David Lynchs Elefantenmensch

23.02.2011 - 08:50 Uhr
David Lynchs Elefantenmensch
Arthaus/Kinowelt
David Lynchs Elefantenmensch
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Dass es bei den Oscarverleihungen nicht immer gerecht zugeht, ist eine Binse. Besonders hart traf es David Lynchs achtfach nominierten, aber oscarlos gebliebenen Elefantenmensch, den euch unser DVD-Kolumnist Thomas Groh heute empfiehlt.

Kaum ist der Berlinalerummel (unsere Berichterstattung) abgeklungen, richten sich die Augen aller Filmbegeisterten nach Los Angeles auf die Oscarverleihung. Selbst wer dem Treiben mit (berechtigtem…) Zynismus gegenüber steht, kann kaum bestreiten, dass vom Oscar alljährlich ein nicht geringes Maß an Faszinationskraft ausgeht – und sei es auch nur, weil man sich danach immer prächtig das Maul zerreißen kann, welche Entscheidungen wohl- und welche gar nicht begründet waren: Gossip für Cinephile.

Der Oscar – gerecht geht (häufig) anders

Doch auch wenn die Oscars in den letzten paar Jahren erstaunlich treffsicher waren (No Country for Old Men, Tödliches Kommando – The Hurt Locker) und sich auch dieses Jahr wieder viel hochkarätiges Material in der Kategorie “Bester Film” tummelt, kann man sich wohl ohne weiteres darauf einigen: Das war nicht immer so – beileibe nicht. Die Liste der Ungerechtigkeiten ist lang: Kein Regieoscar für Stanley Kubrick? Keiner für Alfred Hitchcock? You gotta be kiddin’ me!

Oder erinnern wir uns an das Jahr 1981: Mit acht Nominierungen scheint Der Elefantenmensch von David Lynch der klare Favorit. Bis heute zählt Lynchs anrührend erzählte Geschichte von John (eigentlich Joseph) Merrick, dessen enorme körperliche Deformationen ihn im späten viktorianischen London erst zum Gespött, später zum herumgereichten Darling der Upper Society machen, zu den großen Klassikern eines aufrichtig humanistischen Kinos. Die Szene, in der Merrick (auch unter kiloschwerer Maske absolut großartig von John Hurt gespielt), vom Pöbel gejagt und in die Ecke getrieben, aufschreit “Ich bin kein Tier, ich bin ein menschliches Wesen!” gehört vollkommen zu Recht zu den ikonischsten und bekanntesten der Filmgeschichte.

Ein Anti-Horrorfilm

In dampfgesättigten Schwarzweiß-Bildern und auch vom Setting her lässt David Lynch seinen Film wie eine Art Horrorfilm entstehen (es würde jedenfalls nicht wundern, wenn in jedem Moment Peter Cushing als Baron Frankenstein um die Ecke lugen würde) wandelt dann aber zusehends seinen Tonfall: Der “Freak”, die “Ausgeburt”, das “Monster” wird auch vor unseren Augen zu dem Mensch, der es im Grunde schon immer war – wohingegen die “Normalen” eine monströse Seite entwickeln, die einen frösteln lässt.

Schon auch deshalb zählt es zu den ganz großen Skandalen der Oscargeschichte, dass dieses Meisterwerk – immerhin erst Lynchs zweiter Spielfilm nach dem unendlich morbiden Eraserhead – trotz achtfacher Nominierung in fast allen wichtigen Klassen mit keiner einzigen Statue prämiert wurde. Statt dessen zog das heute fast vergessene, sechsfach nominierte Regiedebüt von Robert Redford, Eine ganz normale Familie, mit insgesamt vier Oscars als Sieger des Jahres an Der Elefantenmensch vorbei. “Auch hier irrte die Academy”, will man da fast sagen.

Deutsche oder britische DVD kaufen?

Der Film liegt in einer schönen Edition vor: Die DVD von Arthaus legt dem Film noch eine absolut sehenswerte Featurette bei, die die Geschichte des wahren Elefantenmenschen (eben Joseph, nicht John Merrick) ausführlich und mit zahlreichem Quellmaterial auch hervorragend aufbereitet erzählt – auch, weil Lynchs Film sich zahlreiche künstlerische Freiheiten einräumt, sollte man dieses Feature (als Korrektiv) gesehen haben. Daneben ist die Geschichte von Joseph Merrick auch einfach faszinierend (und durch die Archive in England auch gut belegt) genug, dass das Feature auch für sich genommen von einigem Interesse ist.

Die BluRay des Films (die mir leider nicht vorlag) bietet noch einige Zusatzfeatures, die offenbar ebenfalls allesamt interessant zu sein scheinen, darunter auch einige jüngere Interviews mit John Hurt und David Lynch. Bonusmaterialfetischisten ohne Bluray-Player, die überdies auf eine deutsche Tonspur nicht unbedingt wert legen, sollten deshalb vielleicht über den Import der britischen Special Edition nachdenken, der diese zusätzlichen Bonusmaterialien ebenfalls beiliegen.

Die deutsche DVD ist bei Amazon für 16,99 Euro erhältlich, die britische DVD (mit mehr Bonusmaterial) gibt’s bei Play.com für portofreie 6,49 Euro.

Thomas Groh lebt in Berlin, arbeitet für die Programmvideothek Filmkunst im Roderich und schreibt über Filme, zum Beispiel für die Filmzeitschrift Splatting Image, die taz und das Onlinekulturmagazin Perlentaucher. Wenn er nicht gerade sein Blog aktualisiert, verfasst er wöchentliche DVD-Kolumnen für den moviepilot, in denen er Filme von etwas jenseits des Radars empfiehlt, zuletzt zweimal Best-of-Berlinale (hier und hier) und die Luxus-Buch/DVD-Edition von Billy Wilders Manche Mögen’s Heiß.

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