Exil im eigenen Land

01.07.2010 - 08:50 Uhr
Verband Österreichischer Kameraleute
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Shirin Neshats Spielfilmdebüt basiert auf dem meistgelesensten Roman in Farsi, “Women Without Men” von Sharnoush Parsipour. Vier verschiedene Frauenschicksale finden sich in einem symbolträchtigen Garten wieder.

Ihre Film- und Videokunst erregt den Zorn der mächtigen Männer im Iran. Shirin Neshats Fotoprojekt mit dem Namen Women of Allah wurde von den Mullahs als subversiv bezeichnet und die Ausstellung im Land untersagt. Heute läuft ihr Spielfilmdebüt Women Without Men, welches sich mit vier Frauenschicksalen beschäftigt, in den deutschen Kinos an.

Der August 1953
Zeitlicher Horizont des Films ist eine im Westen weitgehend unbekannte Epoche des 20. Jahrhunderts. Mohammad Mossadegh, der erste demokratisch gewählte Regierungschef des Iran, wird in einem Komplott aus CIA und Engländern gestürzt und an dessen Stelle der Shah wieder eingesetzt. Der Staatsstreich sollte verhindern, das Mossadegh die Ölquellen in staatliche Hand überführte. Die zeitliche Epoche um den August 1953 legte auch den Grundstein für die zunehmende religiöse Fanatisierung und den Antiamerikanismus, die schließlich in die islamische Revolution 26 Jahre später führten. Shirin Neshat selbst wurde erst 1957 im Iran geboren und emigrierte im Alter von 17 Jahren in die USA. Heute lebt und arbeitet sie in New York. Im Abspann widmet sie ihren Film den Freiheitskämpfern von 1953 und zieht einen Bogen ins Jahr 2009, als erneut Hunderttausende im Iran für freie Wahlen demonstrierten.

Ein Garten, der aus Feinden Freunde macht
Die kunstliebende Fakhri (Arita Shahrzad) führt ein Leben in der iranischen Oberschicht, verkehrt in Künstlerkreisen und verlässt selbstbewusst die Ehe mit ihrem Mann, einem General. Munis (Shabnam Toloui) leidet unter ihrem Bruder, der sie unterdrückt und schließt sich aktiv den Protesten an. Faezeh (Pegah Ferydoni) lebt ein konservativ-religiöses Leben, verliebt sich in Munis’ Bruder, gewinnt jedoch Erkenntnisse über die unterdrückenden Mechanismen der streng patriarchalischen Gesellschaft. Die Prostituierte Zarin (Orsolya Tóth) kann keine Männergesichter mehr sehen und findet in dem geheimnisvollen Garten Heilung für die Seele. Die vier Frauen durchleben in den Wochen des Putsches einschneidende persönliche Veränderungen. In dem Naturparadies außerhalb der Stadt finden sich die vier Schicksale schließlich nach und nach zusammen und gestalten ein Leben im Einklang mit der poetisch anmutenden Natur, losgelöst von ihren Schicksalen, Frauen ohne Männer. Das Landhaus mit seinem mysteriösen Hausherrn bietet Nahrung, Wein und vor allem Musik und Tanz, alles starke Symbole des Sufismus. Als später das Militär den Weg in den Garten findet, vergessen selbst die Soldaten ihre konfrontativen Absichten.

Großer Kamerafilm, schwieriges Casting
Mit Martin Gschlacht stand ein namhafter Filmemacher aus Österreich hinter der Kamera, der schon an einigen erfolgreichen Autorenfilmen mitgewirkt hat, wie etwa an Lourdes und Immer nie am Meer. Für seine Leistung in Women Without Men wurde er für den Deutschen Kamerapreis nominiert. Markant für das Bild des Films ist die Gegenüberstellung zwischen den realistischen Szenen einerseits und den mystisch-magischen Szenen auf der anderen Seite. Dafür werden zwei Farbschemata verwendet, die Naturaufnahmen erscheinen klar und farbig, die Aufnahmen in der Stadt dagegen im Sepiaton. Für die Besetzung der Rollen wurde ebenfalls eine Agentur aus Österreich beauftragt. Die Schauspielerinnen sollten Farsi ohne europäischen Akzent sprechen können, was sich als schwierig herausstellte. Mit Pegah Ferydoni wurde auch eine deutsche Schauspielerin gecastet, die in vielen Fernsehserien (z.B. Türkisch für Anfänger) und im Kino (Zweiohrküken) mitgespielt hat.

Die Romanvorlage
Shirin Neshat hielt sich nicht streng an die Romanvorlage. In “Women Without Men” von Shahrnoush Parsipour sind es fünf Frauen, von denen sich eine gar in einen Baum verwandelt, doch zuviel Surrealismus hätte den Film überladen. Die Autorin lebt wie Shirin Neshat im US-amerikanischen Exil. Ihr “magischer Realismus” ist unter Exiliranern ein Verkaufsschlager. Gedreht wurde Women Without Men übrigens in Marokko, wo die Regisseurin bereits viele förderliche Kontakte hatte.

Kritikerstimmen
Viele Filmkritiker loben die visuelle Kraft des Films, sehen aber Widersprüche zur Erzählweise. Für Michael Meyns von Programmkino.de wirkt der Film zu überladen: “Das sind eine ganze Menge Geschichten und Figuren, die Shirin Neshat verknüpfen möchte. Dementsprechend überladen wirkt dann auch der Film, der oft auf eine visuelle Kurzform zurückgreift.” Stephen Holden von der New York Times vergleicht den Film mit Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte von Michael Haneke, welchen er seiner Meinung sogar noch übertrifft: “Women Without Men übertrifft mit seiner fast leidenschaftlichen Ästhetik und der präzisen Kameraführung sogar Hanekes Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte.”

Für die Festivalreporter der Zeit überzeugt Shirin Neshat trotz der vielen Handlungsstränge: Die Künstlerin “mischt das persönliche Schicksal der jeweiligen Iranerin mit dem Blick auf das historische Geschehen, poetische Bilder mit brutalen Aufnahmen prügelnder Soldaten. Obwohl die Regisseurin dabei an zu vielen Fäden auf einmal zieht, überzeugt die Intensität starker Frauen.” Und Willy Flemmer von filmreporter.de vergleicht die Bildsprache sogar mit Andrei Tarkowski: “Vor allem das Werk Andrej Tarkowskijs kommt einem in den Sinn, wenn man mit der Bildgewalt ihres ersten Spielfilms konfrontiert ist. Am offensichtlichsten wird dies beim zentralen Motiv des Gartens, in dem die Protagonisten Schutz vor der konfliktgeladenen, ungerechten Realität finden. Die Schönheit der Natur, eine Zone des Ursprünglichen, ebenso wie die natürliche Geräuschkulisse (fließender Bach, das Zwitschern der Vögel) verweisen deutlich auf den russischen Filmmystiker.”

Der Trailer zu Women Without Men:


Women Without Men startet am 01. Juli in den deutschen Kinos. In unserem Kinoprogramm könnt ihr nachlesen, wo der Film in Eurer Nähe läuft.

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