Alljährlich pünktlich zur Weihnachtszeit zieht’s die Programmverantwortlichen der TV-Stationen ins Archiv, um ihre Filmmaster mit Werken der tschechischen Märchenfilmzunft zu entstauben. Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, den bekanntesten (und, also gut, ja auch wirklich schönsten) Vertreter dieser Gattung, wird man wohl auch dieses Jahr mit sich selbst staffellaufend durch die Dritten Programme galoppieren sehen. Wer nun aber, wie der geneigte Autor dieser Zeilen, auch zur christlichsten Zeit des Jahres eher unchristlich gesinnt ist, wird der Wattewelt des tschechischen Märchenfilms vielleicht gerne etwas entgegen setzen wollen. Umso besser, dass das tschechische Kino selbst hierfür den besten Verbündeten zur Seite stellt: Valerie – Eine Woche voller Wunder aus dem Jahr 1970 geht rein oberflächlich zwar schon auch als tschechischer Märchenfilm durch, fällt aber denkbar unweihnachtlich aus.
Dabei beginnt es ja recht harmlos: Ein Knecht stiehlt der jungen Valerie – nicht mehr ganz Mädchen, noch nicht ganz Frau – im Schlaf die Ohrringe. Im letzten Moment erhascht sie noch einen Blick auf den Dieb. Als am nächsten Tag eine Gruppe Schausteller das Dorf besuchen kommt, zeigen sich Risse in Valeries Welt: Mitten im Gegaukel tummelt sich ein unheimlicher Geselle, der Valerie offenbar nachstehlt. Auch Valeries Großmutter wirkt wie verwandelt, rings um sie herum verfallen die Menschen einem eigenartigen Taumel, als ob Vampire ihr Unwesen treiben …
Ein glühend-schöner Bilderbogen
Mehr von dem zu verraten, was einen hier erwartet, käme einer Sünde gleich, Valerie – Eine Woche voller Wunder ist ein Film, den man einfach nur unvoreingenommen wirken lassen sollte. Und viel an Handlung erzählen ließe sich eh nicht: Jaromil Jires, ansonsten eher der Neuen Welle des tschechischen Kinos zuzuordnen, erzählt sein dunkles Märchen als glühend-schönen Bilderbogen, in dem sich die Geschichte nicht als plausible Abfolge äußerer Handlungen, sondern anhand assoziativ verketteter Bilder entfaltet und sich damit in eine gewisse Tradition der dunklen europäischen Phantastik verortet, die vom Surrealismus und dessen Themen zwischen Sex und Tod nicht allzu weit entfernet liegt. Zwar liebäugelt Valerie – Eine Woche voller Wunder immer auch mit den Motiven des Horrorfilms und dessen dunkler Erotik, erschöpft sich aber nie im bloßen Grusel. Wenn man so will: Ein surrealer Arthaus-Horror im Märchengewand. Gerade wer in Filmen nicht nur nette, unterhaltsame Geschichten, sondern mitunter rauschhafte Erlebnisse sucht, wird an Valerie – Eine Woche voller Wunder seine helle Freude haben, für Anhänger des außergewöhnliches Films gilt dies sowieso.
Und gerade letztere sollten ohnehin aufmerken: Bildstörung, das für diese Veröffentlichung verantwortlich zeichnende Label, gehört zwar noch zu den jüngeren auf dem deutschen Markt, hat sich aber binnen kürzester Zeit einen ganz exzellenten Ruf erarbeitet. Zum einen natürlich wegen seiner stets herausragend und mit viel Liebe produzierten Editionen, zum anderen aber auch zuvorderst wegen seines grandiosen Programms: In dieses finden nur handverlesene Perlen des subversiven Kinos Eingang, die zwischen hoher Filmkunst und surrealem Wahnwitz eine ganz eigene Konzeption von Kino darstellen. Possession von Andrzej Zulawski findet sich hier neben Das Biest von Walerian Borowczyk oder Marquis de Sade von Roland Topor.
Edition deluxe
Wie stets bei Bildstörung liegt auch hier eine rundum liebevoll gestaltete Edition vor: Dies fängt bei der sehr guten Bildqualität an, die auch die der bislang nur in Großbritannien erhältlichen Fassungen schlägt, und hört bei dem schönen Coverdesign keineswegs auf: Neben einem filmhistorisch sehr informierten Audiokommentar – ein Gespräch zwischen zwei Filmhistorikern, das sich vor allem an den zahlreichen Mitwirkenden der Produktion abarbeitet – und zahlreichen Features zum Film spendiert Bildstörung noch gleich eine CD mit dem kompletten Soundtrack des Films und verzichtet auch nicht auf schöne Spielereien: So lässt sich etwa ein alternativer Soundtrack der Band “The Valerie Project” zuschalten. Auch ein Booklet – mit 62 Seiten fast schon ein kleines Buch – darf hier wieder nicht fehlen: In zahlreichen Essays verleihen hier diverse Autoren zwischen Filmjournalismus und Filmwissenschaft ihrer Begeisterung für Valerie – Eine Woche voller Wunder Ausdruck.
Was soll man abschließend sagen zu diesem unweihnachtlichen tschechischen Märchenfilm? Dass er sich bestens als Weihnachtsgeschenk empfiehlt? Zum Beispiel.
Und dann noch der Trailer
Der Film ist bei Amazon für 16,99 Euro erhältlich.
Thomas Groh lebt in Berlin, arbeitet für die Programmvideothek Filmkunst im Roderich und schreibt über Filme, zum Beispiel für die Filmzeitschrift Splatting Image, die taz und das Onlinekulturmagazin Perlentaucher. Wenn er nicht gerade sein Blog aktualisiert, verfasst er wöchentliche DVD-Kolumnen für den moviepilot, in denen er Filme von etwas jenseits des Radars empfiehlt, zuletzt beispielweise Walhalla Rising, Hollywood Ending und Begegnungen am Ende der Welt..