Intrigen & Parties - Kampagnenwahn beim Oscar

07.02.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
In der Oscar Saison geht es an der Front heftig zu.
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In der Oscar Saison geht es an der Front heftig zu.
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Die Oscar-Saison ist nicht nur für ihre zahlreichen Festivals, Kritikerpreise und Gildenpreise bekannt. Die andere Seite sind die Kampagnen der Studios und Verleihe, die auch vor einem Griff in den Giftkasten nicht zurückschrecken.

Es ist die andere, die dunkle Seite der Oscar-Saison: die Kampagnen. Immer, wenn es auf die Oscar-Verleihung zugeht, verwandelt sich die Filmindustrie in ein Haifischbecken voller Schmutzkampagnen und Täuschungsversuche. Für die Verleihe bedeutet die Prämierung eines Films mit dem Oscar in einer der Hauptkategorien auch einen Aufdruck auf Filmpostern und DVD/Blu-ray-Hüllen, der ein nicht zu verachtendes Plus bei den Einnahmen bringt. Deswegen wird alles dafür unternommen, dass auch der “richtige” Film eine Statuette mit nach Hause nimmt.

Natürlich bestehen die Oscar-Kampagnen nicht nur aus Hetz-PR, Bestechung und Partys mit Hintergedanken. Für The Artist zum Beispiel rührte The Weinstein Company eine beispielhafte Werbetrommel zum Oscar 2012, die dafür sorgte, dass der Film von niemand Wichtigem mehr ignoriert werden konnte. Auch andere Verleihe drehen Ende des Jahres noch einmal so richtig auf und starten For your consideration-Portale oder schalten Werbespots. Leider aber sind die Negativkampagnen bei den heutigen Oscars zur festen Institution geworden. Gerade auch Harvey Weinstein könnte uns den einen oder anderen Schwank darüber erzählen.

Rosebud? Roseboo!
Schon 1942 soll es zu absichtlichen Manipulationen direkt bei der Oscar-Verleihung gekommen sein. Immer, wenn die Namen Citizen Kane oder Orson Welles fielen, buhte ein Haufen angeblich von William Randolph Hearst gekaufter Leute den Moderatoren aus. Citizen Kane basiert auf dem Leben des Medienmoguls Hearst, was diesem so gar nicht gefiel und weshalb er eine Erwähnung des Films in sämtlichen seiner Medienerzeugnisse unterband. Dank der Negativkampagne gab es nur einen Oscar und zwar für das Drehbuch von Herman J. Mankiewicz. Die Oscar-Saison bringt die kuriosesten Geschichten hervor. Steven Spielberg musste sich vor dem Kinostart von Die Farbe Lila gegen Vorwürfe von der National Association for The Advancement of Coloured People wehren, sein Film zeige nur rassistische Stereotypen schwarzer Männer. Als der Film dann keinen einzigen Oscar erhielt, beschwerte sich die NAACP bei der Academy über die Auslassung, was viele an eine bewusste Täuschung denken ließ.

Million Dollar Baby sendet die falsche Botschaft an gelähmte Menschen und Suizidgefährdete. Am Set von Slumdog Millionär wurden die Kinderschauspieler ausgebeutet und bekamen viel zu wenig Geld. Matt Damon und Ben Affleck haben ihr Skript zu Good Will Hunting von einem Ghostwriter schreiben lassen. All das sind Behauptungen, die lustigerweise erst kurz vor den Verleihungen an die Oberfläche treten und später wieder relativiert werden. Andersherum gibt es natürlich auch Kampagnen, die die eigenen Filme mit positiver Propaganda nach vorn bringen sollen. Neben normalen Werbemaßnahmen kann das ganz schön verzweifelt aussehen. Damit Tödliches Kommando – The Hurt Locker eine Chance gegen Avatar hat, bat der Produzent Nicolas Chartier die Mitglieder der Oscar-Jury, Tödliches Kommando – The Hurt Locker die Höchstpunktzahl zu geben, damit er überhaupt neben Avatar – Aufbruch nach Pandora bemerkt wird. Das führte zu seinem Ausschluss von der Veranstaltung, hielt The Hurt Locker aber nicht vom Sieg ab. Dem König der Oscar-Kampagnen würde das nicht passieren.

Der Erfinder moderner Oscar-Kampagnen: Harvey Weinstein
Harvey Weinstein ist ein Tier und nicht nur wegen seines Äußeren. Nicht nur ist er dafür berühmt, kleine Kunstfilme erfolgreich für den Massenmarkt zurechtzuschneiden, auch in der Award Season ist er der natürliche Fressfeind aller seiner Konkurrenten. Der Gründer von Miramax und The Weinstein Company fiel in jeder Oscar-Saison mit seinen pompösen Partys auf, zu denen auch nicht wenige Jury-Mitglieder der Academy eingeladen waren. Letztes Jahr schmiss er (natürlich nur inoffiziell) für The King’s Speech – Die Rede des Königs eine gigantische Party im Chateau Marmont in Hollywood, unter anderem mit Ridley Scott, Jennifer Lopez und Mick Jagger. Während der Oscar-Saison denkt Harvey Weinstein an nichts anderes als kleine Goldjungen.

Für das Oscar-Jahr 1999 sendete er jedem stimmberechtigten Academy-Mitglied eine Kopie des Miramax-Films Shakespeare in Love nach Hause und lud damit Anschuldigungen über Bestechung auf sich. Auch für die Hetzkampagne gegen A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn soll er angeblich verantwortlich gewesen sein. 2002 waren plötzlich einige Feulletonisten vehement gegen den Film, der den angeblichen Antisemiten und pädophilen Schwulen John Nash zu positiv darstelle. Für Harvey Weinstein ist der Oscar gleichbedeutend mit Krieg und darin ist der Mann sehr gut. Ständig hat er in der Oscar-Saison ein Team aus Pressesprechern und Beratern um sich, die nicht selten mit einem Fuß noch in der Academy stehen. Seinen Partys, Postsendungen und Wutausbrüchen verdanken unter anderem Der englische Patient, Chicago und jetzt Die Eiserne Lady und My Week with Marilyn einen nicht zu verachtenden Oscar-Boost.

Was ändert sich?
Die Kampagnen der Oscar Saison sind sicherlich unterhaltsam, geben aber natürlich auch Anlass zu massiver Kritik. Letztes Jahr gab es eine Regeländerung bei den Oscars, die es den Jury-Mitgliedern verbietet, auf vermeintliche Promotion-Partys zu gehen. Niemand hat aber etwas von einem Verbot für kleine Soirées oder Abendessen gesagt. Viel ändern wird das Verbot vermutlich also nicht. Gegenüber Carpetbagger sagte Matt Damon 2010, dass er eine Oscarverleihung zehn Jahre nach dem Kinostart der betreffenden Filme begrüßen würde. Wenn wir dieses Jahr für den Besten Film von 2000 abstimmen könnten, wäre das meiner Meinung nach viel ehrlicher. Das ist doch mal ein vernünftiger Vorschlag. Die Oscar-Saison würde an Bedeutung verlieren, was PR-technisch schwachen Filmen eine reelle Chance gibt. Natürlich ist das unmöglich. Niemand würde so eine Show moderieren wollen.

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