit erhalten.


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