Männer, die nicht erwachsen werden wollen, bevölkern das Kino spätestens seit den Screwball-Komödien der 30er Jahre. Seit einiger Zeit macht sich allerdings eine weitere evolutionäre Inkarnation dieses Typus’ in Hollywood-Komödien breit. Verfielen die Rock Hudsons und Cary Grants früherer Epochen angesichts einer Ehe in Schockstarre, ist es bei den Jason Segels, Paul Rudds, Seann Williams Scotts und Seth Rogens schon die Vorstellung des beendeten Studiums, eines festen Jobs oder – schlimmer noch – der Auszug aus dem Elternheim. Diese Woche startet Our Idiot Brother in den deutschen Kinos, in dem der naiv-kindliche Loser Paul Rudd seinen Schwestern Elizabeth Banks, Zooey Deschanel und Emily Mortimer die Segnungen der Infantilität lehrt.
Idiotische Brüder und Marshmellows
Our Idiot Brother ist tatsächlich einer von vielen jüngeren Hollywood-Filmen, die dem Erwachsenwerden den Kampf ansagen. Vergleichbare Kindsköpfe bevölkern so gut wie alles, was Judd Apatow (Beim ersten Mal) je produziert hat. Aus seinem weiteren Kreis gehören auch die Prototypen des jüngeren Comedy Leading Mans: Paul Rudd und Jason Segel. Letzterer belebte kürzlich die Kindheitsfantasie Die Muppets neu und spielt demnächst in Jeff, der noch zuhause lebt und Fast verheiratet. Kollege Jonah Hill dagegen darf in 21 Jump Street sprichwörtlich wieder an die Schule gehen. Kaum einer dürfte allerdings Michael Cera toppen, der den modernen Mittzwanziger-Slacker in Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt als Videospielheld verkörpern durfte.
Letzte Woche fragte der Guardian, warum es denn so viele Filme über Typen gibt, die nicht erwachsen werden wollen. Dabei spitzt der Artikel das Phänomen vor allem auf eine altbekannte Krise der Maskulinität zu. Die neuen Komödien voller Jeffs, die noch bei ihren Eltern leben, und Scotts, die in drittklassigen Bands spielen, anstatt sich einen ordentlichen Job zu suchen, seien Ausdruck einer Überforderung. Einer Überforderung durch flexiblere Geschlechterrollen, durch die Aufweichung des Patriarchats und unklare Vorbilder. Oder sowas in der Art. Über die Krise der Maskulinität möchte ich hier jedoch nicht spekulieren. Zwar nervt es gewaltig, dass Frauen in einigen der genannten Filme nicht mehr als das drohende Werkzeug der Domestizierung, des Erwachsenwerdens und der sinnbildlichen Beschneidung der Freiheit sind. Das ist trotzdem eine ganz andere Baustelle.
30 ist das neue 20
Fakt ist nämlich, dass das Erwachsenwerden sich tatsächlich weiter in Richtung der 30er bewegt, zumindest wenn damit Variablen wie das Ausbildungsende, der erste Job, die Ehe, die Kinder usw. gemeint sind. In einem hervorragenden Artikel titelte die New York Times vor zwei Jahren: Warum brauchen so viele Mittzwanziger so lange, um erwachsen zu werden? Darin heißt es: “Der traditionelle Zyklus wurde vom Ziel abgebracht, während junge Leute ungebunden von Lebenspartnern und dauerhaften Wohnsitzen bleiben, sie studieren wieder, weil bessere Optionen fehlen, reisen, vermeiden Festlegungen, kämpfen wild um unbezahlte Praktika […] und zögern so den Beginn des Erwachsenendaseins hinaus.”
Das faszinierende an dem NYTimes-Artikel ist die Tatsache, dass junge Männer ebenso wie Frauen die zu Grunde liegenden Statistiken zu Stande bringen. Soziologen mögen eine Krise maskuliner Ideale beobachten, sie beobachten aber auch, dass das Durchschnittsalter für die erste Heirat in den letzten 30 Jahren in den USA um fünf Jahre gestiegen ist und das bei beiden Geschlechtern. Warum also konzentrieren sich die Hollywood-Filme dermaßen auf die männliche Angst vor dem Erwachsenwerden? Auch hier wird eine andere Baustelle aufgerissen; eine die mit der vorwiegend männlichen Zielgruppe von amerikanischen Mainstreamfilmen zu tun hat und mit der Tatsache, dass Frauen im Produktionsprozess, insbesondere in den Entscheidungsgremien, unterrepräsesentiert sind. Die weibliche Erfahrung des Mittzwanzigerdaseins findet im Hollywood-Kino selten statt, da es am Willen fehlt, sie zu erzählen.
Das in dem Artikel beobachtete zweite Erwachsenwerden, sozusagen die zweite Pubertät in den 20ern, war schon zur Jahrtausendwende zu beobachten. Filmisch stecken wir, abgesehen von den Generation X-Filmen der 90er, nach Jahren der Teenie-Komödien erst jetzt richtig drin in der soziologischen Wende. Es passt deswegen auch, dass wir dieses Jahr ein American Pie – Das Klassentreffen feiern. Angekurbelt wurde diese kulturelle Auseindersetzung mit dem Wandel womöglich durch die Irrungen und Verwirrungen der Bush-Administration, die Weltwirtschaftskrise der letzten Jahre, den Clash der Regierung Obama mit der Realität und anderes.
Orientierungslosigkeit, Angst vor dem Verlust der Arbeit, Verschuldung und die allgegenwärtige Sinnfrage lassen einen idiotischen Bruder mit seiner ganzen Naivität, einen Jeff, der das traute Elternheim nicht verlassen will, und einen Scott, der sich eben in einer drittklassigen Band verwirklicht, wie Prototypen der zweiten Pubertät erscheinen. Das mag letztlich als Eskapismus in den flauschigen Schoß der Kindheit gelesen werden oder aber als Trotzreakion, als kleine Rebellion gegen eine Konsumgesellschaft, deren vorgefertigte Step Stones auf der großen Leinwand ganz einfach ausgelassen werden.