Eines vorweg: Früher war nicht alles besser. Diese Weisheit trifft auch auf den Oscar zu. Der Unterhaltungswert der Verleihung war schon immer abhängig von den jeweiligen Gastgebern, weswegen die Oscars mit Billy Crystal meistens extrem lustige Angelegenheiten waren, während Chris Rock als Host am besten vergessen werden sollte. Doch seit 2009 wird die Struktur der Verleihung Stück für Stück verändert und damit das Rückgrat der Oscars, werden tiefgreifende Änderungen vorgenommen, die kein Host der Welt übertünchen kann. Und diese schaden der Verleihung mehr, als das sie ihr nützen.
Vergebene Chancen
Es hätte alles so schön sein können. Für den Oscar 2009 wurde das verantwortliche Team hinter der größten Filmpreisverleihung der Welt ausgetauscht. Die Quoten waren seit Jahren in den Keller gegangen und irgendwas musste dagegen getan werden. Statt eines Comedians wurde mit Hugh Jackman einer aus dem Publikum zum Host erkoren und er machte seine Sache toll. Die Musical-Einlagen und das Orchester auf (nicht unter!) der Bühne gaben der Verleihung den Glanz einer 30er-Jahre Varieté-Show, was zur damaligen wirtschaftlichen Situation auch irgendwie passte. Soweit, so gut.
Doch die Academy begann in diesem Jahr auch den Versuch, die Zeremonie zeitlich zusammenzustutzen. Schon die früher eingeführte, unsanfte Verkürzung der Dankesreden durch das Orchester, sorgt jedes Jahr für hastig von der Bühne gejagte Preisträger. Doch nun wurde auch noch die Vorstellung der besten Songs verkürzt. In 90 Sekunden langen Medleys wurden die Lieder quasi vorgespult. Dabei können gerade die Songs, sind sie richtig platziert, das ganze Prozedere des Oscars auflockern. Eine hervorragende Gelegenheit, eine neue Kanne Kaffee aufzusetzen, boten sie früher übrigens auch.
Dass die Academy selbst noch nicht so recht weiß, was sie mit ihren Veränderungen anfangen soll, bewies die Entscheidung, die nominierten Musiker 2010 gleich gar nicht auftreten zu lassen. So bleibt es den teilweise unbekannten Künstlern verwehrt, vor einem gigantischen Publikum auf ihre Musik und ihren Film aufmerksam zu machen. Ein emotionaler Moment wie der Auftritt von Glen Hansard und Markéta Irglová mit “Falling Slowly” bei der Verleihung im Jahr 2008 wäre so nie möglich gewesen.
Falsche Entscheidungen
Die Unsicherheit bezüglich ihrer Lust auf Veränderung bewies die Academy auch 2010, als nach längerer Zeit mit Alec Baldwin und Steve Martin wieder zwei Hosts ausprobiert wurden. Leider nicht abgewichen sind die Organisatoren jedoch von der neuen Idee, den Preis für den Besten Hauptdarsteller von fünf Kollegen verleihen zu lassen. Das kostet der Veranstaltung nicht nur Zeit, die anderswo sinnvoller einzusetzen wäre. Es ist auch jedes Mal ein Wagnis, ein Schauspieler-Paar zu finden, das nicht wahllos zusammengewürfelt oder erzwungen erscheint.
Über die fragwürdige Auslagerung des Ehrenoscars wurde hier schon an anderer Stelle geschrieben. Doch ähnlich seltsam ist die Veränderung des In Memoriam-Teils. Jedes Jahr wird darin den verstorbenen Filmschaffenden gedacht. Doch seit 2009 wird das Gedenken massiv dadurch erschwert, dass eine bewegende Montage den Organisatoren offensichtlich nich mehr reicht. Nein! Es muss noch eine Gesangsnummer durchgezogen werden, so dass sich die Kameraführung nicht mehr zwischen dem Sänger und eigentlich zu Ehrenden entscheiden kann.
Der Oscar als Rabatt-Aktion
Doch all das sind Kleinigkeiten im Vergleich zur Veränderung der Nominierungen für den besten Film. 10 statt 5 Filme dürfen sich seit letztem Jahr Hoffnungen auf einen Oscar in der wichtgsten aller Kategorien machen. Dafür könnte die Academy mehrere Beweggründe haben. Zum einen steigt so die Chance, dass auch Blockbuster nominiert werden, die von einem größeren Teil der Zuschauer gesehen wurden. Daraus könnte sich dann eine höhere Einschaltquote ergeben. Zum anderen können die Studios so auf noch mehr Poster und noch mehr DVD-Hüllen “Nominiert für den Oscar als Bester Film” schreiben. Hurrah! Und wenn eine Oscar-Nominierung zu etwas gut ist, dann ist es das Klingeln der Kassen. Doch all diese möglichen Motivationen übersehen leider die Tatsache, dass zehn Nominierungen die Übersichtlichkeit verringern, schließlich müssen die einzelnen Nominierten schneller abgehandelt werden. Schlimmer noch: Die Nominierung selbst verliert an Bedeutung und damit verliert auch die Verleihung selbst an Wert. Schließlich werden ganze zehn Stück vergeben, egal ob überhaupt soviele würdige Filme vorhanden sind.
Die Academy untergräbt also fleißig ihr eigenes Kapital: die wie auch immer vorhandene Aura des Oscars als wichtigster Filmpreis der Welt. Fraglich ist nur, ob der Oscar noch auf der Suche nach sich selbst, also in einem Wandel begriffen ist, der noch nicht abgeschlossen wurde. Oder ob das Oscar-Kind schon längst im Brunnen festsitzt und so schnell nicht mehr heraus kommt. In der Nacht zum 28. Februar können wir uns selbst davon überzeugen. Ich jedenfalls wünsche mir den alten Oscar zurück. Wenn es sein muss, mitsamt seiner monumentalen Überlänge.