In der Gewalt des Wohlfühlkinos

11.07.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Starbuck
Ascot Elite
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Was zum Lachen und zum Weinen, und dann mit einem guten Gefühl den Saal verlassen. Über die Falschheit des Wohlfühlkinos und warum Feel-Good-Filme sterben müssen, damit wir leben können.

Drei körperlich behinderte Männer wollen sich nicht länger von Eltern und Hilfskräften den Lebensalltag diktieren lassen und fahren auf eigene Faust nach Spanien. Dort möchten die jungen Burschen nicht nur ihren ständigen Einschränkungen entkommen, sondern auch endlich ihre Unschuld verlieren – in einem eigens für die Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichteten Bordell. Darum geht es in der belgischen Tragikomödie Hasta la Vista – Pflücke das Leben!, die am kommenden Donnerstag in unseren Kinos startet.

Ein verschuldeter Taugenichts, der als Teenager regelmäßig Sperma spendete, erfährt eines Tages, Vater von über 500 Kindern zu sein. Die Klinik habe mit seinen Samen Engpässe überbrückt, heißt es 20 Jahre später. Und nun seien die Kinder zusammengekommen, um die Identität ihres biologischen Vaters zu erfahren. Kurz darauf beginnt der planlose Draufgänger, einzelne seiner Söhne und Töchter ausfindig zu machen und sich endlich jener Verantwortung zu stellen, die seine – selbstverständlich rein zufällig schwangere – Freundin ihm stets zu Recht absprach. Darum geht es in der frankokanadischen Tragikomödie Starbuck, die Mitte August in unseren Kinos startet.

Hasta la Vista und Starbuck sind zwei aktuelle Filme, die sich dort, wo sie bisher gezeigt wurden, bereits als wahre Zuschauermagneten entpuppten. Der eine gewann auf dem Filmfestival von Toronto, der andere in Montreal einen People’s Choice Award, also den Preis des Publikums. Beide Filme werden hierzulande vom gleichen Verleih in die Kinos gebracht, vielleicht in der Hoffnung, damit einen ähnlichen Erfolg zu landen, wie es kürzlich Ziemlich beste Freunde gelang. Jenem kleinen Film, der dieses Jahr mehr Geld einspielte als jeder noch so große. Der mit einer Mischung aus Herz und Humor, Sentiment und Ulk zum diesjährigen Liebling des europäischen Kinopublikums reifte. Es ist, wieder einmal, die Stunde des Feel-Good-Movies, des Wohlfühlfilms, des Kinos für alle, von 0 bis 99 Jahren.

Solcherlei Film mag es jedem recht machen. Seine Beliebtheit verdankt sich bewährter Muster, bestimmter Publikumsstrategien und einer großen Gefühlsapparatur, auf der stets zur richtigen Zeit die richtigen Knöpfe gedrückt werden können. Er ist der Inbegriff von Formelhaftigkeit und er verfehlt nie seine Wirkung, denn der Feel-Good-Film ist ein funktionierender Film. Seine Bekömmlichkeit erhebt er zum obersten Prinzip, er möchte gut unterhalten und lieb gewonnen werden. Stellt er sich dabei geschickt an, so gelingt es ihm in besonderem Maße, die für seine Crowdpleaser-Unternehmung unverzichtbare Mischung aus erzählerischer Banalität und einer bis ins Mark konventionellen Inszenierung samt emotionaler Allgemeinplätze mit vermeintlichem Tiefsinn zu ummanteln.

Das Ergebnis ist dann ein Feel-Good-Film, der für seine Verblödungstaktik zum Beispiel einen historischen Kontext wählt, um darin eine herzensgute Geschichte zu erzählen, die, und sei sie noch so dramatisch, den Zuschauer mit einem schönen Gefühl entlässt. So macht der Feel-Good-Film selbst oder vielleicht gerade vor den ganz besonderen Themen, den heiklen Stoffen und brisanten Geschichten, den großen bewegenden Ereignissen der Weltgeschichte oder eben schlimmsten Verbrechen der Menschheit nicht Halt: Das Leben ist schön von Roberto Benigni trägt die Lüge bereits im Titel, hat mit seiner tränendrüsigen Trivialisierung des Holocausts als komödiantisches Abenteuer und der beispiellos penetranten Selbststilisierung seines Regisseurs und Hauptdarstellers zum neuen Slapstick-Star aber natürlich dennoch ein Millionenpublikum zum Lachen und Weinen gebracht. Der Adaption von Der Vorleser wiederum gelang es noch eindrücklicher als der literarischen Vorlage, das Publikum für die Mitleid erregende Geschichte einer Judenmörderin zu erweichen. In The Help dann gerinnt der Rassenhass gleich zum melancholisch-vergnüglichen Häkel-Familiendrama via Geschichtskarikatur, während die verarmten Straßenkinder im saudämlichen Oscargewinner Slumdog Millionär buchstäblich in Videoclipästhetik-Scheiße baden, um selbst noch das hinterletzte Elend unterhaltsam und natürlich publikumswirksam zu verkleiden.

In diesem Zusammenhang besteht die Kunst des Feel-Good-Films darin, inmitten seines Mangels an Sinnstiftung und Aufrichtigkeit sowie des Verzichts, sein Publikum auch nur halbernst zu nehmen, Anspruch zu behaupten, Komplexität vorzutäuschen. Dem Zuschauer, der das Kino für vergnügliche Unterhaltung betrat, ein Gefühl zu geben, es nachdenklich und erkenntnisreich wieder verlassen zu können. Indem sich der Feel-Good-Film jedoch stets über dem kleinsten gemeinsamen Nenner konstruiert, außerstande, Fragen zu stellen, die unbequem sein könnten, kann er seine Zuschauer nur immer wieder in ihren Ansichten bestätigen. Einer Haltung zustimmen, die schon immer da war. Und diese, im Gegenteil, durch Erbauungskitsch, emotionale Leitfäden und eben Wohlfühlabsichten sogar noch nachhaltig bekräftigen.

Nur so lassen sich Erfolg und anhaltende Beliebtheit abstoßend dümmlicher Filme wie beispielsweise Die fabelhafte Welt der Amélie oder Das Leben der Anderen erklären, die beide so unterschiedlich wie nur möglich von faschistoiden Methoden im zwischenmenschlichen Umgang erzählen und sie dennoch gleichwohl ganz ähnlich mit Rührseligkeit und falschen Gefühlen übersüßen. Von der goldigen Stasi-Amélie zum geläuterten Übeltäter ist es im Wohlfühlkino eben kein weiter Weg. Und das Publikum bekommt, was es verdient.

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